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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt / Willkür keineLeitsatz
Beschränkung der Massentierhaltung im öffentlichen Interesse gelegen; Existenzsicherung bäuerlicher Betriebe, Sicherung der Versorgung der Bevölkerung; kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit; sachliche Rechtfertigung der Beschränkung der Betriebsgrößen und Rationalisierungsmöglichkeiten angesichts der besonderen Verhältnisse in der Landwirtschaft; keine Bedenken im Hinblick auf den Eigentumsschutz nach Art5 StGG und Art1 Abs2 des 1. Zusatzprotokolls zur MRK; civil rights durch Verweigerung einer Tierhaltungsbewilligung nur in ihren Auswirkungen betroffen; nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes ausreichend iS des Art6 Abs1 MRK; keine denkunmögliche oder willkürliche GesetzesanwendungRechtssatz
Das durch die Regelungen des §13 ViehwirtschaftsG 1983 normierte Verbot mit Bewilligungsvorbehalt, über eine bestimmte, gesetzlich festgelegte Grenze hinausgehende Tierbestände zu halten, greift in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsfreiheit gemäß Art6 StGG ein.
Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, daß die Ziele, die der Gesetzgeber mit dem ViehwirtschaftsG verfolgt, und die er in §2 Abs1 des ViehwirtschaftsG ausdrücklich nennt, im öffentlichen Interesse liegen. Der Schutz der inländischen Viehwirtschaft, die Stabilisierung der Preise für Schlachttiere und tierische Produkte, sowie die Gewährleistung der Versorgung mit Waren entsprechender Qualität, bilden ohne Zweifel berechtigte Anliegen gesetzgeberischen Handelns.
Den im ViehwirtschaftsG selbst genannten Zielsetzungen gleichrangig ist die Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes in einem funktionsfähigen ländlichen Raum, wie von ArtII §1 Z1 LandwirtschaftsG 1976 formuliert wird. Auch das ViehwirtschaftsG trachtet letztlich danach, leistungsfähige bäuerliche Familienbetriebe zu erhalten, um auf diese Weise die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu gewährleisten und funktionsfähige ländliche Kulturräume zu sichern.
Zwar wird die verfassungsgesetzlich geschützte Freiheit der Erwerbsausübung gemäß Art6 StGG auf dem Gebiet der Viehwirtschaft durch die Tierhaltungsbeschränkungen des §13 Abs1 ViehwirtschaftsG nicht unwesentlich eingeschränkt, zumal die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung größerer Tierbestände (keine Gefährdung der Erhaltung einer bäuerlichen Veredelungsproduktion und stabile Verhältnisse auf den betroffenen Märkten) gemäß §13 Abs2 ViehwirtschaftsG angesichts wachsender Bestandsgrößen und steigender Produktion schon von der Grundtendenz des Gesetzes her kaum einmal gegeben sind. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt aber nicht, daß eine derartige Tierhaltungsbeschränkung geeignet ist, die zunehmende Konzentration der Viehwirtschaft auf einige wenige Großbetriebe zu verhindern, dadurch einer möglichst großen Zahl von bäuerlichen Betrieben die Ausübung der tierischen Veredelungsproduktion auch in Zukunft zu ermöglichen und damit auch die Versorgung bestmöglich zu sichern.
Eine Beschränkung der Massentierhaltung bildet auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff des Gesetzgebers in die Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art6 StGG. Denn bei Abwägung des Interesses der auf eine Massentierhaltung (und daher auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen) ausgerichteten Betriebsinhaber mit dem Interesse an einer flächendeckenden Versorgung durch bäuerliche Klein- und Mittelbetriebe ist es sachlich gerechtfertigt, eine Massentierhaltung nur ausnahmsweise dort zuzulassen, wo entsprechende Gefahren für die bäuerliche Veredelungsproduktion und die Stabilität der betroffenen Märkte nicht auftreten.
