RS Vfgh 1989/3/9 V19/88

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Veröffentlicht am 09.03.1989
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7400 Fremdenverkehr

Norm

B-VG Art18 Abs2 / Verordnung Verfahren gesetzwidrig
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz für das Jahr 1970
Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz für das Jahr 1973
Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten für das Jahr 1977
Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten für das Jahr 1978
Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten für das Jahr 1979
Tir FremdenverkehrsG 1976 §8
Tir FremdenverkehrsG 1976 §32
AVG 1950 §19

Leitsatz

Promillesatzverordnungen Tir. Fremdenverkehrsverbände wegen fehlender (von der Behörde nachzuweisender) Ladung von Mitgliedern zur Vollversammlung gesetzwidrig

Rechtssatz

Verordnungscharakter des durch die Vollversammlung eines Tiroler Fremdenverkehrsverbandes festgesetzten Promillesatzes für die Pflichtbeiträge der Mitglieder (VfSlg. 5813/1968).

Ungeachtet des möglichen Eintritts der absoluten Verjährung für die Beitragsschuld ist es nicht denkunmöglich, die Beschwerdeführerin des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch den angefochtenen Bescheid auch hinsichtlich der Beitragsvorschreibung für das Jahr 1970 als beschwert anzusehen. Der Verfassungsgerichtshof vermag sohin dem Verwaltungsgerichtshof nicht entgegenzutreten, wenn dieser die Auffassung vertritt, daß er auch die Beitragsvorschreibung für das Jahr 1970 auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und dabei die Promillesatzverordnung für das genannte Jahr anzuwenden hat.

Mit dem Verwaltungsgerichtshof vertritt der Verfassungsgerichtshof die Auffassung, daß der mit §8 Tir. FremdenverkehrsG geschaffenen Rechtslage zufolge die Beschlußfähigkeit der Vollversammlung zur Voraussetzung hat, daß alle Mitglieder schriftlich unter Bekanntgabe der Tagesordnung einzuladen sind und daß daher eine sonstige Kundmachung des Termins und der Tagesordnung der Vollversammlung nicht ausreicht, um die Beschlußfähigkeit der Vollversammlung sicherzustellen.

Die Ladung bedarf, abgesehen von ihrer Schriftlichkeit, keiner bestimmten Form. Wird die behauptete schriftliche Ladung jedoch von einem Mitglied der Vollversammlung bestritten, so ist es Sache der Behörde, den Nachweis der Ladung zu erbringen.

Hat die Behörde einen Zustellnachweis für entbehrlich gefunden, so muß sie auch die Folgen auf sich nehmen, wenn sie späterhin der Behauptung der Partei, sie hätte ein amtliches Schriftstück nicht empfangen (und daher von der amtlichen Mitteilung keine Kenntnis erlangt), nicht wirksam entgegenzutreten vermag (so schon VwSlg. 15157 A/1928). Dabei kann nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes der Nachweis einer pauschal abgefertigten Mehrzahl von Ladungen deren Nachweis im Einzelfall, sofern der Empfang der Ladung von einem Adressaten bestritten wird, nicht ersetzen (mit Hinweisen auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und Verwaltungsgerichtshofes).

Für die Ladung zur Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz vom 04.02.1970, bei der die Promillesatzverordnung für das Jahr 1970 festgelegt wurde, fehlt es auf Grund der dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung gestellten Unterlagen an jedwedem Nachweis der erfolgten Ladung der Beschwerdeführerin des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bzw. ihres Rechtsvorgängers.

Durch die Pauschalbehauptung (der Ladung per als Drucksache versandten, maschinell adressierten Brief) ist, auch wenn die in ihr ausgedrückte Vorgangsweise bei der Ladung keinen Anlaß zu Zweifeln bietet, keineswegs sichergestellt, daß jeder Adressat die für ihn bestimmte Ladung tatsächlich erhielt. Da die Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz bei ihrem Beschluß vom 04.02.1970 über die Promillesatzverordnung für das Jahr 1970 mangels (von der Behörde nachzuweisender) Ladung eines Mitgliedes nicht beschlußfähig war, ist die Promillesatzverordnung für das Jahr 1970 als gesetzwidrig aufzuheben.

