RS Vfgh 1989/6/23 B990/87

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Veröffentlicht am 23.06.1989
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs1 / Zurechnung (Behörde)
StGG Art5 / Verwaltungsakt / Gesetzlosigkeit
MRK Art10
GrenzkontrollG

Leitsatz

Abnahme einer Zeitschrift durch ein Zollorgan im Zuge einer Grenzkontrolle; der örtlich zuständigen Sicherheitsbehörde zuzurechnen; als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren; Verletzung des Eigentumsrechtes und des Rechtes auf Informationsfreiheit nach Art10 MRK wegen fehlender gesetzlicher Grundlage

Rechtssatz

Schreiten Zollorgane auf Grund des Übertragungsgesetzes BGBl. 220/1967, in Vollziehung übertragener Aufgaben ein, so handeln sie insofern, wie sich aus §6 Abs1 dieses Gesetzes ergibt, als Hilfsorgane der zuständigen Sicherheitsbehörden. Bei der aus Anlaß der Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet vorgenommenen Paßkontrolle handelte es sich um eine solche Aufgabe. Sie ist demnach der Bezirkshauptmannschaft Schärding als sachlich und örtlich zuständiger Sicherheitsbehörde zuzurechnen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 8879/1980).

Die mit der vorliegenden Beschwerde bekämpfte Maßnahme (Abnahme einer Zeitschrift) erfolgte aus Anlaß und in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit einer im Zuge der Grenzkontrolle getroffenen Maßnahme. Sie ist daher der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnen. Dieser kommt mithin hinsichtlich des Beschwerdegegenstandes die Stellung als belangte Behörde zu.

Die Abnahme der Zeitschrift stellte sich dem Beschwerdeführer gegenüber als ein ohne vorausgegangenes Verwaltungsverfahren ergangener Akt dar, der rechtlich als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren und demnach gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar ist.

Die Angabe von Inspektor H, die (ihm nicht mehr erinnerliche) Abnahme des Zeitschriftenexemplars könne nur versehentlich geschehen sein, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern.

Die Abnahme der Zeitschrift greift in das Eigentum des Beschwerdeführers ein. Dieser Eingriff ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8776/1980, 9490/1982) unter anderem dann verfassungswidrig, wenn er ohne jede Rechtsgrundlage erfolgt ist.

Selbst nach den Ausführungen der belangten Behörde fehlte für die Abnahme des Zeitschriftenexemplars durch Zollorgane eine gesetzliche Grundlage.

Der Beschwerdeführer wurde mithin durch die Abnahme des Zeitschriftenexemplars im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung (siehe VfSlg. 10.393/1985, 10.948/1986, 11.297/1987 klargestellt, daß der Schutzumfang des Art10 MRK weiter als der des Art13 StGG ist, weil der Anspruch auf freie Meinungsäußerung nach Art10 Abs1 MRK ausdrücklich auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten (to receive and impart information, de recevoir ou de communiquer des informations) ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksichtnahme auf Landesgrenzen einschließt (zu Art13 StGG grundlegend VfSlg. 2362/1952; siehe auch VfSlg. 10.948/1985).

Aus Art10 MRK resultiert zwar keine Verpflichtung des Staates, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen. Eine Behinderung der Beschaffung und Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen ist aber ausschließlich unter den Voraussetzungen des Abs2 des Art10 MRK zulässig, weil nur eine solche Interpretation es gewährleistet, das Recht der Meinungsäußerung auf Grund eines umfassenden Informationsstandes wirklich auszuüben (VfSlg. 11.297/1987).

Im vorliegenden Fall wurde durch die Abnahme der Zeitschrift in die von Art10 MRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers eingegriffen, da der Beschwerdeführer durch den Entzug des Informationsträgers an der Aufnahme öffentlich zugänglicher Informationen gehindert war. Da er im vorliegenden Fall ohne jede ges Grundlage erfolgte, ist auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch die in Beschwerde gezogene behördliche Vorgangsweise im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Informationsfreiheit verletzt worden ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Beschlagnahme, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Informationsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit, Eigentumseingriff, Grenzkontrolle

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B990.1987

Dokumentnummer

JFR_10109377_87B00990_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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