RS Vfgh 1988/12/15 B1385/88

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Veröffentlicht am 15.12.1988
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/14 Hochschülerschaft

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
VerbotsG §3
HochschülerschaftsG 1973 §15
HochschülerschaftsG 1973 §15 Abs9
HochschülerschaftsG 1973 §16 Abs12
AVG §39
Hochschülerschafts-WahlO 1983 §42
Hochschülerschafts-WahlO 1983 §42 Abs1
Hochschülerschafts-WahlO 1983 §42 Abs4
AVG §66 Abs4
AVG §73
VfGG §83
VfGG §87 Abs2
EGVG ArtII Abs2 litB Z27

Leitsatz

HochschülerschaftswahlO; VerbotsG; Zulassung einer wahlwerbenden Gruppe ohne von amtswegen zu klären, ob die Kandidatur eine Wiederbetätigung iS des §3 VerbotsG darstellt - willkürliche Gesetzesanwendung durch Unterlassen jeglichen Ermittlungsverfahrens

Rechtssatz

Der bekämpfte, über einen Einspruch der beschwerdeführenden Partei (die eine der wahlwerbenden Gruppen war) gegen die Wahl zum Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft vom Mai 1987 absprechende Bescheid berührt daher den beschwerdeführenden VSStÖ als Partei des Einspruchsverfahrens in seinen Rechten (vgl. VfSlg. 10090/1984). Der VSStÖ ist daher beschwerdelegitimiert.

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erk. VfSlg. 10705/1985 ausführlich dargetan hat, ist jede Wahlbehörde (so auch die Wahlkommission bei der österreichischen Hochschülerschaft) aufgrund des §3 VerbotsG verpflichtet, zu untersuchen, ob das Einbringen eines Wahlvorschlages durch eine wahlwerbende Gruppe (hier der "Grünen - Die Grünen österreichs") einen Akt nationalsozialistischer Wiederbetätigung darstellt. Denn §3 VerbotsG ist auch dann anwendbar, wenn das für die Behörde maßgebende Gesetz seine Beachtung nicht ausdrücklich oder durch einen allgemeinen Vorbehalt der Rechtmäßigkeit des Vorhabens oder Begehrens vorschreibt. Wenn sich bei der Prüfung, die von der Behörde vorzunehmen ist, herausstellt, daß das Einbringen des Wahlvorschlages einen Akt nationalsozialistischer Wiederbetätigung darstellt, ist der Wahlvorschlag nicht zuzulassen.

Die Behörde ist verhalten, dies im Zuge eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens zu klären. Fraglich kann nur sein, ob die Behörde in der Lage ist, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln das Vorliegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verläßlich feststellen zu können. Nur ein der Wahlbehörde evidenter oder mit ihren Mitteln innerhalb des eng begrenzten zeitlichen Rahmens feststellbarer - liquider - Verstoß gegen §3 VerbotsG, begangen durch Einbringung des Wahlvorschlages selbst (wenngleich unter Heranziehung der begleitenden Wahlwerbung), kann - und muß - schon im Wahlverfahrens aufgegriffen werden (siehe auch hiezu VfSlg. 10705/1985).

Die Wahlbehörde hat mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln von amtswegen die Frage zu klären, ob die Kandidatur eine nationalsozialistische Wiederbetätigung iSd §3 VerbotsG darstellt. Sie darf sich nicht damit begnügen, ihr Urteil aus Informationsquellen zu schöpfen, die ihr ohne ihr Zutun zur Verfügung gestellt werden; sie hat vielmehr - sofern hiefür die Zeit ausreicht - von sich aus entsprechend tätig zu werden (vgl. §39 Abs2 AVG 1950 iVm ArtII Abs2 litb Z27 EGVG 1950).

Die Wahlkommission ging offenbar von der verfehlten Rechtsansicht aus, daß sie sich darauf zu beschränken habe, das ihr zugekommene Wahlmaterial zu sichten, ohne selbst tätig werden zu müssen, und daß dieses Material ohne Beachtung des Umfeldes, in dem die wahlwerbende Gruppe stand, zu beurteilen sei. Von dieser unzutreffenden Meinung ausgehend unterließ sie jegliches sachdienliche Ermittlungsverfahren (mit Hinweis auf VfSlg. 10705/1985).

Der Bundesminister als Einspruchsbehörde griff die gravierenden Verfahrensfehler der Wahlkommission nicht auf. Er bestätigte vielmehr mit der Begründung des angefochtenen Bescheides die unzutreffende Rechtsansicht der Wahlkommission und attestierte, daß die Zulassung des Wahlvorschlages der in Rede stehenden wahlwerbenden Gruppe frei von Verfahrensmängeln erfolgt sei. Auch der Bundesminister meint - völlig verfehlt -, die Wahlkommission könne sich bei Beurteilung der Frage, ob die Kandidatur eine Wiederbetätigung iSd §3 VerbotsG darstelle, auf das ihr (ohne ihr Zutun) "vorgelegte" Material beschränken.

Zulassung einer wahlwerbenden Gruppe zur Hochschülerschaftswahl, deren Kandidatur einen Akt nationalsozialistischer Wiederbetätigung iSd §3 VebotsG darstellt, ohne ausreichendes Ermittlungsverfahrens.

Der Bundesminister hat bei Vorliegen von relevanten Verfahrensmängeln nicht in der Sache zu entscheiden, sondern die Wahl für ungültig zu erklären. Diese spezielle Vorschrift geht der allgemeinen des §66 Abs4 AVG vor.

In Bindung an die Rechtsanschauung des (§87 Abs2 VfGG) wird der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung ohne weiteres Verfahren unverzüglich einen dem Einspruch des VSStÖ stattgebenden Ersatzbescheid zu erlassen haben, mit dem die 1987 stattgefundene Wahl des Zentralausschusses für ungültig erklärt wird.

Sodann wird gemäß §15 Abs9 HSchG und §42 Abs4 HSchWO vorzugehen sein. Diesen Vorschriften zufolge wird die zu wiederholende Wahl als Neuwahl zum nächsten Wahltermin durchzuführen sein. Die Ursache für diesen Zusammenfall von Wiederholungswahl und Neuwahl (und damit für den dem Sinn einer Wiederholungswahl an sich widersprechenden endgültigen Ausfall einer gültigen Wahl für die Funktionsperiode 1987/89) und dafür, daß ein gesetzwidrig Gewählter eine volle - zweijährige - Funktionsperiode lang ein Mandat ausgeübt haben wird, liegt darin, daß der Bundesminister über den vom VSStÖ am 10.06.87 erhobenen Einspruch erst mit einjähriger Verspätung, nämlich erst am 13.06.88, entschied, sowie darin, daß er die für die Entscheidung erforderlichen Verwaltungsakten und die Gegenschrift in diesem verfassungsrechtlichen Verfahren nicht fristgerecht vorlegte.

Nicht fristgerechte Vorlage der Akten und der Gegenschrift.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Hochschülerschaft, Wahlen, Wahlbehörden, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Berufung, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1385.1988

Dokumentnummer

JFR_10118785_88B01385_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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