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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen im Niederlassungs- undAufenthaltsgesetz betreffend die Erteilung von Aufenthaltstiteln aushumanitären Gründen lediglich von Amts wegen; Aufhebung ausrechtsstaatlichen Erwägungen mangels eines Antragsrechtes des inseinen Rechten betroffenen Fremden; keine Bedenken gegen eineAusnahme vom Grundsatz der Auslandsantragstellung und dieZustimmungsbefugnis des Innenministers zur Erteilung humanitärerAufenthaltstitel; Fristsetzung für das Außer-Kraft-TretenSpruch
I. In den §§72 Abs1, 73 Abs2 und 73 Abs3 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG), BGBl. I 100/2005, wird jeweils die Wortfolge "von Amts wegen" als verfassungswidrig aufgehoben.römisch eins. In den §§72 Abs1, 73 Abs2 und 73 Abs3 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 100 aus 2005,, wird jeweils die Wortfolge "von Amts wegen" als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebungen treten mit Ablauf des 31. März 2009 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt römisch eins verpflichtet.
II. Der Antrag der Oberösterreichischen Landesregierung auf Aufhebung des §72 Abs1 zweiter Satz NAG wird zurückgewiesen.römisch II. Der Antrag der Oberösterreichischen Landesregierung auf Aufhebung des §72 Abs1 zweiter Satz NAG wird zurückgewiesen.
III. Die Anträge der Oberösterreichischen Landesregierung auf Aufhebung der Wortfolge "von Amts wegen" in §74 NAG sowie auf Aufhebung des §75 NAG werden abgewiesen. römisch III. Die Anträge der Oberösterreichischen Landesregierung auf Aufhebung der Wortfolge "von Amts wegen" in §74 NAG sowie auf Aufhebung des §75 NAG werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Zur Rechtslage:römisch eins. Zur Rechtslage:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (im Folgenden: NAG) lauten (die in Prüfung gezogenen bzw. angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"4. Hauptstück
Allgemeine Voraussetzungen
Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
7. Hauptstück
Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen
Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen
§72. (1) Die Behörde kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses (§11 Abs1), ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes (§11 Abs1 Z1 und 2), in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß §50 FPG ausgesetzt ist. Drittstaatsangehörigen, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konflikts verlassen haben, darf eine solche Aufenthaltsbewilligung nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens jedoch für drei Monate, erteilt werden.
Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen
§73. (1) Die Behörde kann Drittstaatsangehörigen bei Vorliegen der Voraussetzungen des §72 eine 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' oder eine 'Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit' erteilen. Die Bestimmungen über die Quotenpflicht finden keine Anwendung.
Inlandsantragstellung
§74. Die Behörde kann von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zulassen, wenn die Voraussetzungen des §72 erfüllt werden.
Zustimmung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels
aus humanitären Gründen
§75. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach §§72 bis 74 bedarf der Zustimmung des Bundesministers für Inneres.
Übergangsbestimmungen
§81. (1) Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, sind nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.
Die §§72 - 75 NAG sind in der Stammfassung, BGBl. I 100/2005,
in Geltung. §11 NAG wurde zuletzt mit BG BGBl. I 157/2005 geändert,
§81 leg.cit. mit BG BGBl. I 99/2006.
§50 Fremdenpolizeigesetz (im Folgenden: FPG), BGBl. I
100/2005, lautete:
"7. Hauptstück
Refoulementverbot
Verbot der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung
§50. (1) Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.§50. (1) Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
II. Zu den Anlassverfahren bzw. Anträgen:römisch II. Zu den Anlassverfahren bzw. Anträgen:
1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B215,216/07 und B375/07 Beschwerden gemäß Art144 B-VG gegen Bescheide der Bundesministerin für Inneres vom 12. Dezember 2006 bzw. des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 2007 anhängig.
In den zu B215,216/07 protokollierten Verfahren stellten die Beschwerdeführer Anträge auf Erteilung von humanitären Niederlassungsbewilligungen nach dem Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG 1997). Ihren Devolutionsanträgen wurde mit Bescheiden der (damaligen) Bundesministerin für Inneres vom 12. Dezember 2006 stattgegeben und die Anträge auf Erteilung der Niederlassungsbewilligungen "aus humanitären Gründen" gemäß §§72, 73 und 81 NAG zurückgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass eine Niederlassungsbewilligung "aus humanitären Gründen" gemäß §73 Abs2 NAG nur von Amts wegen erteilt werden könne. Für die Erteilung bedürfe es der Zustimmung der (damaligen) Bundesministerin für Inneres.
