RS Vfgh 1990/6/15 G56/89

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Veröffentlicht am 15.06.1990
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Index

26 Gewerblicher Rechtsschutz
26/01 Wettbewerbsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung NahversorgungsG §3a NahversorgungsG §7

Leitsatz

Zulässigkeit eines Individualantrages auf Aufhebung des Verbots des Verkaufs unter dem Einstandspreis; Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers ohne weiteren Konkretisierungsakt; kein zumutbarer Umweg über Zuwiderhandeln gegen eine Verbotsnorm; Aufhebung der Verbotsregelung des §3a NahversorgungsG wegen unverhältnismäßigen Eingriffs in die Erwerbsausübungsfreiheit; öffentliches Interesse an Aufrechterhaltung der Nahversorgung durch Verhinderung der Verdrängung kleiner und mittlerer Unternehmen vom Markt zwar gegeben; nachteilige Auswirkungen der Norm beschränken unternehmerische Tätigkeit jedoch in ihrem Kern; keine Beschränkung des Verbotsbereichs auf unlauteres und wettbewerbswidriges Verhalten

Rechtssatz

Legitimation gegeben

Das Verbot des Verkaufs unter dem Einstandspreis in §3a NahversorgungsG bedarf keiner weiteren Konkretisierung; es wirkt bei jedem einzelnen Akt der unternehmerischen Preisgestaltung und schränkt die Vertragsfreiheit des Normunterworfenen ein. Die Pflicht des Antragstellers, bei der Preisbestimmung den Einstandspreis immer dann zu überschreiten, wenn Rechtfertigungsgründe gemäß Abs2 nicht vorliegen, hängt weder von einer vorhergehenden gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Entscheidung noch von einer speziellen Ankündigung oder Aufforderung ab.

Sowohl ein Verfahren nach §7 NahversorgungsG als auch ein Wettbewerbsprozeß kann vom Antragsteller nur dadurch provoziert werden, daß er sich rechtswidrig verhält, in concreto: daß er dem Verbot des §3a NahversorgungsG zuwiderhandelt. Ein solches Zuwiderhandeln ist dem Antragsteller aber nicht zumutbar.

§3a des Bundesgesetzes zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen, BGBl. Nr. 392/1977, in der Fassung BGBl. Nr. 121/1980 und BGBl. Nr. 424/1988, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Das durch die angefochtene Regelung normierte Verfahren, im geschäftlichen Verkehr Waren zum oder unter dem Einstandspreis zum Verkauf anzubieten oder zu verkaufen, sofern nicht eine derartige Preisgestaltung nach den Grundsätzen einer ordentlichen kaufmännischen Gebarung gerechtfertigt ist, greift in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsfreiheit ein.

Die bekämpfte Regelung des Verbots des Verkaufs unter dem Einstandspreis in §3a NahversorgungsG dient mehreren Zielen: Sie soll die Ausnutzung spezifischer Wettbewerbsvorteile, die größere Unternehmungen gegenüber kleineren und mittleren Unternehmungen haben, in Grenzen halten und vor unlauterem Wettbewerb schützen. Damit im Zusammenhang stehen die Ziele, die Verdrängung kleiner und mittlerer Unternehmungen vom Markt zu verhindern und damit die Aufrechterhaltung einer allgemein als notwendig angesehenen ausreichenden Nahversorgung zu sichern. Der Verfassungsgerichtshof kann hinsichtlich der genannten Ziele nicht finden, daß deren Verfolgung außerhalb des dem einfachen Gesetzgeber zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums läge.

Angesichts der unterschiedlichen Bewertung der Eignung des Verlustverkaufverbotes zur Erreichung der vorhin genannten Ziele und des Umstandes, daß eine Reihe von ernstzunehmenden Stimmen in der in- und ausländischen Literatur das Verbot des Verkaufs unter dem Einstandspreis für geeignet hält, den Intentionen eines funktionierenden Leistungswettbewerbs und dem Ziel des Verbraucherschutzes zu dienen, kann nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht davon gesprochen werden, daß die bekämpfte Regelung zur Zielerreichung absolut untauglich sei und schon deswegen der verfassungsrechtlich festgelegten Erwerbsausübungsfreiheit widerspräche. Er hält es auch nicht für ausgeschlossen, daß sie - wenn auch nicht immer - einen Schutz kleinerer Handelsbetriebe gegenüber Großunternehmen bewirkt.

Hat eine Bestimmung tatsächlich die Wirkung, kleinere Unternehmungen an Dispositionen zu hindern, die ihnen für ihr "Überleben am Markt" erforderlich erscheinen, so ist dies ein sehr schwerwiegender und tatsächlich unverhältnismäßiger Eingriff in ihre Erwerbsausübungsfreiheit.

Die Z1 bis 4 des Abs2 von §3a NahversorgungsG lassen keineswegs erkennen, daß etwa nur unlauteres und wettbewerbswidriges Verhalten verboten sein soll. Danach ist der Verkauf unter dem Einstandspreis verboten, wenn er nicht infolge des Zustandes der Ware geradezu unausweichlich geworden ist. Der Wunsch, allgemeine Liquiditätsschwierigkeiten zu beheben, ein "Sitzenbleiben auf dem Lager" zu verhindern (weil die Ware nicht so rasch abgesetzt werden kann wie erwartet) oder sonstige unternehmerische Fehldispositionen zu korrigieren, und ähnliche Gründe können daher einen Verkauf unter dem Einstandspreis nicht rechtfertigen. Das Unterschreiten des Einstandspreises ist einem Unternehmer (von den Sonderfällen der Z1 und 4 abgesehen) überhaupt nur erlaubt, wenn die Ware selbst minderwertig geworden ist oder zu werden droht oder aber ein dem gleichwertiges Ereignis eintritt. Er ist damit im Kern seiner unternehmerischen Betätigung getroffen.

Nach Einschätzung des Verfassungsgerichtshofes wiegen diese Folgen der - überdies von Unsicherheiten über den Begriff des Einstandspreises und den nachteiligen Folgen der Ermittlung dieses Preises belasteten - Regelung derart schwer, daß sie in Anbetracht der hervorgekommenen Unvollkommenheit der Zielerreichung tatsächlich als unverhältnismäßig gewertet werden müssen.

§3a NahversorgungsG verstößt daher gegen die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Wettbewerb unlauterer, Erwerbsausübungsfreiheit, Privatautonomie, Nahversorgung, öffentliches Interesse, Erwerbsausübungsfreiheit Eingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G56.1989

Dokumentnummer

JFR_10099385_89G00056_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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