RS Vfgh 1989/11/30 G139/88, G140/88, G141/88, G146/88, G177/88, G16/89, G17/89, G74/89, G75/89, G76/

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 30.11.1989
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Index

58 Berg- und Energierecht
58/03 Sicherung der Energieversorgung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Rechtspolitik
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art5 / Eingriff
StGG Art5 / Eigentumsbeschränkung
StGG Art5 / Gesetz / Verletzung
MRK 1. ZP Art1
Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982 ArtII §2 Abs1 idF BGBl 266/1984. 652/1987. 399/1988
Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982 ArtII §3 Abs1
Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982 ArtII §4 Abs2 idF BGBl 266/1984. 652/1987

Leitsatz

Zulässige Individualanträge von erdölimportierenden Handelsgesellschaften auf Aufhebung von Bestimmungen des Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982; aus dem Gesetz selbst erfließende Verpflichtung zum Abschluß von Verträgen mit einem bestimmten mit Bundeshaftung ausgestatteten Lagerhalter zwecks Übernahme eines Teiles der Vorratspflicht; keine Beseitigung der Zulässigkeit des Antrages durch die Möglichkeit der Erwirkung eines Feststellungsbescheides, der Anhängigkeit eines Verwaltungsstrafverfahrens gegen ein vertretungsbefugtes Organ und des nach Einbringung des Antrages erfolgten Außerkrafttretens einer Gesetzesbestimmung; Sicherung der Energieversorgung im öffentlichen Interesse gelegen; Verstoß gegen das Gleichheitsgebot durch sachwidrige Benachteiligung der an der Lagergesellschaft nicht beteiligten Erdölimporteure; Durchblick auf die hinter der juristischen Person stehenden Rechtsträger; Ziel der Überbindungspflicht ist wirtschaftliche Entlastung der Lagergesellschaft; Verletzung des Eigentumsrechtes durch die in der Überbindungspflicht gelegene, nicht im Allgemeininteresse erforderliche Eigentumsbeschränkung

Rechtssatz

Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung des ArtII §4 Abs2 Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982 idF BGBl. 652/1987 sowie des ArtII §2 Abs1 Z1 und §3 Abs1 leg. cit. idF BGBl. 339/1988.

Unzulässigkeit hingegen des Antrages insoweit, als er ArtII §2 (in seinem restlichen Umfang), §3 Abs3, 4, 5 und §4 des Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982 idF BGBl. 339/1988 betrifft, mangels Darlegung der Bedenken im einzelnen iSd §62 Abs1 VfGG.

Die bekämpfte Gesetzesstelle muß zumindest zum Zeitpunkt der Antragstellung (noch) eine behauptete und tatsächlich vorliegende (nachteilige) rechtliche Wirkung für den Antragsteller haben, mag auch das Gesetz inzwischen bereits außer Kraft getreten sein (Art140 Abs4 B-VG).

Bei einem Individualantrag, der sich auf ein zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung, nicht aber zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (noch) geltendes Gesetz bezieht, kann es nicht vom zeitlichen Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof abhängen, ob der an sich zulässige Gesetzesprüfungsantrag zu einer Entscheidung des Gerichtshofs in der Sache führt. Die Antragsteller haben sohin ihre Antragslegitimation nicht dadurch verloren, daß die von ihnen angegriffenen Gesetzesbestimmungen während des von ihnen initiierten Gesetzesprüfungsverfahrens außer Kraft traten.

Die rechtliche Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid zu erlassen, beseitigt die Zulässigkeit des Individualantrages nach Art140 Abs1 B-VG dann nicht, wenn der einzige Zweck des Feststellungsbescheides darin bestünde, damit ein Mittel zu gewinnen, um die gegen ein Gesetz bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Die - von Art140 Abs1 B-VG ausgeschlossene - Doppelgeleisigkeit des Rechtszuges liegt hier schon deswegen nicht vor, weil Verwaltungsstrafverfahren nur gegen physische Personen durchgeführt werden können, mögen auch juristische Personen (wie die Antragsteller) gemäß §9 Abs7 VStG für die Geldstrafen, die über ihre zur Vertretung nach außen berufenen Organe verhängt wurden, haften.

ArtII §4 Abs2 des Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982, BGBl. 546, idF der Bundesgesetze BGBl. 266/1984 und BGBl. 652/1987, war verfassungswidrig.

