RS Vfgh 1989/3/9 G220/88, G221/88, G237/88

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 09.03.1989
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Index

94 Schiffahrt
94/03 Sonstiges

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung / Gesetz
BVG Umweltschutz
Binnenschiffahrts-KonzessionsG §5 Abs2 Z6

Leitsatz

Beschränkung des mit Motorbooten betriebenen Gelegenheitsverkehrs aus Gründen des Umweltschutzes im öffentlichen Interesse gelegen; Bedarfsprüfung adäquates Mittel zur Zielerreichung; kein Verstoß des §5 Abs2 Z6 Binnenschiffahrts-KonzessionsG gegen die Erwerbsausübungsfreiheit

Rechtssatz

Der Gesetzgeber ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3968/1961, 4011/1961, 5871/1968) dem Art6 StGG zufolge ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Umständen verboten sind (also auch den Erwerbsantritt behindernde Vorschriften zu erlassen), sofern er dabei den Wesensgehalt des Grundrechtes nicht verletzt und die Regelung auch sonst nicht verfassungswidrig ist.

Die jüngere Judikatur (zB VfSlg. 10179/1984, 10386/1985, 10932/1986; VfGH 05.03.1987 G174/86, 06.10.1987 G1/87, 01.12.1987 G132/87) hat dies dahin ergänzt und präzisiert, daß gesetzliche, die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkende Regelungen nur dann zulässig sind, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet und adäquat sind und auch sonst sachlich gerechtfertigt werden können (siehe auch die in VfSlg. 10932/1986 zitierte Literatur).

Dem einfachen Gesetzgeber ist bei der Entscheidung, welche Ziele er mit seinen Regelungen verfolgt, innerhalb der Schranken der Verfassung ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu beurteilen, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles etwa aus wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Gründen zweckmäßig ist. Er kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (vgl. etwa VfSlg. 9911/1983 und die oben zitierte Judikatur).

Errichtet das Gesetz eine Schranke schon für den Antritt eines Gewerbes, die der Betroffene, der alle subjektiven Voraussetzungen erfüllt, aus eigener Kraft nicht überwinden kann - eine Schranke, wie sie etwa eine Bedarfsprüfung darstellt -, so liegt grundsätzlich ein schwerer Eingriff in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit vor, der nur angemessen ist, wenn dafür besonders wichtige öffentliche Interessen sprechen und wenn keine Alternativen bestehen, um den erstrebten Zweck in einer gleich wirksamen, aber die Grundrechte weniger einschränkenden Weise zu erreichen (siehe auch hiezu die oben zitierte Rechtsprechung).

Der Konkurrenzschutz liegt prinzipiell nicht im öffentlichen Interesse und rechtfertigt daher grundsätzlich nicht die Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit.

Es kommt für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nicht darauf an, ob die Verfasser des Gesetzesentwurfes sämtliche Auswirkungen des beabsichtigten Gesetzes gewollt und bedacht haben, sondern darauf, welchen Inhalt das Gesetz bei objektiver Betrachtung hat und ob es bei diesem Inhalt heute vor der Verfassung bestehen kann (vgl. zB VfSlg. 10.692/1985).

Das BVG vom 27.11.1984, BGBl. 491, bezeichnet ausdrücklich den umfassenden Umweltschutz als Staatsziel.

Bei dieser Verfassungsrechtslage steht es von vornherein außer Frage, daß es im öffentlichen Interesse liegt, Belange des Umweltschutzes zu wahren (vgl. zB VfSlg. 10.791/1986; VfGH 11.03.1987 G169/86). Keiner weiteren Erörterung bedarf es auch, daß das erwähnte Staatsziel durch den Motorbootverkehr auf Seen in mehrfacher Weise gefährdet wird, dies ganz besonders bei kleineren Gewässern.

Keinesfalls kann der Vorwurf erhoben werden, eine Regelung, die auf eine weitgehende Beschränkung des Motorbootverkehrs auf den österreichischen Seen abzielt, liege nicht im öffentlichen Interesse.

Der private Motorbootverkehr auf Seen ist durch §11 des SchiffahrtspolizeiG, BGBl. 91/1971 idF der Novelle BGBl. 103/1979, und die dazu ergangenen Durchführungsverordnungen (siehe zB die Oö. Seen-VerkehrsV, LGBl. 33/1980 idF LGBl. 47/1983) (saisonal) überhaupt unterbunden oder zumindest stark reduziert und der Gelegenheitsverkehr auf Binnengewässern dient weitaus überwiegend Vergnügungszwecken. Schon dadurch unterscheidet sich der Gelegenheitsverkehr mit Schiffen ganz wesentlich von jenem mit Taxis oder von der Güterbeförderung mit LKW (vgl. hiezu VfSlg. 10.932/1986 und VfGH 06.10.1987 G1/87).

Eine Beschränkung des mit Motorbooten betriebenen Gelegenheitsverkehrs - die (sowohl bei Erteilung einer neuen Konzession als auch bei Erweiterung einer bestehenden Konzession) im Wege der Bedarfsprüfung erreichbar ist - kann zu einer weitgehenden Reduzierung des Motorbootverkehrs führen. Die Bedarfsprüfung ist mithin ein taugliches Mittel, um dem angestrebten Umweltschutz zu dienen.

Selbst eine sehr weitgehende Verminderung des Motorbootverkehrs auf Seen bewirkt keine Gefährdung der Volkswirtschaft.

Im Gegensatz etwa zu den mit hg. Erk. VfSlg. 10.932/1986 (Gelegenheitsverkehr mit Taxis) sowie VfGH 05.03.1987 G174/86 (Fahrschulen) und 06.10.1987 G1/87 (Güterbeförderung auf Straßen) aufgehobenen Bestimmungen gibt es hier keine sinnvolle Alternative zur Bedarfsprüfung. Zwar wäre es denkbar, eine durch die Bedarfsprüfung nicht beschränkte Zahl von Motorboot-Konzessionen auszugeben und dann durch Vorschriften auf den soeben erwähnten Gebieten den Motorboot-Betrieb derart zu beschränken, daß jeweils nur ein (kleiner) Teil der dem Gelegenheitsverkehr dienenden Motorboote den See befahren darf. Damit würde aber verboten, die erteilten Konzessionen auszunützen und die Schiffe betriebswirtschaftlich sinnvoll einzusetzen, ein Effekt, der wiederum auf eine - zu Recht den Unmut der Konzessionsinhaber hervorrufende - Einschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit hinausliefe und der niemandem, auch nicht den Fahrgästen, etwas nützte, sondern der wegen der verlorenen Investitionen volkswirtschaftlich abzulehnen ist.

Die Bedarfsprüfung ist hier (ausnahmsweise) ein adäquates und auch sonst sachlich zu rechtfertigendes Mittel zur Zielerreichung. Daß sie auch dem Schutz bestehender Betriebe vor neuer Konkurrenz dient, hindert diese Betrachtungsweise nicht.

§5 Abs2 Z6 des Binnenschiffahrts-KonzessionsG, BGBl. 533/1978 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsmaßstab, Schiffahrt, Umweltschutz, Erwerbsausübungsfreiheit, Gelegenheitsverkehr / Motorboot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G220.1988

Dokumentnummer

JFR_10109691_88G00220_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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