RS Vfgh 1988/12/13 B1450/88

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 13.12.1988
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/04 Apotheken, Arzneimittel

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art103 Abs4
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
MRK Art1 1. ZP
ApothekenG §3 Abs1 Z6
MRK Art6 Abs1
ApothekenG §19 Abs2 Z1
ApothekenG §45

Leitsatz

ApothekenG; Entzug der Konzession gem. §§3 Abs1 Z6, 19 Abs2 Z1 und 45 idF der Nov. BGBl. 502/1984 nach einer strafgerichtlichen Verurteilung mangels Verläßlichkeit; administrative, im öffentlichen Interesse gelegene Maßnahme; kein Eingriff in den Kernbereich der "civil rights", keine Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage iS des Art6 MRK; zulässige Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit; Regelung der "Verläßlichkeit" genügt den Anforderungen des Art18 B-VG; keine Bedenken im Hinblick auf das Gleichheitsgebot; keine denkunmögliche, keine gleichheitswidrige Anwendung

Rechtssatz

Der Entzug einer Konzession zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (wie etwa zum Betrieb einer Apotheke) ist ebenso wie die Erteilung einer Konzession eine staatliche Maßnahme, die nach österreichischer Rechtstradition im öffentlichen Recht wurzelt und nicht zur Ziviljustiz gehört, werden damit doch nicht Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander geregelt. Wenngleich solche Akte für den Betroffenen von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung sind, also bedeutsame Auswirkungen in seinem Vermögen haben können, werden damit doch nicht Streitigkeiten entschieden, die über "civil rights" selbst entstanden sind.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Judikatur (zB VfGH 14.10.87 B267/86; 16.12.87 G129/87 ua., 24.06.88 G1/88 ua., 25.06.88 G65/88) wiederholt den Standpunkt vertreten, daß über Ansprüche und Verpflichtungen, die dem Zivilrecht in engster Bedeutung und damit dem Kernbereich der "civil rights" zuzuzählen sind, ein den Anforderungen des Art6 MRK entsprechendes Tribunal in der Sache selbst zu entscheiden habe und daß in solchen, der traditionellen Ziviljustiz zuzuzählenden Angelegenheiten die (bloß) nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes nicht hinreiche; das gelte nur für Entscheidungen über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen selbst, wie etwa die Entscheidung über den Ersatz von Jagd- und Wildschäden (G129/87, G211/87), die Schlichtung von Streitigkeiten über eine Vertragsauslegung durch eine Schiedskommission nach dem ASVG (G48/87) oder den Zuspruch einer Enteignungsentschädigung (G1/88, G65/88), nicht aber für solche Entscheidungen über Streitigkeiten, die über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen nur in ihren Auswirkungen, also nicht über "civil rights" selbst entstanden seien, wie etwa die Erteilung einer Bewilligung zum Bau eines Hauses (B267/86) oder einer Straße (B874/87); jedenfalls in derartigen Fällen genüge die nachprüfende Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes den Anforderungen des Art6 Abs1 MRK.

Die aus einer Apothekenkonzession erfließenden Rechte sind mithin nicht zum Kernbereich der "civil rights" zu zählen. Der Entzug einer Apothekenkonzession greift daher nicht in diesen Bereich ein. Es widerspricht nach dem Gesagten nicht dem Art6 MRK (in jener Bedeutung, die ihm als innerstaatlichen Verfassungsrecht zukommt), wenn der Konzessionsentzug durch eine nicht den Anforderungen dieser Konventionsbestimmung entsprechende Behörde (eine Verwaltungsbehörde im herkömmlichen Sinn) unter der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes verfügt wird.

An diesem Ergebnis ändert nichts, daß der EGMR (zuletzt im Fall Pudas, EuGRZ 1988, 448) die Ansicht vertritt, daß es sich beim Widerruf (Entzug) einer Konzession um eine "Streitigkeit" handle, die einen "zivilrechtlichen Anspruch" iSd Art6 Abs1 MRK betreffe, die letztendlich von einem Gericht im Sinn dieser Konventionsnorm zu entscheiden sei.

Der im §19 Abs2 Z1 iVm §3 Abs1 Z6 ApG vorgesehene Entzug der Apothekenkonzession wegen nicht mehr vorliegender Verläßlichkeit zum Betrieb einer Apotheke ist keine Entscheidung über eine "strafrechtliche Anklage" iSd Art6 MRK (siehe E v 14.10.87, G181/86).

Im vorliegenden Fall war der Entzug der Apothekenkonzession zwar die Folge einer von einem Strafgericht (einem Tribunal iSd Art6 MRK) ausgesprochenen Verurteilung. Selbst hier stellt der Entzug der Apothekenkonzession aber eine Maßnahme dar, die ihrerseits nicht auf Bestrafung abzielt, sondern die eine im öffentlichen Interesse gelegene administrative Maßnahme ist. Der Verlust der Verläßlichkeit zum Betrieb einer Apotheke kann jedoch keineswegs nur aus einem strafgerichtlich geahndeten Verhalten erschlossen werden; vielmehr kann sich der Verlust der Verläßlichkeit auch aus anderen, vom Apotheker völlig unverschuldeten Umständen ergeben, etwa aus dem Verlust der körperlichen oder gesundheitlichen Eignung (vgl. §19 Abs2 Z1 iVm §3 Abs1 Z6 ApG).