Die Wortfolge "1. Verträge über die Lagerung von Pflichtvorräten an Erdöl und Erdölprodukten mit einem mit Bundeshaftung ausgestatteten behördlich genehmigten Lagerhalter abzuschließen (Lagervertragspflicht) sowie" in ArtII §2 Abs1 des Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982, BGBl. 546, idF der Bundesgesetze BGBl. 266/1984, 652/1987 und 339/1988, sowie ArtII §3 Abs1 desselben Gesetzes werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Sicherung der Energieversorgung Österreichs auch in Krisenzeiten ist ein wirtschaftspolitisches Ziel, dessen Erreichung im öffentlichen Interesse gelegen ist und widerstreitet dem Sachlichkeitsgebot nicht.

Die grundsätzliche Verpflichtung, Pflichtnotstandsreserven an Erdöl und Erdölprodukten zu halten, trifft alle Importeure gleich und alle Importeure haben gemäß §4 des Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG "dieselbe (Wahl-)Möglichkeit, auf welche Weise sie ihrer Vorratspflicht nachkommen" (siehe VfSlg. 8813/1980).

Die mit Bundeshaftung ausgestattete Erdöl-Lagergesellschaft mbH in Lannach dient sowohl der wirtschaftlichen Landesverteidigung als auch der Funktionsfähigkeit der in Erfüllung des IEP-Übereinkommens entwickelten Krisenkonzeption. Diese Ziele durch die Aufrechterhaltung des zentralen Krisenlagers Lannach (zusätzlich zur dezentralen Haltung der sonstigen Pflichtnotstandsreserven) sicherzustellen, bildete ein zweifelsohne berechtigtes, auch vom Standpunkt des Gleichheitssatzes aus nicht zu beanstandendes, weil sachlich gerechtfertigtes Anliegen des Gesetzgebers.

Bei Prüfung der sachlichen Rechtfertigung einer Norm, die eine einzige Gesellschaft des Handelsrechts benachteiligt oder - wie hier - begünstigt, ist von wesentlicher Bedeutung, in wessen Eigentum die Anteilsrechte an jener Gesellschaft stehen, wer sohin wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 10841/1986 ausgesprochen hat, materiell belastet bzw. - wie hier - begünstigt wird. Ebenso wie eine gesetzliche Regelung zu Lasten einer bestimmten Gesellschaft zulässig sein kann, wenn der Durchblick auf die hinter der juristischen Person stehenden Rechtsträger die Regelung objektiv als sachlich erweist (so VfSlg. 10841/1986), kann umgekehrt ein derartiger Durchblick die unsachliche Bevorzugung bestimmter hinter der juristischen Person stehender Rechtsträger erweisen.

Von der Sache her nicht zu rechtfertigen ist es jedoch, wenn der Gesetzgeber sein wahres Ziel, di. die wirtschaftliche Entlastung des Bundes und der an der Erdöl-Lagergesellschaft mbH beteiligten Erdölimporteure, dadurch zu erreichen trachtet, daß er alle Erdölimporteure zwingt, einen nicht unwesentlchen Teil ihrer Vorratspflicht zu behördlich fixierten Bedingungen und Preisen, welche ihre eigenen Lagerhaltungskosten wesentlich übersteigen, an jene Gesellschaft zu überbinden.

Die in Rede stehende gesetzliche Regelung erweist sich als eine schwerwiegende Diskriminierung der an der Erdöl-Lagergesellschaft mbH in Lannach nicht beteiligten Erdölimporteure, welche von der Sache her, nämlich vom Ziel der Aufrechterhaltung des zentralen Krisenlagers in Lannach, nicht gerechtfertigt werden kann.

Die angefochtene gesetzliche Bestimmung verstößt aber auch gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 des (Ersten) Zusatzprotokolls zur MRK.

Da die auf die Erdöl-Lagergesellschaft mbH überbundenen Vorratspflichten weder mit einer Verfügungsbefugnis noch mit dem Eigentumsrecht der überbindungspflichtigen Erdölimporteure über das eingelagerte Erdöl verbunden sind, haben diese Erdölimporteure keinen Anteil an den im Falle steigender Erdölpreise bestehenden Gewinnchancen der Lagergesellschaft. Bei den von den Erdölimporteuren mit der Erdöl-Lagergesellschaft mbH abzuschließenden Verträgen handelt es sich nämlich um "diktierte Verträge", deren Bedingungen nicht unter Berücksichtigung der Erdölpreiserwartungen der Geschäftspartner ausgehandelt werden können, sondern vom Gesetzgeber bzw. von der Verwaltungsbehörde derart festgelegt werden, daß dadurch die wirtschaftliche Existenz der Erdöl-Lagergesellschaft mbH in Lannach ohne Inanspruchnahme der Bundeshaftung sichergestellt erscheint. Somit wird durch die Überbindungspflicht praktisch das wirtschaftliche Risiko der Erdöl-Lagergesellschaft mbH bzw. ihrer Anteilseigner zu Lasten aller Erdölimporteure beseitigt.

