RS Vfgh 1989/6/21 B1701/88, B1847/88

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 21.06.1989
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Index

16 Medienrecht
16/02 Rundfunk

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation / Rechtsverletzung
StGG Art13
MRK Art10
BVG-Rundfunk ArtI
RundfunkG §2
RundfunkG §17
RundfunkG §30
AVG 1950 §8

Leitsatz

Begrenzung der Freiheit der Meinungsäußerung durch Festlegung des Objektivitätsgebotes im B-VG-Rundfunk und im RundfunkG; Fernsehinterview eine dem Objektivitätsgebot unterworfene Sendeform; Verletzung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung der das Interview führenden Mitarbeiter des ORF und des ORF selbst durch verfassungswidrige Auslegung des RundfunkG; die von den Journalisten gestellten Fragen konnten vom Gesprächspartner - dem Bundespräsidenten - unmittelbar erwidert werden; Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung schützt nicht nur als unproblematisch aufgenommene Meinungen; Grenzen kritischer Fragestellung in Bezug auf einen im öffentlichen Leben stehenden Politiker weiter gezogen als bei Privatperson

Rechtssatz

Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde.

Den Umständen nach besteht die - für die Beschwerdeberechtigung vor dem Verfassungsgerichtshof essentielle - Möglichkeit, daß die Beschwerdeführer (Generalintendant für den Österreichischen Rundfunk - §§1 Abs1, 30 Abs1 Satz 2 RundfunkG - RFG; weiters ein für die streitverfangene Fernsehsendung (mit-)verantwortlicher Mitarbeiter des Rundfunks - §17 RFG iVm §§8 AVG, 30 RFG) durch den angefochtenen Bescheid - dessen Adressaten sie alle sind - in irgendeinem subjektiven Recht verletzt wurden (siehe VfSlg. 3669/1959; ferner VfSlg. 6716/1972, 7226/1973, 9107/1981, 9354/1982, 10627/1985, 11062/1986).

Ein konkreter Verwaltungsakt, der sich - wie der angefochtene Bescheid der Kommission - gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, verletzt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dieses Grundrecht ua. dann, wenn er in denkunmöglicher Handhabung eines verfassungsmäßigen Gesetzes erlassen wurde (VfSlg. 3762/1960, 5463/1967, 6166/1970 und 6465/1971). Einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung kommt es gleich, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen - hier also: die besonderen Schranken des Art10 MRK mißachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10386/1985, 10700/1985). Dabei ist Träger des relevierten Grundrechts im vorliegenden Fall nicht nur der einzelne Journalist, sondern auch der ORF selbst, weil der angefochtene Hoheitsakt (auch) die Rechtssphäre dieses Unternehmens betrifft und Art10 Abs2 MRK verfassungsrechtliche Schranken für die gesetzliche Begrenzung der Ausübung der Rechte nach Art10 Abs1 MRK enthält.

Unter den konkreten Verhältnissen und Umständen können die namentlich dem Beschwerdeführer P R, aber auch dem Chefredakteur H B zur Last gelegten Formulierungen im Zug des strittigen Interviews (mit Bundespräsident Waldheim) bei Bedachtnahme auf das in Rede stehende Grundrecht nicht als Verletzung des RFG gewertet werden.

Es gibt keine zulässige Darbietung (ArtI Abs1 BVG-Rundfunk), die dem grundlegenden Gebot der Objektivität, Unparteilichkeit, Pluralität und Ausgewogenheit nicht (mit-)unterworfen wäre (VfSlg. 10948/1986). Verschieden ist nur das Gewicht, das diesen Grundsätzen in bezug auf die einzelnen Darbietungen zukommt, und die Art und Weise, wie ihnen im Einzelfall Rechnung getragen werden muß.

Nach Art13 Abs1 StGG hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist zwar nur innerhalb dieser gesetzlichen Schranken gewährleistet, doch darf auch ein solches Gesetz keinen Inhalt haben, der den Wesensgehalt des Grundrechtes einschränkt (vgl. VfSlg. 6166/1970, 10700/1985). Eine nähere Bestimmung dieses Wesensgehaltes findet sich nunmehr in Art10 MRK: Diese Vorschrift bekräftigt den Anspruch auf freie Meinungsäußerung - "right to freedom of expression", "droit a la liberte d'expression" - (Abs1) und stellt klar, daß dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen einschließt, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung solcher Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringe, die Möglichkeit von "Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen" vor (Abs2 - s. dazu: VfSlg. 6288/1970),

Seit Art10 MRK im Verfassungsrang steht, darf also die Freiheit der Meinungsäußerung nur aus den dort angeführten Gründen (Eingriffstatbeständen) beschränkt werden (VfSlg. 10700/1985; VfGH 12.3.1988 B970/87).