In dem zu B375/07 protokollierten Verfahren stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "aus humanitären Gründen" gemäß §72 Abs1 NAG. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 29. Juni 2006 als unzulässig zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Jänner 2007 abgewiesen, weil die Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "aus humanitären Gründen" gemäß dem Wortlaut des §72 Abs1 NAG gesetzlich nicht vorgesehen sei. Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, wurde über die Beschwerdeführerin noch nie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verhängt.
1.2. Aus Anlass der Behandlung dieser Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "von Amts wegen" in den §§72 Abs1 und 73 Abs2 NAG entstanden. Der Gerichtshof hat daher mit Beschlüssen vom 11. Oktober 2007 bzw. vom 13. Dezember 2007 von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Verfassungskonformität dieser Wortfolge eingeleitet. Die Verfahren sind zu G246,247/07 und G273/07 protokolliert. Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, dass die Beschwerden zulässig sind, die belangte Behörde die in Prüfung gezogene Wortfolge anzuwenden hatte und auch er sie bei der Beurteilung der Beschwerden anzuwenden hätte.
1.3. Seine Bedenken begründete der Verfassungsgerichtshof in dem zu B215,216/07 protokollierten Prüfungsbeschluss - der im Wesentlichen mit dem Prüfungsbeschluss zu B375/07 gleich lautend ist - wie folgt:
"§73 Abs2 NAG sieht anscheinend vor, dass eine humanitäre 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' ausschließlich von Amts wegen erteilt werden kann. Prinzipiell dürfte dem Grundsatz der Erteilung von humanitären Niederlassungsbewilligungen von Amts wegen nichts entgegenstehen, wenn davon nicht auch Fälle erfasst sind, bei denen ausnahmsweise ein aus Art8 iVm 13 EMRK abzuleitender Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung besteht. "§73 Abs2 NAG sieht anscheinend vor, dass eine humanitäre 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' ausschließlich von Amts wegen erteilt werden kann. Prinzipiell dürfte dem Grundsatz der Erteilung von humanitären Niederlassungsbewilligungen von Amts wegen nichts entgegenstehen, wenn davon nicht auch Fälle erfasst sind, bei denen ausnahmsweise ein aus Art8 in Verbindung mit 13 EMRK abzuleitender Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung besteht.
§73 Abs4 NAG sieht - ähnlich wie das FrG 1997 und in Entsprechung des zuletzt genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes [VfSlg. 17.013/2003] - die Möglichkeit vor, eine 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' aus humanitären Gründen in Fällen der Familienzusammenführung (§46 Abs4 NAG) zu beantragen. Diese Regelung ist jedoch unter anderem auf Grund der Begriffsbestimmung des §2 Abs1 Z9 NAG nur auf einen eng begrenzten Personenkreis, nämlich 'Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind', anwendbar.
2.3.3. Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Auffassung, dass es neben den Fällen der Familienzusammenführung, die nunmehr §73 Abs4 NAG berücksichtigt, auch andere Konstellationen geben kann, in denen zur Achtung des Privatlebens und zur Aufrechterhaltung des Familienlebens ein aus Art8 iVm 13 EMRK abzuleitender Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen bestehen muss. 2.3.3. Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Auffassung, dass es neben den Fällen der Familienzusammenführung, die nunmehr §73 Abs4 NAG berücksichtigt, auch andere Konstellationen geben kann, in denen zur Achtung des Privatlebens und zur Aufrechterhaltung des Familienlebens ein aus Art8 in Verbindung mit 13 EMRK abzuleitender Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen bestehen muss.
Sowohl der Wortlaut des §73 Abs2 NAG ('von Amts wegen') als auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum NAG (952 BlgNR 22. GP) zeigen jedoch, dass die Behörde auch in Fällen, in denen die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf Grund des Art8 EMRK geboten scheint, keine Möglichkeit hat, einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung zuzulassen. Durch die Beschränkung der Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung ausschließlich von Amts wegen wird in die Rechte der Betroffenen intensiv eingegriffen, da sie infolgedessen keine Möglichkeit haben dürften, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen und ihre Rechte geltend zu machen.
Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass eine solche Regelung den Art8 iVm 13 EMRK widersprechen dürfte. Nach der vorläufigen Auffassung des Gerichtshofes müsste nämlich einem potentiell Betroffenen - auch auf Grund der Verfahrensgarantien des Art13 EMRK - die Möglichkeit eingeräumt sein, seine durch Art8 EMRK gewährleisteten Rechte in einem - nicht nur von Amts wegen eingeleiteten - Verfahren geltend zu machen. Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass eine solche Regelung den Art8 in Verbindung mit 13 EMRK widersprechen dürfte. Nach der vorläufigen Auffassung des Gerichtshofes müsste nämlich einem potentiell Betroffenen - auch auf Grund der Verfahrensgarantien des Art13 EMRK - die Möglichkeit eingeräumt sein, seine durch Art8 EMRK gewährleisteten Rechte in einem - nicht nur von Amts wegen eingeleiteten - Verfahren geltend zu machen.
2.4. Der Gerichthof hegt vorläufig auch Bedenken im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip:
§73 Abs2 iVm Abs1 NAG stellt unter dem Aspekt humanitärer Gründe wesentlich auf individuelle bzw. persönliche Interessen der Rechtsschutzsuchenden ab, sieht aber gleichzeitig nicht die Möglichkeit vor, dass der einzelne Rechtsschutzsuchende diese Interessen als seine Rechte unabhängig vom Tätigwerden der Behörden von Amts wegen geltend machen kann. Nach der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist es jedoch unzulässig, in diesen Fällen lediglich ein Tätigwerden der Behörden von Amts wegen vorzusehen und keine Antragstellung des - in seinen Rechten betroffenen - Einzelnen zuzulassen. Dem Verfassungsgerichtshof ist vorerst nicht ersichtlich, welche Gründe im Einzelfall dafür sprechen könnten, dass humanitäre Niederlassungsbewilligungen ausschließlich von Amts wegen auf Grund vffentlicher Interessen erteilt werden können. Auch ein allenfalls der Vollziehung vom Gesetzgeber eingeräumtes Ermessen bei der Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel, gegen das für sich verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden, bedürfte gemäß Art130 Abs2 B-VG der Kontrolle auf Ermessensfehler und damit einer entsprechenden Rechtsposition der Rechtsschutzsuchenden. §73 Abs2 in Verbindung mit Abs1 NAG stellt unter dem Aspekt humanitärer Gründe wesentlich auf individuelle bzw. persönliche Interessen der Rechtsschutzsuchenden ab, sieht aber gleichzeitig nicht die Möglichkeit vor, dass der einzelne Rechtsschutzsuchende diese Interessen als seine Rechte unabhängig vom Tätigwerden der Behörden von Amts wegen geltend machen kann. Nach der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist es jedoch unzulässig, in diesen Fällen lediglich ein Tätigwerden der Behörden von Amts wegen vorzusehen und keine Antragstellung des - in seinen Rechten betroffenen - Einzelnen zuzulassen. Dem Verfassungsgerichtshof ist vorerst nicht ersichtlich, welche Gründe im Einzelfall dafür sprechen könnten, dass humanitäre Niederlassungsbewilligungen ausschließlich von Amts wegen auf Grund vffentlicher Interessen erteilt werden können. Auch ein allenfalls der Vollziehung vom Gesetzgeber eingeräumtes Ermessen bei der Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel, gegen das für sich verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden, bedürfte gemäß Art130 Abs2 B-VG der Kontrolle auf Ermessensfehler und damit einer entsprechenden Rechtsposition der Rechtsschutzsuchenden.
Der Verfassungsgerichtshof geht daher im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung davon aus, dass es verfassungswidrig sein könnte, wenn der Gesetzgeber die Erteilung von Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen über den in §73 Abs4 NAG genannten Personenkreis hinaus lediglich von Amts wegen vorsieht."
