RS Vfgh 1989/3/7 G186/88

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Veröffentlicht am 07.03.1989
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Index

98 Wohnbau
98/05 Sonstiges

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
MRK Art6 Abs1 / civil rights
ABGB §1
KleingartenG §5 Abs3
KleingartenG §5 Abs4

Leitsatz

Regelungen des Pachtzinses zählen zum Kernbereich des Zivilrechts; nachprüfende Kontrolle der Entscheidungen von Verwaltungsbehörden durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht ausreichend iS des Art6 Abs1 MRK; §5 Abs3 sowie des §5 Abs4 KleingartenG verfassungswidrig

Rechtssatz

Anzuwenden ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht nur §5 Abs4 des KleingartenG in seiner Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, weil sich daraus die zum Zeitpunkt der Erlassung des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides dafür zuständige Behörde ergibt; vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof §5 Abs4 KleingartenG auch idF des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, anzuwenden, weil sich aus der durch dieses Gesetz neu geregelten Vorschrift des litC Z24 des Teiles 2 der Anlage zum §2 des BundesministerienG 1986 iVm. ArtVII Abs1 jenes Gesetzes ergibt, daß der Verwaltungsgerichtshof das bei ihm anhängige Verfahren mit dem nunmehr für den Vollzug des §5 Abs4 KleingartenG zuständigen Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten durchzuführen hat.

§5 Abs3 sowie §5 Abs4 des Bundesgesetzes vom 16.12.1958, BGBl. 6/1959, über die Regelung des Kleingartenwesens (KleingartenG), idF des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

§5 Abs4 des Bundesgesetzes vom 16.12.1958, BGBl. 6/1959, über die Regelung des Kleingartenwesens (KleingartenG), idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, war verfassungswidrig.

Diese Vorschriften verstoßen gegen das Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht (Tribunal) gehört zu werden, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.

Ein "Streit über die Angemessenheit des vereinbarten Pachtzinses" oder "über die Änderung des Pachtzinses" hat "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" iS des Art6 Abs1 MRK zum Gegenstand.

Die Vereinbarung der Höhe des Pachtzinses, die wesentlicher Bestandteil eines zivilrechtlichen Vertrages ist, muß jedenfalls insoweit, als dadurch das Rechtsverhältnis zwischen Verpächter und Pächter festgelegt oder geändert wird, als zivilrechtliche Frage qualifiziert werden. Aus §1 ABGB läßt sich ableiten, daß jene Rechtsverhältnisse und -ansprüche dem Privatrecht zuzuzählen sind, die "zwischen den Einwohnern des Staates, also den natürlichen und juristischen Personen als Rechtssubjekten" bestehen (Bydlinski in Rummel, ABGB, RZ 5 zu §1).

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in VfSlg. 9580/1982 ausgesprochen (und in seinem Erkenntnis vom 24.6.1988, G1/88 u.a. wiederholt), daß jene Rechtsbeziehungen Gegenstand des Privatrechts sind, bei denen es im Sinne des §1 ABGB "um das Verhältnis zwischen den Beteiligten selbst geht". Klassische Aufgabe des Privatrechts ist es, so hat er formuliert, die gegenüber den Mitbürgern bestehenden Rechtspositionen zu umschreiben.

Auch wenn aus besonderen Gründen ein öffentliches Interesse an einem bestimmten Rechtszustand besteht, macht eine von diesem Interesse bestimmte Regelung des Verhältnisses zwischen den Rechtsgenossen dieses noch nicht zu einer Materie des öffentlichen Rechts. Auch dann bleibt eine Regelung der Beziehungen der Bürger "unter sich" ihrer Struktur nach Zivilrecht. Die Höhe eines Pachtzinses bildet eine derartige Regelung der Beziehungen von Bürgern "unter sich", nämlich eine Regelung der Leistungspflicht des Pächters gegenüber dem Verpächter. Eine vom Gesetz vorgesehene behördliche Änderung der Höhe des Pachtzinses gestaltet und suppliert somit ein Element der Rechtsbeziehungen von Bürgern "unter sich", das sonst den Gegenstand zivilrechtlicher Verträge bildet (mit Hinweis auf VfSlg. 2820/1955 und 9580/1982 sowie zur Geschichte von Pachtzinsregelungen für Schrebergärten - Pachtzinsregelungen zählen zur traditionellen Ziviljustiz und damit zum Zivilrecht in seinem Kernbereich).

Über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen hat ein Tribunal selbst zu entscheiden (Erk. des VfGH G129/87 u.a. vom 16. Dezember 1987 - NÖ. Jagdgesetz - , G211, 212/87 vom 10. März 1988 - Bgld. Jagdgesetz - und G1/88 u.a. vom 24. Juni 1988 - Enteignungsentschädigung). Dieses letztlich in der Zivilrechtssache maßgebliche Tribunal muß aufgrund selbständiger Feststellung und Würdigung der Tat- und Rechtsfragen seine Sachentscheidung fällen. Die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts reicht für die Entscheidung über Angelegenheiten des Kernbereichs der "civil rights" iS des Art6 Abs1 MRK, sohin auch für die Entscheidung über Anträge auf Änderung des Pachtzinses gemäß §5 KleingartenG, nicht aus.

Da weder der Bundesminister für soziale Verwaltung, noch der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, noch der Landeshauptmann von Wien (der über die Berufung gegen die Entscheidung des Magistrates Wien als Bezirksverwaltungsbehörde im Falle der Beseitigung der Zuständigkeit des Bundesministers zu entscheiden hat) mit den Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gemäß Art6 Abs1 MRK ausgestattete Gerichte (Tribunale) sind, geschweige denn, daß die erstinstanzliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde den verfassungsrechtlichen Ansprüchen nach Art6 Abs1 MRK genügt, sind entsprechend dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes §5 Abs3 sowie §5 Abs4 des KleingartenG idF des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, als verfassungswidrig aufzuheben. Ferner ist festzustellen, daß §5 Abs4 des KleingartenG idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 78/1987, verfassungswidrig war.

Im Hinblick auf die Art des Verfassungsverstoßes sieht sich der Gerichtshof nicht veranlaßt, für das Inkrafttreten der Aufhebung des §5 Abs3 erster Satz und des §5 Abs4 KleingartenG eine Frist zu setzen. Auch legistische Vorkehrungen, von denen die Bundesregierung in ihrem Antrag spricht, erscheinen diesbezüglich nicht unbedingt erforderlich, weil nach Aufhebung der im Spruch angeführten Gesetzesbestimmungen über die Angemessenheit des vereinbarten Pachtzinses oder über die Änderung des Pachtzinses in durchaus konventionskonformer Weise die dann kraft §1 JN zuständigen ordentlichen Gerichte entscheiden können. Hingegen hält es der Verfassungsgerichtshof nicht für ausgeschlossen, daß die Beseitigung der Antragsfrist in §5 Abs3 zweiter Satz KleingartenG vom Gesetzgeber zum Anlaß für eine Neuregelung genommen wird. Der Gerichtshof hat daher insoweit von der Ermächtigung des Art140 Abs5 B-VG Gebrauch gemacht und für das Außerkrafttreten des §5 Abs3 zweiter Satz KleingartenG eine Frist bestimmt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Kleingartengesetz, Zivilrecht / Schuldrecht / Pacht, VfGH / Fristsetzung, civil rights, Tribunal

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G186.1988

Dokumentnummer

JFR_10109693_88G00186_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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