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19 Völkerrechtliche VerträgeNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Verletzung des Art3 MRK durch einen gegen das WaffengebrauchsG verstoßenden, auf Befehl eines Beamten gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Angriff eines Diensthundes und das Versetzen eines Schlages auf den HinterkopfRechtssatz
Der gegen eine bestimmte Person gerichtete - hier mit dem Befehl "Faß!" bewirkte - Einsatz eines Diensthundes stellt die Ausübung von Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG dar, ebenso das Versetzen eines Schlages.
Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung (VfSlg. 7377/1974, 8145/1977, 8146/1977, 10427/1985) die Auffassung, daß ein nach den Bestimmungen des WaffengebrauchsG 1969, BGBl. 149/1969 idF BGBl. 422/1977, zulässiger Waffengebrauch (gegen Menschen) im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse nicht als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iS des Art3 MRK angesehen werden kann. Gleiches gilt für einen - gegen Menschen gerichteten - scharfen Einsatz eines Diensthundes (als Mittel, dessen Wirkung der einer Waffe gleichkommt), wenn die Voraussetzungen der Vorschriften des §10 WaffengebrauchsG 1969 erfüllt sind.
Ein - wie hier - offenkundig gegen das WaffengebrauchsG 1969 verstoßender (Dienst-)Hundeeinsatz verletzt nicht bereits zwingend Art3 MRK. Der Verfassungsgerichtshof geht aber davon aus, daß eine derartige gesetzwidrige Verwendung eines Diensthundes im allgemeinen als Akt, dem eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person innewohnt (vgl. dazu VfSlg. 8145/1977 uam.), und damit als unmenschliche und erniedrigende Behandlung iS des Art3 MRK zu werten ist: Wenn auch Diensthunde darauf abgerichtet sind, die verfolgte Person in möglichst glimpflicher Weise zu stellen (und angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen), beruht die Wirkung ihres Einsatzes doch auf der Unberechenbarkeit des im Kampf meist überlegenen Tieres aus dem Blickwinkel des Angegriffenen, der sich mit ihm - unabhängig von den Absichten des den Hund einsetzenden Beamten - auf dieselbe Stufe gestellt sieht.
Dieser erniedrigende Charakter kann zwar im Einzelfall durch besondere, den enggezogenen Bedingungen des §10 WaffengebrauchsG 1969 bedeutungs- und gewichtsmäßig gleichzuhaltende Gründe aufgewogen werden, doch liegen solche Gründe hier nicht vor.
Die Beschwerdeführerin ist durch den von einem Organ der Bezirkshauptmannschaft veranlaßten Einsatz eines Diensthundes gegen ihre Person und dadurch, daß ihr dieses behördliche Organ zur genannten Zeit am genannten Ort einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, verletzt worden.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Waffengebrauch, MißhandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1172.1987Dokumentnummer
JFR_10108989_87B01172_01