Ebenso wie ein Hoheitsakt, der ein bestimmtes Rechtsgeschäft über ein vermögenswertes Privatrecht im Einzelfall unmöglich macht, in das Eigentumsrecht eingreift (vgl. VfGH 22.06.1989, B1160/88, sowie die ständige Judikatur des VfGH zum Grundverkehrsrecht, zB. VfSlg. 5149/1965, 5683/1968, 7538/1975, 9014/1981, 9913/1984), bewirkt auch ein Gesetz, das zum Abschluß eines privatrechtlichen Vertrages verpflichtet, einen Eingriff in das Eigentumsrecht seiner Normadressaten. Da sich die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung gemäß der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 1523/1946, 1542/1947, 4010/1961, 7160/1973, 8201/1977, 9392/1982, 9887/1983, 10409/1985) auf alle privaten Vermögensrechte erstreckt, umfaßt sie auch das Recht zum Abschluß privatrechtlicher Verträge. Der Staat darf demzufolge - gleichgültig ob er den Abschluß bestimmter Verträge verhindert oder umgekehrt dazu zwingt - in die Privatautonomie lediglich unter den Voraussetzungen eingreifen, die die Verfassungsordnung ganz allgemein für die Zulässigkeit von Eigentumseingriffen vorsieht. (Fröhler-Oberndorfer, Das Wirtschaftsrecht als Instrument der Wirtschaftspolitik, 1969, S. 15 ff.; Korinek, Die Beschränkung der Privatautonomie durch Wirtschaftsgesetze, JBl. 1982, S. 29; Wenger, Grundriß des österreichischen Wirtschaftsrechts, 1989, Rz 302 ff.).

Die Verpflichtung zur Überbindung der Erdöl-Bevorratungspflicht durch Abschluß entsprechender privatrechtlicher Verträge greift sohin ins Eigentumsrecht ein. Sie bildet eine Eigentumsbeschränkung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu VfSlg. 6780/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur; VfSlg. 9189/1981; VfGH 22.06.1989, B1160/88) gilt der erste Satz des Art5 StGG ebenso für Eigentumsbeschränkungen, auf die sich allerdings auch der im zweiten Satz des zitierten Artikels festgelegte Gesetzesvorbehalt erstreckt: Der Gesetzgeber kann daher verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unverletzlichkeit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (vgl. VfSlg. 9189/1981) und soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. VfSlg. 9911/1983, 11402/1987; VfGH 22.06.1989, B1160/88).

Es ist nicht im Allgemeininteresse erforderlich, daß einzelne Importeure anstelle anderer Importeure für die aus einer zentralen Erdölvorratshaltung entstehenden wirtschaftlichen Lasten aufkommen. Das gilt jedenfalls im Verhältnis zur Erdöl-Lagergesellschaft mbH und zu ihren Gesellschaftern. Gegenüber diesen Rechtssubjekten kann die in der Überbindungspflicht gelegene Eigentumsbeschränkung schon deswegen nicht im Allgemeininteresse erforderlich sein, weil es sich dabei eben nur um die wirtschaftliche Besserstellung Einzelner handelt (vgl. ähnlich schon VfSlg. 1853/1949; VfGH 22.06.1989, B1160/88).

Doch auch mit Rücksicht auf die vom Bund übernommene Haftung ist die Überbindungspflicht nicht im Allgemeininteresse erforderlich, weil der Bund seine im Allgemeininteresse gelegenen finanziellen Verpflichtungen aus dem Steueraufkommen, sohin aus Mitteln abzudecken hat, die auch von der Allgemeinheit stammen.

ArtII §4 Abs2 Erdöl-Bevorratungs- und MeldeG 1982 idF BGBl. 652/1987 legt sohin eine nicht im Allgemeininteresse erforderliche Eigentumsbeschränkung fest und verstößt somit gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 des (Ersten) Zusatzprotokolls zur MRK.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Energierecht, Erdöl Pflichtnotstandsreserven, Wirtschaftslenkung, VfGH / Individualantrag, Gesellschaften, Kontrahierungszwang, Eigentumsbeschränkung, Eigentumseingriff, Privatautonomie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G139.1988

Dokumentnummer

JFR_10108870_88G00139_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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