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40 VerwaltungsverfahrenNorm
B-VG Art10 Abs1 Z1Leitsatz
Straftatbestand des ArtIX Abs1 Z7 EGVG 1950 idF BGBl. 248/1986 betreffend das Verbot des Verbreitens nationalsozialistischen Gedankengutes im Sinn des Verbotsgesetzes hat den Zweck, ärgerniserregenden Unfug hintanzuhalten; Präzisierung bestehenden Rechtes; vom Vorbehalt zu Art5 MRK erfaßte Strafbestimmung; keine Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen NormRechtssatz
Da dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, Sinnloses anzuordnen, muß der Straftatbestand des ArtIX Abs1 Z7 EGVG 1950 grundsätzlich ein anderes Verhalten erfassen als das VerbotsG, das insbesondere in den §§3d und 3g gleichfalls das Verbreiten nationalsozialistischen Gedankengutes pönalisiert. Die beiden gesetzlichen Tatbestände umschreiben indessen nur scheinbar Identes. Während nämlich das VerbotsG im wesentlichen ein vorsätzliches Verhalten mit gerichtlicher Strafe bedroht, das darauf abzielt, das Wiedererstehen des Nationalsozialismus in Österreich zu bewirken, stellt ArtIX Abs1 Z7 EGVG 1950 ein Verhalten unter Verwaltungsstrafe, das dem im VerbotsG umschriebenen zwar ähnelt, dem aber der für die Strafbarkeit nach dem VerbotsG geforderte besondere Vorsatz mangelt, in Österreich wieder ein nationalsozialistisches Regime zu installieren; vielmehr geht es hier um die verwaltungsstrafrechtliche Ahndung eines Verhaltens, das dadurch, daß es - wenngleich fälschlich - den Eindruck erweckt, es werde Wiederbetätigung iS des VerbotsG betrieben (dem aber tatsächlich der dahin gehende Vorsatz mangelt), objektiv als öffentliches Ärgernis erregender Unfug bestimmter Art empfunden wird.
ArtIX Abs1 Z7 EGVG hebt keine bestimmten Verhaltensweisen aus dem Kreis verbotener Wiederbetätigung heraus und erweitert diesen Kreis auch nicht. Zweck dieses Tatbestandes ist nicht der des VerbotsG, nämlich den Staat vor dem Wiedererstehen des Nationalsozialismus zu schützen, sondern ärgerniserregenden Unfug hintanzuhalten.
ArtIX Abs1 Z7 EGVG 1950 regelt kein politisches Delikt, sodaß allein schon deshalb Art91 Abs2 B-VG nicht in Betracht zu ziehen ist.
Der zu Art5 MRK abgegebene Vorbehalt schließt auch die Anwendung des Art6 MRK aus. Er umfaßt seinem Sinn nach zumindest auch jene Gesetze, die zwar nach Erklärung des Vorbehaltes erlassen wurden, die aber keine nachträgliche Erweiterung jenes materiell-rechtlichen Bereiches bewirken, der durch die Abgabe des Vorbehaltes ausgeschlossen werden sollte (vgl. zB VfSlg. 8234/1978, 8428/1978, 10291/1984).
Vom Vorbehalt sind daher Strafbestimmungen auch dann gedeckt, wenn gleichartige Straftatbestände bereits in Verwaltungsvorschriften enthalten waren, die vor dem 03.09.1958 erlassen wurden; so sind etwa Strafbestimmungen in der StVO 1960 und im KFG 1967 (VfSlg. 8234/1978, 10291/1984), im WeinG (VfGH 16.06.1987 G141, 142/86), in Prostitutionsvorschriften (VfGH 17.06.1987 B491/86) und im FeiertagsruheG (VfGH 27.11.1987 B1233/86 ua. Zlen) vom Vorbehalt erfaßt, nicht jedoch solche im ZDG (VfGH 01.10.1988 G164-166/88).
Entgegen der den parlamentarischen Materialien zugrundeliegenden Meinung, die Kompetenz zur Erlassung des ArtIX Abs1 Z7 EGVG ergebe sich aus Art10 Abs1 Z1 B-VG ("Bundesverfassung") - gehört diese der Bekämpfung von ärgerniserregendem Unfug dienende Verwaltungsstrafbestimmung zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" (Art10 Abs1 Z7 B-VG). Mit der EGVG-Novelle 1986 wurde lediglich bereits bestehendes Recht präzisiert; das nun im ArtIX Abs1 Z7 EGVG umschriebene Tatbild ist nämlich nur eine spezielle Ausformung der Ordnungsstörung iS des ArtIX Abs1 Z1 EGVG idgF und iS des inhaltlich gleichen ArtVIII Abs1 lita (1. Fall) EGVG 1950 in der 1958 in Geltung gestandenen Fassung.
Das gleiche Verhalten, das nun von ArtIX Abs1 Z7 EGVG 1950 idF der Novelle 1986 umschrieben wird, stand bereits bei Abgabe des österreichischen Vorbehaltes (03.09.1958) unter Verwaltungsstrafsanktion; diese Strafbestimmung ist infolgedessen vom österreichischen Vorbehalt zu Art5 MRK erfaßt.
Da der Beschwerdeführer nur die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet hat, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung eines anderen (verfassungsgesetzlich gewährleisteten) Rechtes vorliegt (zB VfSlg. 9607/1983).
Schlagworte
Nationalsozialisten, Polizeirecht, Ordnungsstörung, Auslegung, Kompetenz Bund - Länder Sicherheitspolizei allgemeine, VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1824.1988Dokumentnummer
JFR_10109693_88B01824_01