2.1. Die Oberösterreichische Landesregierung stellte mit Beschluss vom 3. Dezember 2007 den auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag,
"1. §72 Abs1 zweiter Satz NAG,
2. im §72 Abs1 erster Satz, §73 Abs2, §73 Abs3 und §74 NAG jeweils die Wortfolge 'von Amts wegen',
in eventu im §72 Abs1 erster Satz, §73 Abs2 und §73 Abs3 NAG jeweils die Wortfolge 'von Amts wegen',
3. §75 NAG,
jeweils BGBl. I Nr. 100/2005, als verfassungswidrig aufzuheben". jeweils Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,, als verfassungswidrig aufzuheben".
2.2. Die antragstellende Landesregierung hegt zunächst Bedenken gegen die Verfassungskonformität des §72 Abs1 zweiter Satz
NAG:
"§72 Abs1 zweiter Satz NAG nimmt ... weder direkt noch
indirekt Bezug auf Art8 EMRK. Der als Beispiel besonders berücksichtigungswürdiger Gründe vorrangig angeführte §50 FPG verbietet (unter anderem) eine Zurückweisung oder Abschiebung Fremder in einen Staat, der eine ernsthafte Bedrohung für das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit der Fremden darstellt (Refoulementverbot). §50 Abs1 FPG bezieht sich sogar ausdrücklich auf Art2 EMRK (Recht auf Leben) und Art3 EMRK (Folterverbot), womit diesen Konventionsrechten ausreichend entsprochen wird, nicht jedoch dem durch Art8 EMRK gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Durch die einseitige Bezugnahme von §72 Abs1 zweiter Satz NAG auf §50 FPG ergibt sich folgende Systematik: Bei der Beurteilung der Frage, ob die zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels erforderlichen berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird bereits auf gesetzlicher Ebene verstärkt auf die Situation im Heimatstaat des Fremden Bedacht genommen; auf die rechtlich und tatsächlich nicht minder relevante Frage, wie die Situation im Aufnahmestaat des Fremden zu bewerten ist, wird durch das Fehlen jeglicher Bezugnahme auf Art8 EMRK im §72 Abs1 zweiter Satz NAG überhaupt nicht eingegangen. Wie unter Abschnitt 3.3.1.1.2. dargestellt, gibt es zwischen dem Fremdenrecht, dem das Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht als wesentlicher Teilbereich zugehört, und Art8 EMRK zahlreiche Berührungspunkte, die eine entsprechende Erwähnung im Zusammenhang mit der Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel erforderlich machen. Gerade das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens bietet Gründe, die als besonders berücksichtigungswürdig im Sinn von §72 Abs1 zweiter Satz NAG zu qualifizieren sind. Fehlt aber - wie bei der aktuellen Rechtslage - jeglicher Bezug zum Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, begünstigt der Gesetzgeber ungerechtfertigte staatliche Grundrechtseingriffe, die dem zentralen Zweck von Art8 EMRK entsprechend jedoch vermieden werden müssen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Wertung entspricht somit nicht den Anforderungen des Art8 EMRK.
Die Nichterwähnung von Art8 EMRK führt dazu, dass §72 Abs1 zweiter Satz NAG inhaltlich unzureichend bestimmt ist. Die unter Abschnitt 3.3.1.1.1. dargestellten strengen Anforderungen des EGMR an die Qualität innerstaatlicher Gesetze gelten nicht nur für Gesetze, die intentional gegen ein Grundrecht gerichtet sind, sondern auch für jene Gesetze, mithilfe derer der Staat seinen positiven Handlungspflichten entspricht. §72 Abs1 erster Satz NAG sieht für Drittstaatsangehörige (dazu gehören gemäß §2 Abs1 Z. 6 NAG alle Fremden, die keine EWR-Bürger sind), denen nach der grundsätzlichen Systematik des NAG (§11 Abs1 NAG) kein Aufenthaltstitel zukommt, die ausnahmsweise Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen vor. Diese Regelung ist auf den Schutz grundrechtlicher Positionen gerichtet. Der Schutz läuft jedoch - zumindest im Hinblick auf Art8 EMRK - ins Leere. §72 Abs1 zweiter Satz NAG verstößt auf Grund seiner mangelhaften Determinierung gegen Art8 EMRK. Die Nichterwähnung von Art8 EMRK führt dazu, dass §72 Abs1 zweiter Satz NAG inhaltlich unzureichend bestimmt ist. Die unter Abschnitt 3.3.1.1.1. dargestellten strengen Anforderungen des EGMR an die Qualität innerstaatlicher Gesetze gelten nicht nur für Gesetze, die intentional gegen ein Grundrecht gerichtet sind, sondern auch für jene Gesetze, mithilfe derer der Staat seinen positiven Handlungspflichten entspricht. §72 Abs1 erster Satz NAG sieht für Drittstaatsangehörige (dazu gehören gemäß §2 Abs1 Ziffer 6, NAG alle Fremden, die keine EWR-Bürger sind), denen nach der grundsätzlichen Systematik des NAG (§11 Abs1 NAG) kein Aufenthaltstitel zukommt, die ausnahmsweise Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen vor. Diese Regelung ist auf den Schutz grundrechtlicher Positionen gerichtet. Der Schutz läuft jedoch - zumindest im Hinblick auf Art8 EMRK - ins Leere. §72 Abs1 zweiter Satz NAG verstößt auf Grund seiner mangelhaften Determinierung gegen Art8 EMRK.
