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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 2.142,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin bezog im Jahr 2000 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit ua. als Bilanzbuchhalterin einer Steuerberatungskanzlei. Zudem betrieb sie in diesem Jahr das ordentliche Diplomstudium der "Betriebswirtschaftslehre" an der Wirtschaftsuniversität Wien.
2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. September 2002 wurden die von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung für das Kalenderjahr 2000 geltend gemachten Aufwendungen für das genannte Diplomstudium nicht als steuerlich abzugsfähige Werbungskosten anerkannt. Zur Begründung wurde ausgeführt, kraft §16 Abs1 Z10 letzter Satz EStG 1988 stellten Aufwendungen im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium keine abzugsfähigen Ausbildungskosten dar.
3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie die Verletzung von Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich der Worte "oder im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium" im letzten Satz des §16 Abs1 Z10 EStG 1988, geltend gemacht und der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
4. Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland legte als belangte Behörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Verwaltungsakten vor; auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
II. Mit Erkenntnis vom 15. Juni 2004, G8-10/04, hob der Verfassungsgerichtshof die Worte "oder im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium" im letzten Satz des §16 Abs1 Z10 EStG 1988, BGBl. 400, idF BGBl. I 1999/106 als verfassungswidrig auf.
III. 1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zu Grunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
2. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfällen (im engeren Sinn), anlässlich derer das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 15. Juni 2004. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 4. November 2002 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zu Grunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
4. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides ua. die mit dem unter Pkt. II. genannten Erkenntnis als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
5. Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985, 10.515/1985). Der Bescheid war daher aufzuheben.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Der zugesprochene Betrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) in Höhe von EUR 180,--.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B1602.2002Dokumentnummer
JFT_09959372_02B01602_00