RS Vfgh 1989/10/3 G55/89, V19/89

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Veröffentlicht am 03.10.1989
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8240 Abfall, Müll

Norm

B-VG Art18 Abs2 / Verordnung Erlassung gesetzwidrig
B-VG Art19 Abs1
B-VG Art101
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art139 Abs4
Stmk AbfallbeseitigungsG §15 Abs9
Stmk MüllwirtschaftsG §34
Verordnung über die Begrenzung des Einzugsbereiches und die Eingrenzung der Müllmenge der im politischen Bezirk Radkersburg gelegenen Müllbeseitigungsanlage (Mülldeponie) Halbenrain GesmbH, LGBl für die Stmk 98/1987

Leitsatz

Unzulässiger Eingriff in die Entscheidungsbefugnis derLandesregierung als oberstes Vollzugsorgan durch Bindung an dieAntragstellung einer qualifizierten Mehrheit von Gemeinden alsVoraussetzung für die Erlassung einer - über die Interessen derGemeinden - hinausreichenden Verordnung; gesetzwidrige Art desZustandekommens der Verordnung bewirkt ihre Gesetzwidrigkeitzur Gänze

Rechtssatz

Die Wortfolge "über Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden eines politischen Bezirks" in §15 Abs9 AbfallbeseitigungsG, LGBl. für die Steiermark Nr. 118/1974, idF der AbfallbeseitigungsG-Novelle 1987, LGBl. für die Steiermark Nr. 68, war verfassungswidrig.

Wenn das Gesetz vorsieht, daß "die Landesregierung über Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden eines politischen Bezirkes durch Verordnung" den Einzugsbereich einer Müllbeseitigungsanlage begrenzen bzw. die Menge und die Art der Abfälle eingrenzen kann, so ordnet es damit gleichzeitig an, daß die Landesregierung ohne einen derartigen Antrag eine Verordnung nach §15 Abs9 Stmk AbfallbeseitigungsG nicht erlassen darf. Die Formulierung des Gesetzgebers wäre schlechterdings unverständlich, würde man mit der Steiermärkischen Landesregierung den ausdrücklich vorgesehenen "Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden" lediglich als Anregung deuten, wie sie von jedermann zur Erlassung einer beliebigen Verordnung ausgesprochen werden kann. Bildet aber nach dem Wortlaut des Gesetzes der "Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden" eine unabdingbare Voraussetzung für die Erlassung der Verordnung der Landesregierung, so kann hier völlig dahingestellt bleiben, ob ihr diesbezüglich bei Vorliegen des Antrages - wie die Steiermärkische Landesregierung meint - freies Ermessen eingeräumt ist. Zweifellos ist es nämlich der Landesregierung verwehrt, eine Verordnung zur Abwehr oder Beseitigung drohender Gefahren gemäß §15 Abs9 Stmk AbfallbeseitigungsG zu erlassen, wenn es am entsprechenden Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden eines politischen Bezirkes fehlt.

Zwar darf eine Antragsbefugnis Dritter auf Erlassung eines Verwaltungsaktes keineswegs immer oder schlechthin als Eingriff in die Entscheidungsbefugnis des mit der Erlassung des Verwaltungsaktes gesetzlich betrauten Verwaltungsorgans verstanden werden. Eine Antragsbefugnis bildet nämlich dann keinen derartigen Eingriff, wenn sie zur Durchsetzung von Interessen dient, die wahrzunehmen der Antragsteller berufen ist.

Durch §15 Abs9 Stmk AbfallbeseitigungsG wird die Erlassung einer Verordnung durch die Landesregierung, die der Abwehr oder Beseitigung drohender Gefahren und Belästigungen umfänglicher Art dient, von einer vorhergehenden Willensäußerung einer qualifizierten Zahl von Gemeinden abhängig gemacht, ohne daß die durch die Verordnung bewirkte Gefahrenabwehr im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der Gemeinden gelegen wäre. Diese Willensäußerung geht über eine Herstellung des Einvernehmens, wie sie bereits in VfSlg. 2332/1952 als unzulässiger Eingriff in die durch Art101 Abs1 B-VG garantierte oberste Vollziehung des Landes durch die Landesregierung verstanden wurde, noch deswegen hinaus, weil damit die Erlassung der Verordnung nach §15 Abs9 Stmk AbfallbeseitigungsG durch die Landesregierung nicht nur von der Mitwirkung eines anderen Organs, sondern sogar von dessen Initiative abhängig gemacht wird. Die Antragsbefugnis "von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden eines politischen Bezirkes" erweist sich somit als ein Eingriff in die Entscheidungsbefugnis der Landesregierung als eines obersten Organs der Vollziehung gemäß Art19 Abs1 und 101 B-VG, weil dadurch eine - von den gesetzlichen Voraussetzungen her betrachtet - über die Interessen der Gemeinden hinausreichende Verordnung der Landesregierung an die Initiative einer qualifizierten Mehrheit jener Verwaltungsträger gebunden wird.

Die Wortfolge "über Antrag von mindestens zwei Dritteln der Gemeinden eines politischen Bezirkes" in §15 Abs9 Stmk AbfallbeseitigungsG widerspricht sohin Art19 Abs1 und 101 B-VG.

Das Gesetz vom 25.06.1974, LGBl. 118, über die Abfuhr und die Beseitigung von Abfällen (AbfallbeseitigungsG) ist mit dem Inkrafttreten des Stmk MüllwirtschaftsG, LGBl. 7/1988, di. mit 01.03.1988, gemäß §34 Abs2 dieses Gesetzes ausdrücklich außer Kraft getreten. Mag der Gesetzgeber in der genannten Derogationsvorschrift des §34 Abs2 des Stmk MüllwirtschaftsG auch auf die Erwähnung der AbfallbeseitigungsG-Novelle 1987, LGBl. 68, verzichtet haben, so ist der durch diese Novelle angefügte Absatz 9 des §15 des AbfallbeseitigungsG dennoch gleichfalls mit dem Inkrafttreten des Stmk MüllwirtschaftsG, sohin am 01.03.1988, außer Kraft getreten.

Die Verordnung über die Begrenzung des Einzugsbereiches und die Eingrenzung der Müllmenge der im politischen Bezirk Radkersburg gelegenen Müllbeseitigungsanlage (Mülldeponie) Halbenrain GesmbH, LGBl. für die Steiermark Nr. 98/1987, war gesetzwidrig.

Die in Prüfung gezogene Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung, LGBl. 98/1987, wurde aufgrund eines als verfassungswidrig befundenen Antrages der Gemeinden des Verwaltungsbezirks Radkersburg von der Steiermärkischen Landesregierung erlassen. Dieser Antrag ist sohin ebenso wie in VfSlg. 6495/1971 ein "Akt der Teilnahme am Normerlassungsvorgang", zumal nicht auszuschließen ist, daß die Anträge der Gemeinden von Einfluß auf den Inhalt der Verordnung waren. Die Art ihres Zustandekommens bewirkt sohin auch die Gesetzwidrigkeit der (ganzen) Verordnung.

(Anlaßfall: E v 03.10.89, B313/88 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides)

Entscheidungstexte

  • G 55/89,V 19/89
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 03.10.1989 G 55/89,V 19/89

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Abfallbeseitigung, Mülldeponie,Verordnungserlassung, Bindung (der Landesregierung anAntragsrecht), Kreationsakt zusammengesetzter, Oberste Organe derVollziehung, Landesregierung, Derogation, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G55.1989

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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