...
Der Gesetzgeber stellt die Erteilung humanitärer Aufenthaltsbewilligungen in das Ermessen der Behörde (arg. 'kann' im §72 Abs1 erster Satz NAG). Nationale Regelungen, die den Behörden Ermessen einräumen, verstoßen nach Ansicht des EGMR nicht per se gegen das Bestimmtheitsgebot, sondern nur dann, wenn sie die Grundlagen und Grenzen der Ermessensentscheidung nicht ersichtlich machen (vgl. EGMR 25.03.1983, Silver et alteri, Nr. 5947/72, Rz 88; EGMR 02.08.1984, Malone, Nr. 8691/79, Rz 87; 04.07.2000, Niedbala, Nr. 27915/95, Rz 79). Auch unter diesem Aspekt verstößt §72 Abs1 zweiter Satz NAG gegen Art8 EMRK, da er weder die Grundlagen noch die Grenzen der Ermessensentscheidung vorgibt. Der Gesetzgeber stellt die Erteilung humanitärer Aufenthaltsbewilligungen in das Ermessen der Behörde (arg. 'kann' im §72 Abs1 erster Satz NAG). Nationale Regelungen, die den Behörden Ermessen einräumen, verstoßen nach Ansicht des EGMR nicht per se gegen das Bestimmtheitsgebot, sondern nur dann, wenn sie die Grundlagen und Grenzen der Ermessensentscheidung nicht ersichtlich machen vergleiche EGMR 25.03.1983, Silver et alteri, Nr. 5947/72, Rz 88; EGMR 02.08.1984, Malone, Nr. 8691/79, Rz 87; 04.07.2000, Niedbala, Nr. 27915/95, Rz 79). Auch unter diesem Aspekt verstößt §72 Abs1 zweiter Satz NAG gegen Art8 EMRK, da er weder die Grundlagen noch die Grenzen der Ermessensentscheidung vorgibt.
...
Als bahnbrechend kann in diesem Zusammenhang das Erkenntnis VfSlg. 10.737/1985 bezeichnet werden, welches zur Aufhebung von §3 FrPG (BGBl Nr. 75/1954) führte. Diese Bestimmung legte die Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltsverbots fest und verstieß wegen ihrer Undeutlichkeit gegen Art8 EMRK und Art18 B-VG. Konkret führte der Verfassungsgerichtshof Folgendes aus: Als bahnbrechend kann in diesem Zusammenhang das Erkenntnis VfSlg. 10.737/1985 bezeichnet werden, welches zur Aufhebung von §3 FrPG Bundesgesetzblatt Nr. 75 aus 1954,) führte. Diese Bestimmung legte die Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltsverbots fest und verstieß wegen ihrer Undeutlichkeit gegen Art8 EMRK und Art18 B-VG. Konkret führte der Verfassungsgerichtshof Folgendes aus:
'c) §3 (allenfalls iVm. §4) FrPG sieht also Maßnahmen vor, die geeignet sind, in die durch Art8 Abs1 MRK geschützten Güter einzugreifen. Ein solcher Eingriff ist nur unter den im Art8 Abs2 MRK genannten Voraussetzungen zulässig. In formeller Hinsicht verlangt diese Verfassungsbestimmung, dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist ('is in accordance with the law'; 'est prevue par la loi'). In materieller Hinsicht muss der Eingriff ein Ziel haben, das nach Art8 Abs2 MRK gerechtfertigt ist; er muss zur Erreichung dieses Zieles 'in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' sein (vgl. z.B. die Urteile des EGMR in den Fällen Sunday Times und Silver, EuGRZ 1979, 387 und 1984, 149). 'c) §3 (allenfalls in Verbindung mit §4) FrPG sieht also Maßnahmen vor, die geeignet sind, in die durch Art8 Abs1 MRK geschützten Güter einzugreifen. Ein solcher Eingriff ist nur unter den im Art8 Abs2 MRK genannten Voraussetzungen zulässig. In formeller Hinsicht verlangt diese Verfassungsbestimmung, dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist ('is in accordance with the law'; 'est prevue par la loi'). In materieller Hinsicht muss der Eingriff ein Ziel haben, das nach Art8 Abs2 MRK gerechtfertigt ist; er muss zur Erreichung dieses Zieles 'in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' sein vergleiche z.B. die Urteile des EGMR in den Fällen Sunday Times und Silver, EuGRZ 1979, 387 und 1984, 149).