Der Verfassungsgerichtshof weist darauf hin, daß die durch §13 ViehwirtschaftsG im Ergebnis bewirkte Beschränkung der Betriebsgrößen und dadurch auch der Rationalisierungsmöglichkeiten in wirtschaftlicher Hinsicht angesichts der besonderen Verhältnisse im Bereich der Landwirtschaft sachlich gerechtfertigt ist. Die für die Einschränkung der Massentierhaltung sprechenden agrarpolitischen Überlegungen und Zielsetzungen können sohin keinesfalls unbesehen auf andere Wirtschaftsbereiche übertragen werden.
Soweit die in §13 ViehwirtschaftsG 1983 ausgedrückte Begrenzung des Haltens von Nutztieren überhaupt als Eigentumsbeschränkung verstanden werden kann, verstößt diese nicht gegen den durch Art5 StGG und Art1 Abs2 des 1. ZP zur MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsschutz. Zwar müssen auch Eigentumsbeschränkungen im "Allgemeininteresse" liegen (VfSlg. 9911/1983). Gleichwohl bezweifelt der Verfassungsgerichtshof nicht, daß aus den Überlegungen, aus denen sich das öffentliche Interesse an Tierhaltungsbeschränkungen ergibt, auch ein hinlängliches "Allgemeininteresse" iS des Art1 Abs2 des 1. ZP zur MRK ersichtlich wird (vgl. auch ähnliche Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes zur gesetzlichen Beschränkung des Auspflanzens von Weinreben in VfSlg. 5208/1966; sowie unter Berufung darauf zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §13 Abs1 und 2 ViehwirtschaftsG, Holzer, aaO, 31).
Da eine erteilte Bewilligung zur Überschreitung der Tierhaltungsgrenzen gemäß §13 Abs1 ViehwirtschaftsG betriebs- und standortgebunden ist, bedarf die Übertragung auf einen anderen Betrieb einer neuerlichen Bewilligung nach §13 Abs2 ViehwirtschaftsG. Der Verfassungsgerichtshof hält eine Auslegung des Gesetzes zumindest für denkmöglich, keinesfalls sohin für willkürlich, auf Grund derer diese Bewilligung zu verweigern ist, wenn durch die Konzentration der für ursprünglich zwei Betriebsstandorte bewilligten Tierhaltungsbestände an einem einzigen Ort nachteilige Einwirkungen auf die betroffenen Märkte zu erwarten sind und dadurch den legitimen öffentlichen Interessen an der Versorgungssicherung zuwidergehandelt würde.
Keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit (siehe auch VwGH E vom 15.05.1987, Zl. 87/17/0189).
Keine denkunmögliche oder willkürliche Versagung der Bewilligung zur Haltung einer weiteren Anzahl von Legehennen gemäß §13 ViehwirtschaftsG 1983.
Durch die Verweigerung einer Bewilligung nach §13 Abs2 ViehwirtschaftsG wurde gegenüber dem Beschwerdeführer eine ausschließlich im öffentlichen Interesse gelegene, öffentlich-rechtlich geregelte Beschränkung seiner Tierhaltung verwirklicht. Diese Einschränkungen betreffen die Verfügungsrechte des Beschwerdeführers über seine Betriebsmittel nur in ihren Auswirkungen, sodaß es verfassungsrechtlich iS des Art6 Abs1 MRK ausreicht, wenn eine Verwaltungsbehörde unter der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes in der betreffenden Sache tätig wird.
Die Verweigerung einer derartigen Bewilligung betrifft kein "civil right" gemäß Art6 Abs1 MRK derart, daß die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, den von diesem Grundrecht geforderten Verfahrensstandard zu erfüllen.
Schlagworte
Wirtschaftslenkung, Viehwirtschaft, Landwirtschaftsrecht, Agrarpolitik, Erwerbsausübungsfreiheit Eingriff, Berufsausübung, Tierhaltung, Eigentumsbeschränkung, civil rights, AllgemeininteresseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B941.1988Dokumentnummer
JFR_10109380_88B00941_01