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50 GewerberechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zulässigkeit eines Individualantrages auf Aufhebung des §3 Abs1 LadenschlußG idF BGBl. 421/1988; Verbindung mit einem amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung von Teilen des §2 LadenschlußG aus Anlaß eines zulässigen Individualantrages auf Aufhebung des §1 der Wr. LadenschlußV Aufhebung des §2 Abs1 LadenschlußG (allgemeine Ladenschlußzeit an Werktagen für den Kleinverkauf von Waren) und von Teilen des §2 Abs4 LadenschlußG (Ermächtigung an den Landeshauptmann zur Verkürzung dieser zulässigen Offenhaltezeit) - unverhältnismäßiger Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit; durch Festlegung des Samstag Nachmittag als Sperrhalbtag in §3 Abs1 LadenschlußG idF BGBl. 421/1988 kein Überschreiten der dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung zustehenden GestaltungsfreiheitRechtssatz
Zulässigkeit des Individualantrages auf Aufhebung des §1 Wr. LSchV.
Da die angefochtene Bestimmung eine Beschränkung der Offenhaltezeiten für Handelsunternehmungen normiert, ist die antragstellende KG als zur Ausübung eines Handelsgewerbes Berechtigter in ihrer Rechtssphäre direkt betroffen. Eine solche direkte Betroffenheit nahm der Gerichtshof auch für den ebenfalls antragstellenden handels- und gewerberechtlichen Geschäftsführer der gewerbeausübungsberechtigten KG an, da dieser für die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften durch das Unternehmen nach den Vorschriften der GewO und des §9 VStG verantwortlich sei.
Aktuelle Betroffenheit gegeben, kein anderer Rechtsweg zumutbar.
Amtswegige Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Unterbrechung eines aufgrund eines als zulässig angenommenen Individualantrages eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahrens.
Verbindung mit einem Individualantrag auf Aufhebung einer anderen Bestimmung desselben Gesetzes.
Zulässigkeit des Individualantrages auf Aufhebung des §3 Abs1 LSchG idF der Novelle 1988.
Die antragstellende KG ist als zur Ausübung eines Handelsgewerbes Berechtigter durch die von ihr bekämpfte Vorschrift in ihrer Rechtssphäre direkt und aktuell betroffen. Auch steht ihr ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - verfassungswidrigen Eingriffs in ihre Rechtsposition nicht zur Verfügung.
Kein untrennbarer Zusammenhang des angefochtenen §3 Abs1 LSchG idF der Novelle 1988 mit ArtII Z1 und Z3 dieser Novelle.
Der Zusammenhang ist kein notwendiger und nicht von solcher Intensität, daß er eine Anfechtung bloß des §3 Abs1 LSchG unzulässig machen würde. Dies erhellt schon daraus, daß die durch §3 Abs1 LSchG verfügte Sperrverpflichtung an Samstagen durch die genannten Bestimmungen des ArtII der Novelle 1988 dann gar nicht berührt wird, wenn der Normunterworfene von der ihm durch ArtII Z1 der Novelle eingeräumten Wahlmöglichkeit in der Weise Gebrauch macht, daß er sich für abendliche Offenhaltezeiten seiner Verkaufsstellen entscheidet.
Im vorliegenden Fall ist Sitz der - behaupteten - Verfassungswidrigkeit die vom Antragsteller angefochtene Bestimmung des §3 Abs1 LSchG. Zwar stehen die von der Bundesregierung genannten Z1 und 3 des ArtII der Novelle 1988 mit dieser Bestimmung in Zusammenhang, doch ist dieser Zusammenhang nicht so, daß diese Bestimmungen im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmung einen völlig veränderten Inhalt bekämen.
Wenn die die Berufsausübung beschränkenden Regelungen - im Sinne des Erk. VfSlg. 11558/1987 - durch ein öffentliches Interesse sachlich gerechtfertigt sein müssen, so bedeutet das, daß Ausübungsregelungen bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern.
Dem einfachen Gesetzgeber ist bei der Entscheidung, welche (etwa wirtschafts- oder sozialpolitische) Ziele er mit seinen Regelungen verfolgt, innerhalb der Schranken der Verfassung ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu beurteilen, ob die Verfolgung eines bestimmten Zieles etwa aus wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Gründen zweckmäßig ist. Er kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (vgl. ebenfalls VfGH vom 01.12.1987, G132/87 (und Folgezahlen), mwH).