Insgesamt ist in der Festlegung des Objektivitätsgebots sowohl im BVG-Rundfunk als auch im RFG eine Begrenzung der Freiheit der Meinungsäußerung für programmgestaltende und journalistische Mitarbeiter des ORF (: §17 RFG) bei ihrer medialen Berichterstattung (im weitesten Sinn) zu erblicken. Eine solche Freiheitsbegrenzung kann gemäß Art10 Abs1 letzter Satz MRK für "Rundfunk- oder Fernsehunternehmen" im Zug der staatlichen Genehmigung (laut VfSlg. 9909/1983 auch in Gestalt eines Gesetzes wie des RFG) festgelegt werden; ferner gemäß Art10 Abs2 MRK durch Gesetz, soweit sie im Interesse der dort umschriebenen Ziele, insbesondere auch im Interesse des Schutzes "der Rechte anderer", unentbehrlich (notwendig) ist (vgl. VfSlg. 11062/1986).

Fernseh-)Interview als auch dem Objektivitätsgebot unterworfene Sendeform, die aus kontroversieller Rede und Gegenrede besteht.

Dabei muß sich die Aufgabe des Interviewers der offenbaren Meinung der Kommission zuwider im allgemeinen freilich nicht in der Beisteuerung neutraler Stichworte für Statements des Interviewten erschöpfen, vielmehr können in alle gewählten Fragen - aus berechtigtem Interesse an offener Wechselrede - durchaus auch scharf ausgeprägte Standpunkte und provokant-kritische Stellungnahmen "unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen" iSd §2 RFG (mit-)einfließen (vgl. Buchner, RfR 1988, 33), weil der Befragte dazu sogleich in freier Antwort selbst Stellung nehmen, mit anderen Worten ausgedrückt: seine eigene Auffassung (Meinung) der Öffentlichkeit ungesäumt und ungehindert zur Kenntnis bringen kann. Der "Meinungsvielfalt", dann der "Ausgewogenheit" der Sendung als Ganzes und so auch dem Objektivitätsgebot, wie in ArtI Abs2 BVG-Rundfunk iVm §2 RFG umschrieben und postuliert, wird auf solche Weise vollauf Rechnung getragen. Denn in der Gesamtschau bietet eine - noch dazu, wie in diesem Fall, völlig ungekürzt gelassene - Interviewsendung kein einseitig verzeichnetes Bild, vielmehr kommen Pro- und Contra-Standpunkte regelmäßig voll zur Geltung. Ganz allgemein ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art10 MRK iVm Art13 StGG nicht nur als unproblematisch aufgenommene Meinungen schützt, sondern gerade auch Äußerungen, "die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen" (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 224).

Wollte man der Meinung anhängen, die Objektivitätsverpflichtung nötige journalistische Rundfunk-Mitarbeiter bei Gestaltung eines Interviews zum Verzicht auf Äußerung (und damit zur Unterdrückung) der eigenen - auch in Form einer in der Öffentlichkeit vertretenen und übernommenen - Meinung, bekäme die Norm des §2 RFG einen Inhalt, der das relevierte Grundrecht in seinem die offene geistige Auseinandersetzung gewährleistenden Kernbereich in Frage stellen müßte: Die Regelung des §2 RFG, interpretiert im Licht des Grundrechts nach Art10 MRK, beläßt also den Gesprächspartnern einer Interviewsendung zur Darlegung ihres subjektiven Standpunkts - für die Grundrechtsausübung - im allgemeinen mehr Freiraum als etwa Journalisten für bloße Kommentare, denen Betroffene nicht spontan und unmittelbar erwidern können. Denn die "Rechten anderer" dienende Schutzfunktion, wie sie §2 RFG iVm Art10 Abs2 MRK innewohnt, tritt zurück, soweit der Gesprächspartner, der ein Interview gewährt, - wie hier - ausreichende (und tatsächlich umfassend genützte) Möglichkeiten zur sofortigen Darlegung seiner persönlichen Sicht der Dinge hat. Dem Objektivitätsgebot des §2 RFG ist in solchen Fällen regelmäßig schon dadurch Genüge getan, daß eine Ausbreitung divergierender Standpunkte ermöglicht wird, nicht aber vom Interviewten abgelehnte Meinungen notwendig ungesagt bleiben. Das bedeutet aber nicht, daß der Interviewer gleichsam rechtsmißbräuchlich-willkürlich agieren, so zum Beispiel ein den Interviewten anprangerndes "Scherbengericht" veranstalten darf:

