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24 StrafrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Rechtspolitik - ExzeßLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung des §209 StGB; keine Wirksamkeit der im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getretenen (Stamm-)Fassung für den Antragsteller; Abweisung des Individualantrages auf Aufhebung des §209 StGB idF BGBl. 599/1988; aktuelle Beeinträchtigung der Rechtssphäre des homosexuellen Antragstellers; unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen in bezug auf homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen im Hinblick auf die dem Gesetzgeber zukommende Verwirklichung strafpolitischer Zielsetzungen verfassungsrechtlich unbedenklich; kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot; zulässige Maßnahme iS des Art8 Abs2 MRK zum Schutz der ungestörten Entwicklung der von Straftaten betroffenen PersonenRechtssatz
Unter Zugrundelegung des Antragsvorbringens ist es ausgeschlossen, daß §209 StGB in der mit 01.01.1989 außer Kraft getretenen Fassung für den Einschreiter noch wirksam ist. Dem Antragsteller fehlt darum die nicht bloß im Zeitpunkt der Antragseinbringung, sondern auch in dem der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erforderliche Legitimation zur Anfechtung, sodaß sein Antrag zu G227/88 zurückzuweisen ist.
Durch §209 StGB wird die Rechtssphäre des Einschreiters aktuell beeinträchtigt. Die Lebenssituation, in der er sich den Antragsausführungen zufolge befindet, ist nicht unschlüssig dargestellt; eine weiterreichende, in Einzelheiten gehende Schilderung ist dem Beschwerdeführer selbst in Erwägung des (nicht mit Sicherheit auszuschließenden) Umstandes nicht zumutbar, daß die Antragsbehauptungen nicht oder nicht vollständig den Tatsachen entsprechen (der Beschwerdeführer behauptet, in der Beziehung zu seinem jugendlichen Freund, keine gegen §209 StGB verstoßenden Handlungen gesetzt zu haben). Zudem ist der Antragsteller laut eigenem Vorbringen im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wegen des Delikts der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach §209 StGB (alt) mehrfach vorbestraft, seine hier relevante allgemeine Neigung also entsprechend dokumentiert.
Daß dem Antragsteller ein anderer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffs in seine Rechtssphäre zumutbar wäre, kann nicht gesagt werden; es liegt auch offenkundig nicht die Situation vor, daß der gegen die angefochtene Norm erhobene Vorwurf sich der Zielrichtung nach nicht gegen künftige Wirkungen der Rechtsvorschrift wendet, sondern gegen ihre für den Antragsteller nachteilige Anwendung in bereits abgeschlossenen Strafverfahren.
Abweisung des Individualantrags auf Aufhebung des §209 StGB nF.
Der Verfassungsgerichtshof hält an seiner in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung fest, daß die dem einfachen Gesetzgeber verfassungsmäßig eingeräumte rechtspolitische Gestaltungsfreiheit sowohl für die angestrebten Ziele als auch für die Auswahl der zur Zielerreichung dienlichen Mittel gilt: Der einfache Gesetzgeber kann frei entscheiden, welche Instrumente er - unter Berücksichtigung erwünschter oder in Kauf genommener Nebenwirkungen - in der jeweils gegebenen Situation zur Verwirklichung seiner Zielsetzungen geeignet erachtet und anwendet. Verwehrt ist ihm hiebei nur die Überschreitung der von Verfassungs wegen gezogenen Schranken, so die Verletzung des aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebots, indem beispielsweise zur Zielerreichung völlig ungeeignete Mittel gewählt werden oder die vorgesehenen, an sich geeigneten zu einer sachlich unbegründbaren Differenzierung führen (s. zB VfSlg. 11.369/1987 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur; ferner VfGH 07.03.1988 B914/87). Die Fortentwicklung der Strafrechtsordnung in den letzten Jahrzehnten zeigt nun, daß der Gesetzgeber das Justizstrafrecht - in Verfolgung seiner unter dem Überbegriff "Entkriminalisierung" bekannt gewordenen kriminalpolitischen Bestrebungen - deutlich restriktiver als zuvor einzusetzen trachtet, Straftatbestände also nur dann bestehen läßt oder neu schafft, wenn eine derartige Pönalisierung sozialschädlichen Verhaltens auch nach strengsten Kriterien unbedingt geboten und unerläßlich ist.
Die angefochtene Strafnorm zählt zu jener Gruppe von Unrechtstatbeständen, die dem Schutz des heranreifenden jungen Menschen vor sexueller Fehlentwicklung - im unumgänglich befundenen Umfang - dient. So betrachtet kann dem Strafgesetzgeber aber nach Überzeugung des Verfassungsgerichtshofes unter dem Aspekt des Gleichbehandlungssatzes der Art7 Abs1 B-VG und 2 StGG nicht mit Grund entgegengetreten werden, wenn er - unter Berufung auf maßgebende Expertenmeinungen in Verbindung mit Erfahrungstatsachen den Standpunkt einnehmend, daß eine homosexuelle Einflußnahme männliche Heranreifende in signifikant höherem Grad gefährde als gleichaltrige Mädchen - auf dem Boden und in Durchsetzung seiner Wertvorstellungen mit Beachtung der eingeschränkten, maßhaltenden Ziele der vorherrschenden Strafrechtspolitik (bei sorgsamer Abwägung aller vielfältigen Vor- und Nachteile) ableitet, es sei mit einer strafrechtlichen Ahndung homosexueller Handlungen an jungen Menschen männlichen Geschlechts, wie in §209 StGB festgelegt, das Auslangen zu finden. Denn es handelt sich hier - alles in allem genommen - um eine Differenzierung, die auf Unterschieden im Tatsachenbereich beruht und deswegen aus der Sicht des Art7 Abs1 B-VG iVm Art2 StGG verfassungsrechtlich zulässig ist.
Hierin kommt nur der rechtspolitische Grundgedanke zum Ausdruck, die einschneidenden, strengen Mittel des Kriminalrechts in sachgerechter Weise zurückhaltend und sparsam zu handhaben.
Gegen Art8 EMRK kann die angefochtene Strafnorm des §209 StGB allein schon deshalb nicht verstoßen, weil der behauptete Eingriff in das Privat- und Familienleben ganz offenkundig eine nach Art8 Abs2 MRK zulässige gesetzgeberische Maßnahme zum Schutz der Rechte anderer ist, nämlich zum Schutz der ungestörten Entwicklung der von den Straftaten betroffenen Personen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Strafrecht, Rechtspolitik, Homosexualität, geschlechtsspezifische Differenzierungen, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:G227.1988Dokumentnummer
JFR_10108997_88G00227_01