RS Vfgh 1990/6/28 B1472/89

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Veröffentlicht am 28.06.1990
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0005 Rechtsbereinigung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6 B-VG Art15 Abs1 B-VG Art18 Abs1 B-VG Art83 Abs2 B-VG Art144 Abs1 / Legitimation ABGB §367 FeilbietungsO 1786 §1 FeilbietungsO 1786 §6 GewO 1973 §300 Wr RechtsbereinigungsG

Leitsatz

Keine Bundeskompetenz für versteigerungspolizeiliche Maßnahmen; Weitergeltung diesbezüglicher übergeleiteter Rechtsvorschriften der Feilbietungsordnung daher als Landesgesetz; Zuständigkeit der Landesverwaltung zur Beurteilung ihrer Fortgeltung; Verfassungsmäßigkeit des Wr. Rechtsbereinigungsgesetzes; Notwendigkeit kompetenzrechtlicher Überlegungen durch eine Aufhebung der als Landesgesetz fortgeltenden älteren Vorschrift; kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme auf Bundesrecht durch die Auflassung der Bewilligungs- und Überwachungspflicht freiwilliger Versteigerungen durch den Landesgesetzgeber; keine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung eines Antrags auf Bewilligung einer außergerichtlichen Versteigerung sowie auf Absehen von der Entsendung eines Lizitationskommissärs mangels gesetzlicher Grundlage

Rechtssatz

Beschwer gegeben.

Die beschwerdeführende Gesellschaft beabsichtigt die Abhaltung einer Versteigerung, deren zivilrechtliche Wirkungen möglicherweise von der Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten und dem Vorliegen einer behördlichen Bewilligung abhängen. Eine ungerechtfertigte Zurückweisung ihres Antrages könnte sie daher beschweren.

Sowohl die in §1 der FeilbietungsO 1786 ausgesprochene Bewilligungspflicht wie auch die in §6 leg. cit. vorgesehene Entsendung eines "obrigkeitlichen Commissärs" zu außergerichtlichen Versteigerungen sind Maßnahmen der Verwaltungspolizei (vgl. "Erlaubniß der Polizey=Behörde"), die den ordnungsgemäßen Ablauf der Versteigerung als einer öffentlichen Veranstaltung besonderer Art gewährleisten sollen.

Die in den §§1 und 6 FeilbietungsO 1786 (und anderen Vorschriften) angeordnete behördliche Überwachung ist verwaltungspolizeilicher Natur und ist als solche nicht dem Kompetenztatbestand Zivilrechtswesen zuzuordnen. Daß der Bestand einer solchen Bewilligungspflicht vielleicht ein Motiv für die Regelung des Gutglaubenserwerbs in einer öffentlichen Versteigerung nach §367 erster Fall ABGB war, ändert daran ebensowenig wie der Zusammenhang des Erwerbes vom dazu befugten Gewerbsmann (§367 zweiter Fall ABGB) mit Maßnahmen der Gewerbepolizei an der gewerberechtlichen Einordnung dieser Maßnahmen. Selbst der allfällige Umstand, daß das Zivilrecht an den Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften die Sanktion der Nichtigkeit knüpft, würde nicht diese Erfordernisse selbst zu Maßnahmen des Zivilrechts machen:

zivilrechtlicher Natur sind vielmehr nur die an deren Nichterfüllung anknüpfenden Folgen selbst (vgl. VfSlg. 9580/1982). Umgekehrt würden auch zivilrechtliche Vorschriften nicht deshalb zu gewerberechtlichen, weil etwa auch die Gewerbebehörde deren Verletzung unter Umständen mit gewerberechtlichen Maßnahmen zu begegnen hätte.

Der Gewerbegesetzgeber wollte mit §300 GewO klarstellen, daß er die Kompetenz zur Regelung der Überwachung der einzelnen Versteigerung unter dem Gesichtspunkt der Versteigerungspolizei nicht beansprucht.

Eine Bundeskompetenz für versteigerungspolizeiliche Maßnahmen ist nicht auffindbar. Da solche Maßnahmen auch unter keinen anderen Kompetenztatbestand fallen, sind die Länder nach Art15 Abs1 B-VG zu ihrer Regelung zuständig. Übergeleitete Rechtsvorschriften darüber galten daher als Landesgesetz weiter. Die §§1 und 6 der Feilbietungsordnung waren daher Rechtsvorschriften auf der Stufe eines (einfachen) Landesgesetzes. Zur Beurteilung ihrer Fortgeltung ist die Landesverwaltung zuständig.

§§1 und 6 Feilbietungsordnung als Vorschriften auf der Stufe eines einfachen Gesetzes des Landes Wien, die vor dem 1. Jänner 1955 in Kraft getreten sind, wurden durch das Wiener Rechtsbereinigungsgesetz 1985 aufgehoben. Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird der Begriff "Rechtsvorschrift" in diesem Gesetz insgesamt und daher auch in §3 auf solche Vorschriften bezogen, die auf der Stufe eines einfachen Gesetzes des Landes Wien stehen.

§1 dieses Gesetzes überläßt es dem Normunterworfenen, selbst festzustellen, welche vor dem 1. Jänner 1955 in Kraft getretenen Rechtsvorschriften als Landesgesetze galten. Zu dieser Prüfung ist der Rechtsunterworfene allerdings nicht erst durch das Wiener Rechtsbereinigungsgesetz gehalten. Dazu zwingen ihn vielmehr schon die einschlägigen Bestimmungen der im Verfassungsrang stehenden Übergangsvorschriften (insbesondere §4 Abs2 ÜbergangsG 1920). Daß es im praktischen Leben meist gleichgültig ist, ob eine Norm als Bundes- oder Landesgesetz beachtet werden muß, ändert nichts daran, daß diese Frage jedermann selbst zu lösen hat, sobald sie bedeutsam wird. Die durch eine Aufhebung der als Landesgesetz fortgeltenden älteren Vorschriften ausgelöste Notwendigkeit kompetenzrechtlicher Überlegungen ist daher nicht dem Wiener Rechtsbereinigungsgesetz zur Last zu legen.

Das Gebot der Rücksichtnahme auf Bundesrecht hat den Landesgesetzgeber des Wr. RechtsbereinigungsG nicht gehindert, die Bewilligungs- und Überwachungspflicht freiwilliger Versteigerungen aufzulassen. Ihr Wegfall läßt die Rechtswirkungen der öffentlichen Versteigerung und die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs nach dem ersten Fall des §367 ABGB unberührt. Ordnungsgemäß durchgeführte öffentliche Versteigerungen verschaffen also in Wien auch ohne behördliche Bewilligung und Überwachung dem gutgläubigen Ersteher Eigentum.

Die Behörden haben den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erteilung einer Bewilligung für eine freiwillige, öffentliche Versteigerung bzw. auf Absehen von der Entsendung eines Lizitationskommissärs gemäß §§1, 6 der FeilbietungsO 1786 in Anwendung des aus der Sicht des Beschwerdefalles verfassungsrechtlich unbedenklichen Wiener Rechtsbereinigungsgesetzes mangels gesetzlicher Grundlage zurecht zurückgewiesen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Kompetenz Bund - Länder Zivilrechtswesen, Zivilrecht, Versteigerung außergerichtliche, Kompetenz Bund - Länder Versteigerungen, Rechtsüberleitung, Behördenzuständigkeit, Rechtsbereinigung, Auslegung Verfassungs-, Berücksichtigungsprinzip, Verwaltungspolizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B1472.1989

Dokumentnummer

JFR_10099372_89B01472_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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