Keine Verletzung im Recht auf Zugang zu Gericht iSd Art6 Abs1

MRK.

Die Entziehung einer Apothekenkonzession greift in das durch Art6 StGG verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.

Eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, ist nur zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet und adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist.

Was für die den Erwerbsantritt behindernden Vorschriften gilt, gilt gleicherweise auch für Bestimmung über den Entzug einer Gewerbeberechtigung oder einer ähnlichen Berechtigung.

Nun steht es im Hinblick auf die besondere Bedeutung für die menschliche Gesundheit außer jedem Zweifel, daß es im öffentlichen Interesse liegt, wenn öffentliche Apotheken nur von entsprechend befähigten und verläßlichen Personen betrieben werden, und daß es ein geradezu unverzichtbares, aber auch adäquates Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist, Apothekern, die die gebotene Verläßlichkeit nicht (mehr) besitzen, die Konzession zu entziehen.

Unter Verläßlichkeit in der Bedeutung des §3 Abs1 Z6 iVm §19 Abs2 Z1 ApG ist die spezifische Eignung mit Beziehung auf den Betrieb einer Apotheke zu verstehen. Diese Vorschriften legen es - entgegen der Meinung der Beschwerdeführer - nicht ins Belieben der Behörde, die Apothekenkonzession auch bei geringfügigen Gesetzesverletzungen zu entziehen. Vielmehr sind sie - dem Art18 B-VG genügend - einer Auslegung derart zugänglich, daß die von der Behörde getroffene Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof und vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen ihrer Prüfungskompetenz auf die Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden kann (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum unbestimmten Rechtsbegriff, zB VfSlg. 8395/1978, 10158/1984). Unter Beachtung des Gesetzeszweckes ergeben sich nämlich im Zusammenhalt mit den übrigen Bestimmungen des ApG genügend Anhaltspunkte dafür, unter welchen Voraussetzungen die spezifische Verläßlichkeit zum Betrieb einer Apotheke fehlt.

Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, darf die Behörde die Apothekenkonzession entziehen. Sind diese Voraussetzungen aber gegeben, so ist der Entzug der Apothekenkonzession im Hinblick auf den besonders hohen Wert der menschlichen Gesundheit zur Erreichung des oben erwähnten Zieles durchaus adäquat. Allein wegen dieser besonderen Bedeutung der Apotheken für die Volksgesundheit ist im übrigen der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gelangt, daß die Verleihung einer Apothekenkonzession der Sache nach vom Vorliegen eines Bedarfes abhängig gemacht werden darf (vgl. VfSlg. 10386/1985).

Die Behörde durfte - ohne das Adäquanzprinzip zu verletzen - das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführer am Weiterbetrieb der Apotheke demgegenüber in den Hintergrund treten lassen.

Der Verlust der Verläßlichkeit in bezug auf den Betrieb einer Apotheke ist mit jener in bezug auf einen Gewerbebetrieb nach der GewO nicht vergleichbar. Dem Gesetzgeber kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn er es als wünschenswert erachtet, daß eine Apotheke wenn möglich vom Konzessionsinhaber selbst (also nicht etwa von einem Pächter oder verantwortlichen Leiter) geführt wird.

Es war keinesfalls völlig verfehlt und indiziert daher keine Willkür, wenn die Behörde den Abschluß des gegen die Beschwerdeführer anhängigen Disziplinarverfahrens nicht abgewartet hat.

Art103 Abs4 B-VG statuiert den Grundsatz, daß der Instanzenzug in mittelbarer Bundesverwaltung beim Landeshauptmann endet, wenn dieser als Rechtsmittelbehörde zu entscheiden hat. Von diesem Prinzip ist eine Ausnahme dann erlaubt, wenn sie wegen der Bedeutung der Angelegenheit gerechtfertigt ist. Wortlaut und Sinn dieser Verfassungsbestimmung lassen es aber nicht zu, aus ihr das Gebot zu erschließen, bei bedeutsamen Angelegenheiten vom erwähnten Grundsatz abzuweichen und einen Instanzenzug bis zum Bundesminister vorzusehen.

Der Gesetzgeber hat den ihm von verfassungswegen auch für die Gestaltung des Instanzenzuges eingeräumten Spielraum hier nicht überschritten. Ein Vergleich zwischen dem Verfahren zur Verleihung einer Apothekenkonzession und jenem zum Entzug einer solchen Konzession ist schon deshalb nicht am Platz, weil das öffentliche Interesse an einer gesicherten Heilmittelversorgung bei einer Konzessionsverleihung wesentlich mehr im Vordergrund steht als bei einem Konzessionsentzug und daher jeweils (auch) andere Fragen zu beurteilen sind.

Vermögenswerte Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur sind nicht Schutzobjekt dieses Grundrechtes.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Privatrecht - öffentliches Recht, Zivilrecht, Berufsrecht Apotheken, Konzessionserteilung (Apotheken), VfGH / Prüfungsmaßstab, Auslegung völkerrechtliche Verträge, Strafrecht, Strafprozeßrecht, Adäquanzprinzip, Rechtsbegriffe unbestimmte, Bundesverwaltung mittelbare

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1450.1988

Dokumentnummer

JFR_10118787_88B01450_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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