Auch seiner Kommunikationsfreiheit sind durch §2 RFG im Einzelfall nicht immer leicht auszumachende Schranken errichtet, wenn auch in aller Regel nicht durch Gebote des Stils, des Takts, des guten Tons und der Höflichkeit, wie sie die Rundfunkkommission vor Augen zu haben schien.

Es liegt in der Natur der Sache eines derartigen Interviews - das, wie hier, ein von der Bevölkerung heftig und nachhaltig umstrittenes Thema, nämlich ein bestimmtes Verhalten des interviewten Politikers in der Öffentlichkeit, zum Gegenstand hat -, daß die Interviewenden in ihre Fragen und Aussagen in erster Linie bisher laut gewordene kritische Stimmen und Äußerungen miteinbeziehen, weil die Vertretung des Gegenstandpunktes naturgemäß vor allem vom Befragten zu erwarten ist, dem diese Meinungen gelten. Hinzu tritt hier noch, daß die Grenzen akzeptabler kritisch-provokativer Fragestellung (im Verlauf eines Interviews) in bezug auf einen im öffentlichen Leben stehenden Politiker grundsätzlich weiter gezogen sind als in bezug auf eine Privatperson (siehe zu diesem Punkt das Urteil des EGMR im Fall Lingens vom 08.07.1986, 12/1984/84/131, in: EuGRZ 1986, 424, 428).

Dem beschwerdeführenden ORF kann nicht entgegengetreten werden, wenn er im gegebenen Kontext sinngemäß geltend macht, daß im Verlauf des (Fernseh-)Interviews - das dem Bundespräsidenten, alles in allem genommen, Gelegenheit bieten sollte, zu konkreten Vorwürfen im In- und Ausland Stellung zu nehmen - namentlich jene Themen angeschnitten werden sollten und mußten, die in der breiten öffentlichen Diskussion eine herausragende Rolle gespielt hatten, so etwa die Fragen des Ansehens Österreichs im Ausland und eines möglichen Autoritätsverlustes des Staatsoberhauptes, ferner die Äußerungen des damaligen Bundespräsidentschaftskandidaten im Wahlkampf über seine (Kriegs-)Vergangenheit. Indem die Kommission meint, daß ein in einzelnen Punkten sehr kritisch-provokantes Eingehen der Journalisten auf die in Rede stehenden, allgemeinem Interesse begegnenden Probleme nach §2 RFG verboten sei, ohne das Interview (Fragen, Antworten) im Gesamtkontext zu werten und zu würdigen, mißt sie diesem Gesetz nach Lage des Falles einen das Grundrecht nach Art10 MRK iVm Art13 StGG unzulässig einengenden und damit verfassungswidrigen Inhalt bei. Dies erhellt letztlich auch daraus, daß sie nicht nur die beiden Interviewer zur Verschweigung ihrer - bereits in der Öffentlichkeit verfochtene Standpunkte berücksichtigenden - eigenen Meinung in einem Fernseh-Interview gesetzlich verpflichtet erachtet und sich - aus verfassungsrechtlicher Sicht verfehlter Weise - in spezifische Stil- und Taktprobleme und Fragen möglichen Wortüberschwangs verliert (vgl. auch VfGH 16.03.1989 B1388/88), sondern darüberhinaus die Zulässigkeit der strittigen Meinungsäußerungen auch an - bloß als interne Maßnahmen unternehmerischer Direktionsgewalt (Funk, ÖJZ 1977, 589, 595 (vgl. auch VfSlg. 7593/1975 u 7717/1975)) einzustufenden - "Programmrichtlinien", also nicht ausschließlich an Gesetzen iS des Art10 Abs2 MRK mißt (S 14 der Bescheidbegründung).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rundfunk, VfGH / Legitimation, Meinungsäußerungsfreiheit, Parteistellung RundfunkG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1701.1988

Dokumentnummer

JFR_10109379_88B01701_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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