Wenn ein Gesetz eine Maßnahme - wie hier ein Aufenthaltsverbot - vorsieht, die nicht bloß zufällig und ausnahmsweise, sondern geradezu in der Regel in das Familienleben, vielfach auch in das Privatleben, eingreift, wenn also der Effekt des Gesetzes (mag dies auch gar nicht intendiert sein) in besonderer Nähe zum Eingriff in das Grundrecht steht (vgl. hiezu VfGH 12. März 1985, B44/84, S. 7, betreffend Art17a StGG), so muss der Eingriffstatbestand besonders deutlich umschrieben sein. Bei weniger eingriffsnahen Gesetzen kann es durchaus hinreichen, das Gesetz der MRK entsprechend auszulegen oder auch die den materiellen Gesetzesvorbehalt umschreibende Konventionsbestimmung als innerstaatlich unmittelbar anwendbares (zusätzlich zum Gesetz geltendes) Recht anzuwenden. [...] Wenn ein Gesetz eine Maßnahme - wie hier ein Aufenthaltsverbot - vorsieht, die nicht bloß zufällig und ausnahmsweise, sondern geradezu in der Regel in das Familienleben, vielfach auch in das Privatleben, eingreift, wenn also der Effekt des Gesetzes (mag dies auch gar nicht intendiert sein) in besonderer Nähe zum Eingriff in das Grundrecht steht vergleiche hiezu VfGH 12. März 1985, B44/84, S. 7, betreffend Art17a StGG), so muss der Eingriffstatbestand besonders deutlich umschrieben sein. Bei weniger eingriffsnahen Gesetzen kann es durchaus hinreichen, das Gesetz der MRK entsprechend auszulegen oder auch die den materiellen Gesetzesvorbehalt umschreibende Konventionsbestimmung als innerstaatlich unmittelbar anwendbares (zusätzlich zum Gesetz geltendes) Recht anzuwenden. [...]
d) [...] Ein eingriffsnahes Gesetz (s. die vorstehende litc), wie etwa Bestimmungen über das Aufenthaltsverbot, muss deutlich die Eingriffsschranken, wie sie die MRK (hier Art8 Abs2) vorschreibt, erkennen lassen. Es muss also mit der soeben dargelegten Bestimmtheit zu erkennen geben, unter welchen Voraussetzungen das Aufenthaltsverbot ohne jede Rücksichtnahme auf familiäre Beziehungen des Fremden verhängt werden darf - was Art8 MRK keineswegs ausschließt - und unter welchen anderen Voraussetzungen bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes die aufgrund des jeweiligen Tatbestandes zu erwartenden öffentlichen Interessen daran, dass der Fremde das Bundesgebiet verlässt, gegen die familiären (allenfalls auch privaten) Interessen am Verbleib des Fremden in Österreich gegeneinander abzuwägen sind (wobei das Gesetz die jeweiligen Grundsätze für diese Interessenabwägung festlegen und dabei auf eine angemessene Verhältnismäßigkeit Bedacht nehmen muss; vgl. Urteil des EGMR im Fall Silver, a.a.O. S. 152 - §97c). d) [...] Ein eingriffsnahes Gesetz (s. die vors