Der Verfassungsgerichtshof kann dem Gesetzgeber nur entgegentreten, wenn dieser Ziele verfolgt, die keinesfalls als im öffentlichen Interesse liegend anzusehen sind (vgl. ebenfalls VfGH vom 01.12.1987, G132/87 (und Folgezahlen), mwH). Solches kann aber von den Zielen (das sind insbesondere die Bedachtnahme auf die Interessen der Verbraucher, die wettbewerbsordnende und die sozialpolitische Funktion von Ladenschlußregelungen), denen die Ladenschlußregelungen im allgemeinen dienen, mit guten Gründen nicht behauptet werden.
Ebenso ist nicht strittig, daß es ein an sich taugliches Mittel zur Erreichung der genannten Ziele darstellt, die zulässigen Offenhaltezeiten für Verkaufsstellen von Handelsbetrieben gesetzlich zu limitieren.
Die in Prüfung stehende Regelung des §2 Abs1 LSchG bewirkt - sieht man zunächst von der eben dargestellten Verordnungsermächtigung zur Verlängerung der zulässigen Offenhaltezeiten durch den Landeshauptmann (§2 Abs5 LSchG) ab - eine sehr weitgehende Beschränkung der Erwerbsausübungsfreiheit an Werktagen, da aufgrund dieser gesetzlichen Anordnungen die Verkaufsstellen von Kleinhandelsbetrieben - im Gegensatz zu den Betrieben fast aller anderer Bereiche der gewerblichen Wirtschaft - zur Abend- und zur Nachtzeit, also insgesamt in großem zeitlichen Ausmaß geschlossen zu halten sind.
Freilich gibt es wichtige öffentliche Interessen, die eine Beschränkung der zulässigen Offenhaltezeiten am Abend zu rechtfertigen geeignet sind.
Der Umstand, daß eine Verlängerung der Öffnungszeit zu einer Verlängerung der Arbeitszeit der Beschäftigten führen könnte, und die Auswirkungen der Ladenschlußregelungen auf die sozial- und familienpolitisch wichtige Lage der Arbeitnehmer sind ohne Zweifel von beachtlichem Gewicht.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß das Interesse an einer grundsätzlich einheitlichen Sperrzeitenregelung zum Zweck der Transparenz der Offenhaltezeiten und auch im Interesse der Vermeidung nachteiliger Folgen für die Infrastruktur von Relevanz sein kann.
Insgesamt ist daher festzuhalten, daß es einen unverhältnismäßigen und auch durch die vom Gesetzgeber angestrebten öffentlichen Interessen nicht mehr zu rechtfertigenden Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit eines Handelsgewerbetreibenden darstellt, diesem auch im Fall einer besonders gelagerten Nachfragesituation das Offenhalten über die allgemeinen Sperrzeiten hinaus auch in dem Ausmaß zu verbieten, in dem nach §2 Abs5 LSchG der Landeshauptmann eine Verlängerung der zulässigen Offenhaltezeit vorsehen kann, wenn dies die Einkaufsbedürfnisse etwa der berufstätigen Bevölkerung erfordern. Da die in Prüfung stehende Regelung auch eine solche individuelle Anpassung der Offenhaltezeit, die von der allgemeinen Offenhaltezeit nur in geringem Ausmaß abweicht und die Gesamtoffenhaltezeit nicht verlängert, ausschließt, greift sie in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Erwerbsbetätigung unverhältnismäßig ein. Daran hat auch der zwischenzeitig (befristet) in Geltung gesetzte ArtII Z1 der Novelle BGBl. 421/1988 angesichts dessen andersartiger und bloß beschränkter Gestaltungsermächtigung nichts geändert.
