RS Vfgh 1990/3/1 B877/88

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Veröffentlicht am 01.03.1990
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6610 Wald- und Weideservituten

Norm

B-VG Art12 Abs1 Z3
B-VG Art15 Abs6
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
ÜG 1920 §3 Abs1
AgrBehG §1 Abs1. AgrBehG §5
AgrBehG §7 Abs1
WWSGG
Krnt Wald- und Weideservituten-LandesG §1, §41

Leitsatz

Keine Zuständigkeit der Agrarbehörden zur Feststellung des Bestandes von Weiderechten auf fremden Grund und Boden nach den Bestimmungen des Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG; Nichtausführung der Grundsatzbestimmung des §33 Abs2 WWSGG bewirkt keine Verfassungswidrigkeit; Zuständigkeit des Landesagrarsenates für die Entscheidung über eine Berufung gegen die Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung des Bestehens eines Weiderechtes gegeben; Zurückweisung gesetzmäßig; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter

Rechtssatz

Die belangte Behörde hat, indem sie die Berufung der Beschwerdeführer abwies, einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen (s. etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 5970/1969, 6016/1969), mit dem der Antrag der Beschwerdeführer auf Feststellung des Bestehens eines Weiderechtes der Sache nach wegen (sachlicher) Unzuständigkeit der Agrarbehörde zurückgewiesen wurde. Gegen diesen Bescheid ist gemäß §7 Abs1 des Agrarbehördengesetzes 1950, BGBl. 1/1951 (idF der Agrarbehördengesetznovelle 1974, BGBl. 476), eine Berufung an den Obersten Agrarsenat nicht zulässig. Der Instanzenzug ist somit erschöpft.

Das Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG wurde 1920 als Landesgesetz erlassen.

Das Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG regelt Angelegenheiten der Bodenreform iS der Kompetenzverteilung des B-VG.

Maßnahmen, die der Neuregelung oder Änderung bestehender Regulierungen dienen, sind für die Bodenreform geradezu typisch.

Die im Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG geregelten Angelegenheiten sind zu jenen Angelegenheiten der Bodenreform zu zählen, die (derzeit) im WWSGG 1951 geregelt sind.

Das Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG blieb nach dem Inkrafttreten der definitiven Kompetenzverteilung des B-VG - und damit auch des Kompetenztatbestandes "Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedlung" (Art12 Abs1 Z6 B-VG in der Stammfassung) - zufolge der Übergangsregelung des §3 Abs1 erster Satz ÜG 1920 (Stammfassung) als Landesgesetz (von diesem Zeitpunkt an als ein solches im Sinne des B-VG) weiterhin in Geltung.

Wenn bei Bestehen einer landesgesetzlichen Regelung durch den Bund Grundsätze erlassen werden, bewirkt die Unterlassung der fristgerechten Anpassung des Landesgesetzes die Verfassungswidrigkeit jener Regelungen dieses Gesetzes, die in Widerspruch zur grundsatzgesetzlichen Rechtslage stehen (Invalidation). Die Unterlassung der Ausführung eines Grundsatzgesetzes hingegen macht ein Ausführungsgesetz im allgemeinen nicht verfassungswidrig (s. dazu etwa VfSlg. 4093/1961, S 609 f.; 4919/1965, S 61). Es kann jedoch die Unterlassung der Ausführung eines Teiles der Grundsatznorm den Inhalt des Ausführungsgesetzes in Widerspruch zu einem Grundsatz bringen (VfSlg. 3744/1960), was zur Folge hat, daß das Ausführungsgesetz, soweit es dem Grundsatzgesetz widerspricht, mit dem Ablauf der bundesgesetzlich festgelegten Anpassungsfrist verfassungswidrig wird. Ein solcher Fall tritt etwa ein, wenn der Landesgesetzgeber sich auf die Ausführung einer Grundsatznorm beschränkt und es unterläßt, gleichzeitig eine sie einschränkende Grundsatznorm auszuführen: Die damit bewirkte Überschreitung des grundsatzgesetzlich abgesteckten Regelungsrahmens bewirkt die Verfassungswidrigkeit der betreffenden Ausführungsbestimmung.

Die §§1 und 41 Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG, soweit sie die Zuständigkeit der Agrarbehörden zur Ablösung, Regulierung und Neuregulierung von Weiderechten auf fremdem Grund und Boden (iS des §1 Abs1 Z2 WWSVO bzw. WWSGG 1951) begründen, sind als (landesgesetzliche) Bestimmungen anzusehen, die - für sich genommen - mit der Grundsatznorm des §33 Abs1 WWSVO (bzw. WWSGG 1951) im Einklang standen bzw. stehen, diese also durchaus grundsatzkonform ausführten bzw. ausführen.

Eine landesgesetzliche Bestimmung, die in Ausführung der Grundsatzbestimmung des §33 Abs2 WWSVO (bzw. WWSGG 1951) den Agrarbehörden zusätzlich zu den ihnen durch die §§1 und 41 Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG übertragenen Kompetenzen die Zuständigkeit zur Feststellung des Bestandes von Weiderechten auf fremdem Grund und Boden auch außerhalb eines Verfahrens zur Neuregulierung, Regulierung oder Ablösung einräumt, besteht derzeit nicht.

Es ist aber auch keine sonstige Vorschrift des Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG auffindbar, die zufolge der Nichtausführung des §33 Abs2 WWSVO (bzw. WWSGG 1951) mit den in Rede stehenden grundsatzrechtlichen Vorschriften in einem inhaltlichen Widerspruch steht. Daß die Kompetenz zur Feststellung des Bestandes von Weiderechten auf fremdem Grund und Boden nach der geltenden Rechtslage nicht den Agrarbehörden, sondern den ordentlichen Gerichten zukommt, ist nicht die Folge des Bestehens einer grundsatzwidrigen Ausführungsnorm, sondern des Fehlens einer Ausführungsregelung zu §33 Abs2 WWSVO (bzw. WWSGG 1951).

Zusammenfassend ergibt sich, daß die Nichtausführung dieser Grundsatzbestimmung keineswegs bewirkt, daß einzelne Bestimmungen des Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG oder dieses Gesetz als Ganzes wegen eines inhaltlichen Widerspruches zu Grundsatzbestimmungen grundsatzgesetz- und damit verfassungswidrig sind.

Unbeschränkte Geltung des AgrarbehördenG für den Bereich des Krnt. Wald- und Weideservituten-LandesG; Zuständigkeit des Landesagrarsenates für die Entscheidung über eine Berufung der Beschwerdeführer gegen die Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung des Bestehens eines Weiderechtes daher gegeben; keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Die Zusammensetzung des Landesagrarsenates beim Amt der Kärntner Landesregierung entsprach der hiefür maßgeblichen Vorschrift des §5 Agrarbehördengesetz 1950. Der Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde sei nicht gesetzmäßig zusammengesetzt gewesen, trifft mithin nicht zu.

Die belangte Behörde hat durch die Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführer auf Feststellung des Bestehens eines Weiderechtes ihre Zuständigkeit abgelehnt. Da jedoch den Agrarbehörden in Kärnten keine Zuständigkeit zur Entscheidung über Anträge dieser Art zukommt, entsprach die Zurückweisung dem Gesetz. Es liegt somit auch insofern keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vor.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Agrarbehörden, Zuständigkeit, Bodenreform, Servitutenregulierung, Kompetenz Bund - Länder, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Invalidation, Verfassungsüberleitung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B877.1988

Dokumentnummer

JFR_10099699_88B00877_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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