RS Vfgh 1989/6/20 G228/88, G3/89, G4/89, V202/88, V1/89, V2/89

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Veröffentlicht am 20.06.1989
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs2 / Verordnung gesetzlos
MRK Art6 Abs1 / Tribunal
MRK Art6 Abs1 / civil rights
Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 08.05.1956, BGBl 105/1956 §15
ASVG §345 idF BGBl 684/1978

Leitsatz

Streitigkeiten aus "Einzelverträgen" dem Kernbereich der civil rights zugehörig; Landesschiedskommission kein Tribunal - fehlende Regelung der Funktionsdauer der Mitglieder

Rechtssatz

Der Satzteil "und zur Entscheidung in den Fällen des Überganges der Zuständigkeit nach §344 letzter Satz" in §345 Abs1 erster Satz sowie der zweite Satz in §345 Abs2 ASVG, BGBl. 189/1955 idF BGBl. 684/1978, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Landesschiedskommission hat bei der Entscheidung in Streitigkeiten aus sogenannten "Einzelverträgen" (ds. privatrechtliche Übereinkommen, welche ua. die Beziehungen der Sozialversicherungsträger zu den freiberuflich tätigen Ärzten regeln; siehe §338 Abs1 ASVG) über dem Kernbereich der "civil rights" zuzurechnende zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu befinden (siehe VfGH 14.06.1988 G48/87); sie muß also (insoweit) gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen und als "unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht" iS des Art6 EMRK konstituiert sein (VfGH 16.12.1987 G129/87 ua.). Da aber das Gesetz (§345 ASVG) die Funktionsdauer der Kommissionsmitglieder ungeregelt läßt, die Landesschiedskommission daher - infolge der fehlenden Unabhängigkeit ihrer Organe - auch nicht als unabhängiges und unparteiisches Tribunal iS des Art6 EMRK eingerichtet ist (vgl. VfSlg. 10.800/1986, 14.06.1988 G48/87), widersprechen die in Prüfung gezogenen und den Umständen nach eine untrennbare Einheit bildenden Vorschriften des §345 ASVG der Verfassungsbestimmung des Art6 Abs1 EMRK.

§15 Abs1 Z3 sowie der Satzteil "und 3" in §15 Abs2 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 08.05.1956, BGBl. 105/1956, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Die in Prüfung gezogenen Teile des §15 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 08.05.1956, BGBl. 105/1956, finden ihre ausschließliche materielle Basis unbestrittenermaßen in den Bestimmungen des §345 ASVG, die mit diesem Erkenntnis als verfassungswidrig aufgehoben wurden. Die zu prüfenden Stellen dieser Verordnung sind darum nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden wären (vgl. VfSlg. 4172/1962, 6945/1972, 10.800/1986; VfGH 14.06.1988 V14/87). Sie widersprechen folglich Art18 B-VG und waren aufzuheben.

(Anlaßfälle: E v 22.06.1989, B697/88; E v 23.06.1989, B1491/88 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide)

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Ärzte, Tribunal, civil rights, Verordnung Durchführungs-

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G228.1988

Dokumentnummer

JFR_10109380_88G00228_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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