§2 Abs1 und die Worte "Wenn die Einkaufsbedürfnisse, insbesondere der berufstätigen Bevölkerung, dies zulassen, kann der Landeshauptmann mit Verordnung allgemein oder für Verkaufsstellen bestimmter Art oder für bestimmte Gebiete anordnen, daß, abweichend von den in den Abs1 bis 3 festgesetzten Ladenschlußzeiten," sowie die Worte "die Verkaufsstellen um höchstens eine Stunde früher zu schließen und um höchstens eine Stunde länger geschlossen zu halten sind" in §2 Abs4 des LadenschlußG - LSchG, BGBl. Nr. 156/1958, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
§2 Abs1 LSchG und die in Prüfung gezogenen Worte in dessen §2 Abs4 bewirken nämlich, daß auch im Falle einer besonderen Nachfragesituation - die der Gesetzgeber selbst als berücksichtigungswürdig anerkennt - die Entscheidung über eine Verlängerung der Öffnungszeiten nicht dem Unternehmer, sondern dem Landeshauptmann überlassen wird (siehe hiezu die gleichen Erwägungen im zitierten Vorerkenntnis vom 01.12.1987, G132/87 (und Folgezahlen)).
§3 Abs1 des LSchG, BGBl. Nr. 156/1958 idF BGBl. Nr. 421/1988, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
§3 Abs1 LSchG ist nicht verfassungswidrig, weil dem Unternehmer durch die Berechtigung, seine Verkaufsstellen einmal im Monat am Samstag bis 17 Uhr offen zu halten, eine - im Hinblick auf die die gesetzliche Regelung (unter Bedachtnahme auf die Wochenendruhe) bestimmende Güterabwägung zwar ziemlich eingeschränkte, aber doch vorhandene - Möglichkeit eigener Disposition eingeräumt ist.
Die Festlegung des Samstag Nachmittag als Sperrhalbtag durch das Gesetz greift in das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit der Handelsgewerbetreibenden zweifellos stärker ein, als eine Regelung, die die Wahl eines beliebigen Sperrhalbtags dem Unternehmer selbst überließe.
Besonders für Handelsgewerbetreibende, deren Unternehmen in Konkurrenz zu Handelsbetrieben im benachbarten Ausland stehen, wirkt die in Rede stehende Festlegung naturgemäß schwer, was auch im Verfahren unter Hinweis auf die Gefahr des Kaufkraftabflusses in das Ausland hervorgehoben wurde.
Die Wahl des Samstag Nachmittag als Sperrhalbtag durch das Gesetz kann nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes vor allem deshalb gerechtfertigt werden, weil damit eine weitgehende Synchronisation mit dem allgemeinen arbeitszeitrechtlichen Grundsatz der Wochenendruhe hergestellt wird. Auch sind die vom ÖAKT in seiner Stellungnahme ins Treffen geführten Umstände der besonderen Funktion des Wochenendes für Freizeit, Erholung und soziale Integration öffentliche Interessen von erheblichem Gewicht. Die Bestimmung der Z1 des ArtII der Novelle 1988, die dem Gewerbetreibenden die Möglichkeit gibt, seine Verkaufsstelle an einem Samstag im Monat bis 17 Uhr geöffnet zu halten, räumt nun - worauf die Bundesregierung zu Recht hinweist - dem Unternehmer immerhin die Möglichkeit ein, einmal im Monat am Samstag Nachmittag bis 17 Uhr offenzuhalten, ohne daß in dieser Woche ein "Ersatzsperrhalbtag" einzuhalten wäre. Damit ist es dem Handelsgewerbetreibenden in einem - eingeschränkten - Ausmaß möglich, seine unternehmerische Disposition einer allenfalls gerade für den gesetzlich festgelegten Sperrhalbtag bestehenden Nachfrage anzupassen, wodurch die vom Verfassungsgerichtshof in der wiedergegebenen Passage des Vorerkenntnisses als für die Verfassungsmäßigkeit der damaligen Einschränkung notwendig erachtete Voraussetzung erfüllt ist.
Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß die angefochtene Bestimmung im Kontext mit den bestehenden Sonderregelungen für Verkaufsstellen bestimmter Art und den gebietlichen Sonderregelungen (§§5 und 6 LSchG) und im Kontext mit der erwähnten Bestimmung des ArtII Z1 der Novelle 1988 bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Freiheit und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe noch als verhältnismäßig angesehen werden kann und sich die gesetzliche Regelung insoweit im Rahmen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit hält.
(Anlaßfall: E v 28.09.1989, V82/87)
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gewerberecht, Ladenschluß, VfGH / Legitimation, VfGH / Individualantrag, VfGH / Verfahren, VfGH / Prüfungsumfang, Erwerbsausübungsfreiheit Gesetz, BerufsausübungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:G198.1988Dokumentnummer
JFR_10109379_88G00198_01