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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / RückwirkungLeitsatz
Rückwirkende Einführung einer belastenden Steuervorschrift; Verletzung des Gleichheitsrechtes infolge gravierender Beeinträchtigung des Vertrauens in die geltende RechtslageRechtssatz
Der Verfassungsgerichtshof hat die in Prüfung gezogene Bestimmung in seinem Verfahren zur Überprüfung des Bescheides schon deshalb anzuwenden, weil die Behörde den Bescheid ausdrücklich und der Sache nach auf diese Bestimmung gestützt hat und dies nicht denkunmöglich geschah und weil eine Prüfung der Frage, ob die Anwendung der Bestimmung in concreto dem aus dem Gleichheitsgebot erfließenden Willkürverbot widerspricht, vom Verfassungsgerichtshof nicht beantwortet werden kann, ohne daß die Bestimmung vom Verfassungsgerichtshof selbst angewendet wird. Die in Prüfung genommene Norm ist daher präjudiziell.
Das Vertrauen in die Rechtsordnung ist unter bestimmten Voraussetzungen durch den Gleichheitsgrundsatz geschützt (vgl. insbesondere Richard Novak, Vertrauensschutz und Verfassungsrecht, in: Korinek (Hg), FS Karl Wenger, 1983, 159ff, insbesondere 174ff und die dort gegebenen Hinweise). So hat der Gerichtshof etwa in Fällen, in denen eine Steuerbehörde von einer über mehrere Jahre vertretenen Rechtsauffassung, an die sich die Steuerpflichtigen in der Folge gehalten haben, ohne triftige Gründe abwich, eine Verletzung von Treu und Glauben festgestellt und erkannt, daß dies den Bescheid mit Willkür belaste (VfSlg. 6258/1970 und 8725/1980).
Dem Vertrauensschutz kommt aber auch insoweit Relevanz zu, als der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist, ihm bei seinen Regelungen Beachtung zu schenken. In diesem Sinn hat der Verfassungsgerichtshof etwa stets die Bindung gesetzlich verfügter Rückwirkungen an den Gleichheitsgrundsatz betont (vgl. zB VfSlg. 3336/1958, 6182/1970, 7705/1975, 8195/1977, 8589/1979, 9483/1982 uva.). Auch bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von gesetzlichen Regelungen, durch die in Pensionsansprüche mindernd eingegriffen wurde, hat der Gerichtshof dem Vertrauensschutz unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes bedeutendes Gewicht zugemessen (vgl. etwa VfSlg. 11309/1987, VfGH v 16.3.1988, G184-194/87 ua.).
Der Verfassungsgerichtshof hat in Fällen, in denen eine Steuerbehörde von einer über mehrere Jahre vertretenen Rechtsauffassung, an die sich die Steuerpflichtigen in der Folge gehalten haben, ohne triftige Gründe abwich, eine Verletzung von Treu und Glauben festgestellt und erkannt, daß dies den Bescheid mit Willkür belaste (VfSlg. 6258/1970 und 8725/1980).
Rechtsnormen zielen auf die Steuerung menschlichen Verhaltens. Diese Funktion können Rechtsvorschriften freilich nur erfüllen, wenn sich die Normunterworfenen bei ihren Dispositionen grundsätzlich an der geltenden Rechtslage orientieren können. Daher können gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt geraten, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Normunterworfenen nachträglich belasten. Das kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffes führen (wie etwa in den mit VfSlg. 11309/1987 entschiedenen Fällen).
Abgabengesetze fordern vom Staatsbürger Geldleistungen, die zu entrichten sind, wenn bestimmte Tatbestände verwirklicht werden. Deshalb orientieren sich Steuerpflichtige bei ihren Dispositionen (auch) an den jeweils geltenden Steuergesetzen. Soweit nun Steuertatbestände an Handlungen steuerlicher Belastungen knüpfen, an die im Zeitpunkt der Handlung selbst entsprechende Rechtsfolgen nicht geknüpft waren, werden jene Steuerpflichtigen, die im Vertrauen auf die seinerzeitige (rückwirkend geänderte) Rechtslage disponiert haben, in diesem Vertrauen enttäuscht.
Gesetzliche Vorschriften, die (nachträglich) an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen und dadurch die Rechtsposition der Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, führen zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis (vgl. auch dazu Novak, aaO 174ff), wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden).
In den ersten zweieinhalb Monaten des Jahres 1987 bestand - nach Außerkrafttreten der unter Setzung einer einjährigen Frist aufgehobenen Bestimmung des §23a EStG 1972 (alte Fassung) mit Erk. VfSlg. 10731/1985 - keine besondere, die Ausgleichsfähigkeit von Verlusten eines Kommanditisten aus seiner Beteiligung an einer KG beschränkende Bestimmung. Steuerpflichtige konnten daher bei ihren Dispositionen von dieser rechtlichen Situation ausgehen. Die nachträgliche Einführung einer die Ausgleichsfähigkeit der in Rede stehenden Verluste beschränkenden Regel hat daher die im Vertrauen auf die seinerzeit geltende Rechtslage handelnden Personen gravierend und unsachlich getroffen. Weder die Tatsache, daß während der vom Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten des §23a EStG 1972 (alte Fassung) gesetzten Frist vom Bundesministerium für Finanzen ein Entwurf zu einer Neuregelung zur Begutachtung versendet wurde, noch die Tatsache, daß eine literarische Diskussion zu diesem Thema stattgefunden hat, können daran etwas ändern. Der Steuerpflichtige hat sich an der geltenden Rechtslage zu orientieren. Umgekehrt ist er - unter den vorhin genannten Voraussetzungen - in seinem Vertrauen auf die geltende Rechtslage geschützt und muß sich nicht an Planungen, politischen Vorhaben und literarischen Diskussionen orientieren. Abzulehnen ist auch der von der Bundesregierung vertretene Gedanke, die Tatsache, daß Interessenvertretungen von Änderungsvorhaben informiert gewesen seien, hätte Steuerpflichtige veranlassen müssen, ihre Dispositionen nicht an der geltenden Rechtslage, sondern an den diskutierten Änderungsvorhaben zu orientieren.
Die rückwirkende Inkraftsetzung des §23a EStG 1972 (neu) beschränkt ihre Wirkung keineswegs auf jene Dispositionen, die im fraglichen Zeitraum im Hinblick auf damals neu aufgelegte Projekte vorgenommen wurden.
Das rückwirkende Inkraftsetzen des §23a EStG 1972 idF des 1. AbgÄG 1987 hat die steuerliche Situation für jene Steuerpflichtigen gravierend geändert, die im Vertrauen auf die Rechtslage nach Inkrafttreten der Aufhebung des §23a EStG 1972 (alte Fassung) und vor dem 12.03.1987 (dem Tag der Kundmachung der rückwirkend inkraftgesetzten Regelung) ihre Dispositionen getroffen haben und hat diese Gruppe von Steuerpflichtigen unsachlich und demgemäß gleichheitswidrig belastet.
ArtII Z1 erster Satz des I. Abschnittes des Ersten AbgÄG 1987, BGBl. 80/1987, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
(Anlaßfall: E v 11.10.89, B1275/87 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides)
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Einkommensteuer, Verlustzuweisung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Rückwirkung, Treu und Glauben, Rechte wohlerworbene, Abgaben, VertrauensschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:G228.1989Dokumentnummer
JFR_10108995_89G00228_01