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61 Familienförderung, JugendfürsorgeNorm
B-VG Art10 Abs1 Z6Leitsatz
Unterbringung eines Kindes auf einem Pflegeplatz im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe; Maßnahme der Hoheitsverwaltung; kein Entzug des gesetzlichen Richters; kein Verstoß des §26 Abs2 Sbg. gegen den Grundsatz der Trennung der Gerichtsbarkeit von der Verwaltung; hinreichende Determinierung im Sinn des Art18 B-VGRechtssatz
Wie schon die systematische Einordnung des §9 JWG in den ersten Teil des Gesetzes, der Grundsatzbestimmungen auf dem Gebiet der Jugendfürsorge enthält, einerseits, und des §26 JWG in den zweiten Teil, der unmittelbar anwendbares Bundesrecht auf dem Gebiet des Zivilrechtes enthält, andererseits beweist, ist zwischen diesen beiden Vorschriften streng zu unterscheiden.
Akte, mit denen bewilligt oder verfügt wird, daß Erziehungshilfe durchzuführen ist, sind stets Hoheitsakte; sie sind allerdings rechtlich unterschiedlich zu beurteilen: Wird gemäß §26 Sbg. JWO (§9 JWG) die Durchführung von Erziehungshilfe über Antrag des Erziehungsberechtigten oder zwar von amtswegen, aber mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten (mithin im Einvernehmen mit dem Erziehungsberechtigten - also sogenannte freiwillige Erziehungshilfe) gewährt, so handelt die Bezirksverwaltungsbehörde als Jugendfürsorge-Behörde; das Verfahren ist daher mit Bescheid abzuschließen. Erfolgt hingegen die Erziehungshilfe gegen den Willen des Erziehungsberechtigten, so ordnet dies das Gericht an (gerichtliche Erziehungshilfe); hier wird die Bezirksverwaltungsbehörde, auch wenn sie bei Gefahr im Verzug ohne behördliche oder gerichtliche Verfügung als Amtsvormund oder als ges Amtskurator einschreitet und gemäß §26 Abs2 JWG provisorische Anordnungen trifft, im Bereich der Privatwirtschaft tätig.
Die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung und im Instanzenzug die Salzburger Landesregierung schritten nicht als Amtsvormund nach §26 JWG ein; vielmehr trafen sie als Jugendfürsorge-Behörden eine Maßnahme der Erziehungshilfe gemäß §26 Sbg. JWO (§9 JWG). Sie wurden dabei zu Recht hoheitlich tätig und waren daher zuständig, die Erziehungshilfe bescheidmäßig zu gewähren.
Art94 B-VG enthält den Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung; er bedeutet einerseits das Verbot an den einfachen Gesetzgeber, ein und dieselbe Behörde gleichzeitig als Gerichts- und als Verwaltungsbehörde einzurichten, andererseits das Gebot, eine Angelegenheit, und zwar zur Gänze, zur Vollziehung entweder den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zuzuweisen (vgl. zB VfSlg. 10 452/1985; VfGH 03.03.1987 G134/86 u.a. Zlen.).
Die Ermächtigung zur hoheitlichen Gewährung der Erziehungshilfe in §26 Abs2 Sbg. JWO verletzt nicht den Trennungsgrundsatz des Art94 B-VG.
Die Gewährung der freiwilligen Erziehungshilfe iS dieser Gesetzesbestimmung obliegt ausschließlich den Verwaltungsbehörden; es ist auch keine nachträgliche Kontrolle der Gewährung der Erziehungshilfe durch die ordentlichen Gerichte vorgesehen.
Die Regelung für den Fall, daß die Erziehungsberechtigten ihre zunächst erteilte Zustimmung zur (freiwilligen) Erziehungshilfe in der Folge widerrufen, bewirkt keine verfassungsrechtlich verpönte Verschmelzung von Verwaltungsbehörde und Gericht.
Widerruft der Erziehungsberechtigte seine Zustimmung zu einer Maßnahme der (freiwilligen) Erziehungshilfe, so obliegt es (nach dieser Änderung des Sachverhaltes) dem Gericht zu verfügen, ob diese Maßnahme fortgesetzt werden soll oder nicht. Allerdings verliert der die Maßnahme seinerzeit gewährende Bescheid seine Wirksamkeit erst mit Entscheidung durch das Gericht. Der Bescheid scheidet aber unmittelbar kraft Gesetzes aus der Rechtsordnung aus, mithin nicht etwa dadurch, daß dies ein Gerichtsbeschluß anordnet. Die Regelung dient nur dem lückenlosen Anschluß der gerichtlichen an die verwaltungsbehördliche Maßnahme und bewirkt keine verfassungsrechtliche unzulässige Verknüpfung zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde.
§26 Sbg. JWO ist - dem Art18 B-VG entsprechend - durchaus einer Auslegung zugänglich (vgl. hiezu im allgemeinen zB VfSlg. 8395/1978, 10296/1984).
§26 Sbg. JWO regelt nicht eine Angelegenheit des Zivilrechtes, sondern eine solche der Jugendfürsorge.
Schlagworte
Jugendfürsorge, Privatwirtschaftsverwaltung, Hoheitsverwaltung, Behördenzuständigkeit, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Kompetenz Bund - Länder Zivilrecht, Erziehungshilfe freiwillige, Kompetenz Bund - Länder Jugendfürsorge, DeterminierungsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1874.1988Dokumentnummer
JFR_10109381_88B01874_01