TE Vfgh Beschluss 2004/6/28 G2/04 ua

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Veröffentlicht am 28.06.2004
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Allg
FremdenG 1997 §72

Leitsatz

Zurückweisung von Anträgen des UVS auf Aufhebung einer Bestimmung über die Möglichkeit einer Beschwerdeerhebung an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Fremdengesetz; keine Erreichung des Ziels eines verbesserten Rechtsschutzes bei allfälliger Aufhebung; Einschränkung des Rechtsschutzes durch Beseitigung der zur Aufhebung beantragten Norm

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS) ist eine auf §72 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG) gestützte Schubhaftbeschwerde anhängig. Der UVS hatte der Beschwerde mit Bescheid vom 23. Mai 2003 stattgegeben und ausgeführt, dass die Verhängung der Schubhaft der Sicherung der Durchsetzung eines 1996 verhängten Aufenthaltsverbotes gedient habe; da sich der dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Sachverhalt inzwischen jedoch maßgeblich geändert habe, könne diesem keine Rechtskraftwirkung mehr zukommen, weshalb auch die Verhängung der Schubhaft rechtswidrig sei.

Dieser Bescheid wurde aufgrund der von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich dagegen erhobenen Amtsbeschwerde (gemäß §74 FrG) mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Oktober 2003 aufgehoben. Der UVS habe im Rahmen einer Schubhaftbeschwerde nur zu prüfen, ob das für die Festnahme und Anhaltung eines Fremden in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung eine "mittelbare" Tatbestandswirkung erzeugende durchsetzbare Aufenthaltsverbot nach wie vor aufrecht ist; wurde das Aufenthaltsverbot - wie im konkreten Fall - nicht aufgehoben, so habe der UVS von seinem Bestehen auszugehen.

1.2. Aus Anlass des fortgesetzten Verfahrens stellte der UVS den zu G2/04 protokollierten, auf Art140 Abs1 iVm. Art129a Abs3 und Art89 B-VG gestützten Antrag, §72 Abs1 FrG, BGBl. I Nr. 75/1997, als verfassungswidrig aufzuheben.

1.3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 2. März 2004 wurde über die beim UVS Beschwerde führende Partei erneut die Schubhaft verhängt; dagegen richtet sich eine weitere auf §72 FrG gestützte Beschwerde an den UVS. Aus Anlass dieses Verfahrens stellte der UVS den zu G30/04 protokollierten Antrag, §72 Abs1 FrG, BGBl. I Nr. 75/1997, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die angefochtene Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat

§72. (1) Wer gemäß §63 festgenommen worden ist oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, hat das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen."

3. Zur Begründung seiner Anträge zitiert der UVS zunächst das Erkenntnis VfSlg. 13.039/1992, in dem der Verfassungsgerichtshof zur damaligen Rechtslage (§5a Fremdenpolizeigesetz) ausgesprochen hat, dass der UVS "die Frage der (formellen wie materiellen) Rechtmäßigkeit der Anhaltung (…) nach jeder Richtung hin selbständig zu untersuchen und jedwede unterlaufene Gesetzwidrigkeit, also nicht etwa nur qualifiziert rechtswidriges behördliches Handeln, festzustellen und aufzugreifen" hat.

Nach Auffassung des UVS werde §72 Abs1 FrG diesem aus Art6 Abs1 PersFrBVG und Art5 Abs4 EMRK resultierenden Verfassungsauftrag nicht gerecht, wenn der Betroffene im Zuge der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Festnahme oder Anhaltung nicht wirksam relevieren kann, dass das der Festnahme oder Anhaltung zugrunde liegende Aufenthaltsverbot rechtswidrig sei.

4. Die Bundesregierung hat im Verfahren zu G2/04 eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrags bestreitet und den Bedenken des UVS auch in der Sache entgegentritt; sie beantragt die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrags.

5. Die Anträge sind nicht zulässig:

Vorerst ist in Erinnerung zu rufen, dass Gegenstand der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof im Verfahren nach Art140 B-VG die angefochtene gesetzliche Vorschrift an sich ist, nicht jedoch der Inhalt der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder der dazu bestehenden Rechtsansichten einzelner mit der Anwendung dieser Gesetzesbestimmung befasster Verwaltungsbehörden (vgl. VfSlg. 16.773/2002).

Nun begehrt der UVS mit seinen Anträgen, §72 Abs1 FrG zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben. Dabei übersieht er, dass - würde der Verfassungsgerichtshof diesen Anträgen Folge geben - damit nicht eine Rechtslage hergestellt würde, bei der die verfassungsrechtlichen Bedenken des UVS ausgeräumt wären; vielmehr würde dadurch die Bestimmung, die das Recht zur Beschwerdeerhebung an den UVS (mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung) normiert, generell beseitigt und somit der Rechtsschutz der Betroffenen sogar eingeschränkt. Das vom UVS mit seinen Anträgen verfolgte Ziel würde also durch Aufhebung des §72 Abs1 FrG jedenfalls nicht erreicht, weshalb die Anträge zurückzuweisen waren (vgl. VfSlg. 13.299/1992, 16.191/2001).

6. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen.

Schlagworte

Fremdenrecht, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G2.2004

Dokumentnummer

JFT_09959372_04G00002_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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