Index
50 GewerberechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z8 B-VG Art18 Abs1 B-VG Art83 Abs2 MRK Art6 Abs1 / civil rights GewO 1973 §15 Z1 GewO 1973 §345 Abs9Leitsatz
Verbot der gewerblichen Tätigkeit an einem Standort, in dem die Tätigkeit bereits durch andere Rechtsvorschriften verboten ist; kein Widerspruch zum Legalitätsprinzip; keine dynamische Verweisung; verfassungsrechtlich zulässige Anknüpfung an fremde Normen oder Vollzugsakte; kein Eingriff in den Kernbereich der "civil rights" durch Untersagung einer gewerberechtlichen Tätigkeit; keine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; kein unzulässiger ParteienwechselRechtssatz
§15 Z1 GewO 1973 widerstreitet weder dem Legalitätsprinzip noch enthält er eine verfassungswidrige dynamische Verweisung.
Dadurch, daß §15 Z1 GewO 1973 die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit an einem Standort verbietet, in dem die Tätigkeit bereits durch - andere - Rechtsvorschriften verboten ist, werden diese Rechtsvorschriften noch nicht zu einer "Angelegenheit des Gewerbes und der Industrie" im Sinne des Art10 Abs1 Z8 B-VG, die als solche dann auch von den Gewerbe- als Bundesbehörden gemäß Art10 Abs1 Z8 B-VG zu vollziehen wären. Vielmehr hat der Bundesgesetzgeber ein im Interesse der Einheit der Rechtsordnung gelegenes, zusätzlich gewerberechtliches Verbot für Tätigkeiten ausgesprochen, die Inhalt einer Gewerbeausübung sein können, aber standortbezogen bereits aufgrund anderer Rechtsvorschriften nicht erlaubt sind.
Keinem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich verwehrt, an die von einer anderen Rechtssetzungsautorität geschaffene Rechtslage (oder erst recht an bereits vorliegende Vollzugsakte) anknüpfend, diese Rechtslage oder die darauf gestützten Vollzugsakte zum Tatbestandselement seiner eigenen Regelung zu machen. Entscheidendes Kriterium einer derartigen - verfassungsrechtlich zulässigen - tatbestandlichen Anknüpfung an fremde Normen oder Vollzugsakte (im Gegensatz zur verfassungswidrigen dynamischen Verweisung) ist es, daß die zum Tatbestandselement erhobene (fremde) Norm nicht im verfassungsrechtlichen Sinn vollzogen, sondern lediglich ihre vorläufige inhaltliche Beurteilung dem Vollzug der eigenen Norm zugrundegelegt wird.
Die im Gesamtzusammenhang eines anderen, (nicht dem Gewerberecht zuzuzählenden und unabhängig davon zu vollziehenden) Normenkomplexes erlassene Rechtsvorschrift ist sohin bei Anwendung des §15 Z1 GewO 1973 lediglich mit zu beurteilen. Wird die Rechtsvorschrift, an die der Gewerberechtsgesetzgeber in §15 Z1 GewO 1973 anknüpft, von der zu ihrem Vollzug verfassungsrechtlich befugten Autorität abweichend von ihrer Beurteilung durch die Gewerbebehörde ausgelegt und vollzogen, so ist ausschließlich diese Vollziehung maßgeblich und kann unter Umständen Anlaß für eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften über die Wiederaufnahme des gewerberechtlichen Verfahrens gemäß §69 Abs1 litc AVG 1950 sein.
Insofern §15 Z1 GewO 1973 fremde Rechtsvorschriften, deren Vollzug verfassungsrechtlich einer anderen Autorität überlassen ist, einer - vorläufigen und daher der Beurteilung einer Vorfrage gleichkommenden - Anwendung durch die Gewerbebehörde eröffnet, steht dem weder vom Standpunkt der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung noch von der gebotenen Wahrnehmung seiner Kompetenz durch den jeweils zuständigen Gesetzgeber ein verfassungsrechtliches Hindernis entgegen. Daß §15 Z1 GewO 1973 auch dem Legalitätsprinzip nicht widerspricht, ergibt sich schon daraus, daß im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung lediglich jene "Rechtsvorschriften" von der Gewerbebehörde gemäß §15 Z1 GewO 1973 heranzuziehen sind, die mit hinreichender Deutlichkeit und Bestimmtheit die betreffende gewerbliche Betätigung standortbezogen verbieten.
Gewerberechtliche Verwaltungsakte, selbst wenn sie die Untersagung einer - folgt man dem Rechtsstandpunkt der Behörde, im übrigen von vornherein unzulässigen - gewerblichen Tätigkeit zum Inhalt haben, greifen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11500/1987; VfGH v. 10.3.1988, B874/87; 13.12.1988, B1450/88) in den Kernbereich der "civil rights" im Sinne des Art6 MRK nicht ein. Die Untersagung einer gewerblichen Betätigung auf Grund gewerberechtlicher Tatbestände durch die Gewerbebehörde ist ebenso wie die Erteilung einer (Gewerbe-)Konzession eine staatliche Maßnahme, die nach österreichischer Rechtstradition im öffentlichen Recht wurzelt und nicht zur Ziviljustiz gehört; werden damit doch keine Rechtsverhältnisse der Bürger unter sich geregelt. Mögen solche Verwaltungsakte für den Betroffenen auch von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung sein, mithin bedeutsame Auswirkungen in seinem Vermögen haben können, wird dadurch doch keine Streitigkeit entschieden, die über "civil rights" selbst entstanden ist (vgl. auch VfGH v. 13.12.1988, B1450/88). Die nachprüfende Kontrolle gewerbebehördlicher Entscheidungen durch den Verwaltungsgerichtshof genügt sohin im Sinne der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (und insoweit in Übereinstimmung mit seinem früheren Erkenntnis VfSlg. 5100/1965) den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, die Art6 MRK für Verfahren der vorliegenden Art, welche "civil rights" höchstens in ihren Auswirkungen treffen, verbürgt.
§345 Abs9 GewO 1973 über die Untersagung angezeigter gewerblicher Betätigungen und die damit in Zusammenhang stehenden Verfahrensvorschriften widersprechen sohin - zumindest aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles - Art6 MRK nicht.
Die belangte Behörde hat ihr Verfahren von Anfang an mit der D. Warenhandelsgesellschaft mbH & Co KG (der nunmehrigen erstbeschwerdeführenden Gesellschaft), von der auch nach der Aktenlage die Anmeldung einer weiteren Betriebsstätte erfolgte, abgewickelt (kein unzulässiger Parteienwechsel). Sie hat sohin gegenüber der Erstbeschwerdeführerin keine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nicht von Rechts wegen zustand. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wurde sohin auch gegenüber der erstbeschwerdeführenden Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, Legalitätsprinzip, Verweisung, civil rights, Verwaltungsverfahren, Vorfrage, ParteienwechselEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B1225.1989Dokumentnummer
JFR_10099384_89B01225_01