RS Vfgh 1989/10/3 G88/89

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 03.10.1989
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Index

37 Geld-, Währungs-und Kreditrecht
37/01 Geld-und Währungsrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung
B-VG Art18 Abs1
DevisenG 1946 §2 Abs1
NationalbankG 1984 §7 Abs1

Leitsatz

Entziehung einer Berechtigung "ohne Angabe von Gründen"; diese in §2 Abs1 zweiter Satz DevisenG enthaltenen Worte gehören als ältere spezielle Norm als Ausnahme von der jüngeren generellen Norm (§7 NationalbankG), dem Rechtsbestand an; Aufhebung wegen Widerspruchs zum Rechtsstaatsprinzip und zum Gleichheitsgebot

Rechtssatz

"lex posterior derogat legi priori"

Diese Regel gilt nur, wenn die ältere und die jüngere Regelung denselben Gegenstand betreffen und denselben Geltungsbereich haben. Sie kann daher auf das Verhältnis einer späteren generellen zu einer früheren speziellen Norm nicht ohne weiteres angewendet werden. Denn in einem solchen Fall können die beiden Normen auch so gedeutet werden, daß die ältere, spezielle Norm als Ausnahme von der jüngeren generellen Norm betrachtet wird, sodaß ihre Derogation durch die spätere generelle Norm gerade nicht anzunehmen ist.

Es läßt sich kein Hinweis dafür finden, daß durch die Formulierung im §7 Abs1 NationalbankG die verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen des DevG (wie etwa der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung bei Berufung gegen Bescheide nach §1 Abs2 DevG oder eben auch die in Prüfung genommene Bestimmung) verändert werden sollten. Auch der Kommentar zum Währungs- und Devisenrecht von Schwarzer-Csoklich-List (Das Währungs- und Devisenrecht4) geht von dieser Sicht der Dinge aus (vgl. S 164, Anm. 3 zu §7 NationalbankG und S 408, Anm. 8 zu §2 DevG). Nicht zuletzt ist es aber auch ein Gebot der dem Rechtsstaatsprinzip der Bundesverfassung innewohnenden Postulate der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit, von der Geltung der Worte "ohne Angabe von Gründen" auszugehen, da dies dem Verfassungsgerichtshof ermöglicht, die Wortfolge im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit aus dem Rechtsbestand auszuscheiden.

Unveränderte Weitergeltung des §2 Abs1 zweiter Satz DevG 1946; keine Derogation durch §7 Abs1 NationalbankG.

Die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß die Bestimmung, soweit sie die Behörde zur Erlassung eines begründungslosen belastenden Bescheides ermächtigt, dem Rechtsstaatsprinzip widerspricht, trifft zu.

Eine gesetzliche Regelung entbehrt auch der sachlichen Rechtfertigung, wenn sie der Behörde die in keiner Weise näher bestimmte Möglichkeit zum Entzug einer einmal erteilten Berechtigung überträgt. Die Oesterreichische Nationalbank ist dem Wortlaut der in Prüfung stehenden Bestimmung nach ermächtigt, eine Devisenhandelsermächtigung aus den verschiedensten denkbaren Gründen zu entziehen. Daß eine derart umfassende und undifferenzierte Ermächtigung, weil sie auch aus bloß relativ geringfügigen Anlässen eine Entziehung der Berechtigung ermöglichte, nicht sachlich zu rechtfertigen wäre, bedarf keines weiteren Nachweises.

Keine verfassungskonforme Interpretation des §2 Abs1 zweiter Satz DevG 1946.

Eine Reduktion des Norminhalts auf eine Ermächtigung zur Entziehung in schwerwiegenden Fällen käme in Konflikt mit Art18 Abs1 B-VG. Es wäre nämlich auch unter Heranziehung der Bestimmungen der Präambel zum DevG und des §2 NationalbankG nicht erkennbar, in welchen schwerwiegenden Fällen von der Ermächtigung zum Entzug der Berechtigung Gebrauch gemacht werden soll: Es bliebe etwa unklar, ob ein Fehlverhalten größeren Ausmaßes oder eines mit schwerer Schuld oder ein solches mit schwerwiegenden Folgen zum Entzug der Ermächtigung führen soll. Angesichts der gravierenden Auswirkung einer derartigen Maßnahme verlangt es aber das verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip, daß aus dem Gesetz klar hervorgeht, in welchen Fällen die Nationalbank von dieser Maßnahme Gebrauch zu machen hat.

Aufhebung des zweiten Satzes des §2 Abs1 DevG 1946 wegen der darin normierten Ermächtigung der Oesterreichischen Nationalbank, eine erteilte Devisenhandelsermächtigung "ohne Angabe von Gründen" zu entziehen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Geltungsbereich eines Gesetzes, Derogation, lex specialis, Rechtsstaatsprinzip, Devisenrecht, Determinierungsgebot, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G88.1989

Dokumentnummer

JFR_10108997_89G00088_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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