Die persönliche Ladung der Beschwerdeführerin des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten vom 23.03.1977, bei der die Promillesatzverordnung für das Jahr 1977 beschlossen wurde, läßt sich, wie schon die Tiroler Landesregierung zugesteht, nicht nachweisen. Daß für die Einberufung der Vollversammlung Klebeetiketten verwendet wurden, die unter Zuhilfenahme einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage auf Grund der zu den Vollversammlungen ausgearbeiteten Stimmgruppenlisten erstellt wurden, vermag dem Nachweis der Ladung der Mitglieder der Vollversammlung ebensowenig zu dienen, wie die Eintragung in das Portobuch, derzufolge insgesamt 890 Einladungen zu dieser Vollversammlung versandt wurden.

Die Promillesatzverordnung für das Jahr 1977 war sohin vom Verfassungsgerichtshof mangels gehöriger Ladung der Beschwerdeführerin und damit wegen fehlender Beschlußfähigkeit der Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten vom 23.03.1977 als gesetzwidrig aufzuheben.

Abgesehen von der pauschal abgegebenen Aussage des Obmannes und des Geschäftsführers des Fremdenverkehrsverbandes, wonach an die Beschwerdeführerin bzw. ihren Rechtsvorgänger - wohl nur vereinzelt - eingeschriebene Einladungen ergingen, läßt sich nicht belegen, daß die eingeschriebene Einladung an die Beschwerdeführerin gerichtet war.

Mangels gehöriger Ladung der Beschwerdeführerin und damit wegen fehlender Beschlußfähigkeit der Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten am 26.04.1978 ist die von der Vollversammlung beschlossene Promillesatzverordnung für das Jahr 1978 als gesetzwidrig aufzuheben.

Da die Beschwerdeführerin des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu der Vollversammlung, bei der der Promillesatz für das Haushaltsjahr 1979 festgesetzt wurde, nachweislich geladen wurde, und das Unterbleiben der Ladung eines sonstigen Mitgliedes nicht behauptet wurde, geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß die Vollversammlung am 07.02.1979 beschlußfähig iSd §8 Abs2 des Tir. FremdenverkehrsG 1976 war. Da sich die vom Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten rechtlichen Bedenken lediglich auf die mangelnde oder fehlerhafte Ladung zu dieser Vollversammlung beziehen, diese Bedenken sich aber als unzutreffend erwiesen haben, war der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung der Promillesatzverordnung für das Jahr 1979 abzuweisen.

Wie die dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten zeigen, wurde zwar bereits bei der außerordentlichen Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz am 26.07.1972 für das Beitragsjahr 1973 eine Erhöhung des Promillesatzes von 9 auf 12 Promille beschlossen. Dieser Beschluß wurde jedoch bei der ordentlichen Vollversammlung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz am 22.06.1973 wiederholt und in der Fassung von der Tiroler Landesregierung am 23.07.1974 bewilligt.

Da die gegen die Promillesatzverordnung für das Jahr 1973 vom Verwaltungsgerichtshof vorgetragenen rechtlichen Bedenken, die ausschließlich der mangelnden Bewilligung dieser Verordnung galten, nicht zutreffen, war insoweit der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls abzuweisen.

Aufhebung der Promillesatzverordnungen des Fremdenverkehrsverbandes Lienz für das Jahr 1970, des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten für die Jahre 1977 und 1978 mangels (von der Behörde nachzuweisender) Ladung eines Mitglieds zur Vollversammlung.

Keine Aufhebung der Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienzer Dolomiten für das Jahr 1979; nachweisliche Ladung der Beschwerdeführerin des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zur Vollversammlung.

Keine Aufhebung der Promillesatzverordnung des Fremdenverkehrsverbandes Lienz für das Jahr 1973; Bewilligung der Tiroler Landesregierung gemäß §32 Abs8 Tir. FremdenverkehrsG lag vor.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Fremdenverkehr, Verwaltungsverfahren / Ladung, Verwaltungsverfahren / Zustellung, Verordnung / Erlassung, Kollegialorgane / Einberufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:V19.1988

Dokumentnummer

JFR_10109691_88V00019_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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