Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / HausdurchsuchungLeitsatz
Gewaltsames Eindringen von Polizeibeamten in ein alsObdachlosenunterkunft dienendes ehemaliges Geschäftslokal,Festhalten mehrerer Personen; Ausübung unmittelbarer Befehls-und Zwangsgewalt, Verhaftung; Identitätsfeststellung wegenVerdachtes einer gerichtlich strafbaren Handlung gerechtfertigt,Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit wegen Fehlens derVoraussetzungen für eine Verhaftung nach §177 StPO; keineHausdurchsuchung im Sinne des Art9 StGG; keine Verletzungdes Hausrechts; kein Eingriff in das nach Art8 MRK gewährleisteteRecht auf Achtung der WohnungRechtssatz
Art8 StGG und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit gewähren nur Schutz gegen rechtswidrige Verhaftung, rechtswidrige Inverwahrnahme sowie rechtswidrige Internierung und Konfinierung; diese Bestimmungen schützen aber nicht vor jeder anderen Freiheitsbeschränkung, auch nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Auch Art5 MRK schützt nur vor rechtswidriger Festnehmung und rechtswidriger Verhaftung, nicht auch vor anderen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (vgl. zB VfSlg. 10420/1985). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit wird nur dann verletzt, wenn der Wille der Behörde (oder des behördlichen Hilfsorganes) primär auf eine Beschränkung der Freiheit gerichtet ist, nicht aber auch dann, wenn eine andere Maßnahme (wie etwa die erzwungene Besichtigung eines Fahrzeuges) den Betroffenen dazu nötigt, sich nicht zu entfernen, diese Beschränkung also die sekundäre Folge der Bewegungsbehinderung ist (VfSlg. 8327/1978, 8815/1980, 9983/1984).
Der Beschwerdeführer wurde - ebenso wie die übrigen betroffenen Personen - knapp eine Stunde aufgrund verwaltungsbehördlichen Befehles, der unmittelbar Befolgung beanspruchte, dazu verhalten, jeweils in einem bestimmten Raum zu verbleiben. Den Betroffenen war der Zweck und das Ziel der gegen sie gerichteten Amtshandlung nicht bekannt; diese dauerte länger als für eine bloße Perlustrierung unbedingt erforderlich war und erfolgte unter Begleitumständen, die als intensives Verbot, den Raum zu verlassen, gedeutet werden mußten, bei dessen Mißachtung unmittelbar folgende (schwere) Gewaltanwendung zu erwarten war.
Es lag also eine Verhaftung iS des Art8 StGG und des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit vor (vgl. auch zB VfSlg. 10229/1984, 10378/1985).
Das gewaltsame Eindringen in das ehemalige Geschäftslokal des Beschwerdeführers ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangener Verwaltungsakt iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG Verfassungsbestimmung.
Für die Verhaftung fehlte die gesetzliche Grundlage. Zwar bestand der begründete Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung. Das rechtfertigte wohl, die Identität der im Tatverdacht stehenden Personen (darunter auch des Beschwerdeführers) festzustellen, nicht aber von vornherein auch schon, diese Personen zu verhaften. Hiefür hätte eine der im §177 StPO aufgezählten Voraussetzung vorliegen müssen. Daß ein solcher Grund gegeben gewesen wäre, behauptet selbst die belangte Behörde nicht.
Der Beschwerdeführer wurde also durch die Verhaftung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.
Da von den einschreitenden Sicherheitswachebeamten eine "Suche" - wie sie nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes für eine "Hausdurchsuchung" unerläßlich ist - weder veranstaltet werden sollte noch tatsächlich eine solche stattfand, kommt eine Verletzung des Art9 StGG nicht in Betracht.
Das Grundrecht nach Art8 MRK greift - jedenfalls im hier allein maßgebenden Zusammenhang - über den Schutzbereich des Art9 StGG hinaus (VfSlg. 10272/1984), indem es unabhängig von den Bedingungen
einer behördlichen Hausdurchsuchung "jedermann ... (den) Anspruch
auf Achtung ... seiner Wohnung (des Hausrechts - siehe VfSlg.
8461/1978) ..." gewährleistet (siehe VfSlg. 10547/1985).
Dieses Recht dient - wie sich schon aus dem systematischen Zusammenhang, in dem es steht (nämlich im Konnex mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie des Briefverkehrs) - dem Schutz der Intimsphäre des Individuums. Wenngleich der Begriff der "Wohnung" auch in der Bedeutung des Art8 MRK nicht eng zu verstehen ist, können darunter keinesfalls Räumlichkeiten verstanden werden, die bestimmungsgemäß der Öffentlichkeit zugänglich sind. Das war aber hier der Fall: Zumindest zum Zeitpunkt, als die angefochtene Maßnahme stattfand, diente das von den Sicherheitswachebeamten betretene ehemalige Geschäftslokal nicht als Wohnraum, sondern als Stelle, in der jedermann eingeladen war, Informationen über die Anliegen der Obdachlosen-Gruppe zu erhalten. Der Nebenraum war leer; über ihn hatte der Beschwerdeführer (unstrittig) keinerlei Benützungsrecht.
Unter diesen Umständen kann von einem Eingriff in das durch Art8 MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nicht gesprochen werden.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Verhaftung,Hausrecht, Hausdurchsuchung, Wohnung, FestnehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1722.1988Zuletzt aktualisiert am
13.08.2010