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25 Strafprozeß, StrafvollzugNorm
B-VG Art89 Abs2Leitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung im Bundesgesetz über die Amnestie 1995 wegen Zumutbarkeit der Anregung eines gerichtlichen Gesetzesprüfungsantrags beim Rechtsmittelgericht im Verfahren über die bedingte StrafnachsichtSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1. Der durch einen Rechtsanwalt vertretene Antragsteller begehrt in seinem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten (Individual)Antrag, "das Wort 'bedingt' in der Wortfolge 'ist mit dem Wirksamwerden dieser Amnestie bedingt nachzusehen' des §3 Abs1 des Bundesgesetzes über eine Amnestie 1995 (BGBl. 350/1995) sowie §3 Abs3 leg. cit. zur Gänze" als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. Zur Frage der Antragslegitimation finden sich in der Eingabe die folgenden Ausführungen:
"Der Antragsteller wurde im Jahr 1992 wegen Diebstahls sowie schweren gewerbsmäßigen Betruges zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, die er in der Haftanstalt Stein verbüßt hat, bis ihm 1995/1996 gemäß §3 Amnestie 1995 ein Strafteil von 6 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Infolge dieser 'Amnestie' hat der Antragsteller von der über ihn im Jahr 1995 verhängten fünfjährigen Haftstrafe tatsächlich 4 1/2 Jahre verbüßt. Im Jahr 1998 wurde der Antragsteller neuerlich verurteilt, und zwar zu einer Freiheitsstrafe von 5 1/2 Jahren. Unter einem wurde die dem Antragsteller zuvor erteilte 'Amnestie' des Strafteiles von 6 Monaten widerrufen, sodass der Antragsteller im Gefolge seiner Verurteilung im Jahr 1998 eine Freiheitsstrafe von 5 1/2 Jahren zuzüglich von 6 Monaten, insgesamt sohin 6 Jahre, zu verbüßen hatte. Indem §3 Abs1 Amnestie 1995 die Nachsicht eines Strafteiles lediglich 'bedingt' vorsieht und Abs3 leg. cit. eine bedingte Nachsicht im Sinne dieses Gesetzes einer bedingten Entlassung gleichstellt und nähere Bestimmungen hinsichtlich der Probezeit festsetzt, wurde und wird der Antragsteller in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt. Die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Antragstellers - wie noch darzulegen sein wird, der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter - sind durch den bekämpften Teil des §3 Abs1 ('bedingt') sowie durch §3 Abs3 Amnestie 1995 nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt, insbesondere wegen der angeordneten Gleichstellung einer bedingten Nachsicht gemäß dieses Gesetzes mit einer bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe.
Hierdurch ist der Antragsteller auch aktuell bzw. noch fortdauernd in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt. Die vom Antragsteller bekämpften Bestimmungen des Bundesgesetzes über eine Amnestie 1995 haben eine für diesen noch andauernde und Grundrechte verletzende Wirkung, da diese Antragstellung gem. Artikel 140 B-VG keineswegs im Hinblick auf künftige Verurteilungen bzw. allfällige Amnestien erfolgt, sondern ausschließlich wegen in der Vergangenheit erfolgter Verurteilungen und der 1995/1996 für den Antragsteller unmittelbar und direkt wirksam gewordenen nunmehr bekämpften Bestimmungen des §3 Abs1 (hinsichtlich des Wortes 'bedingt') sowie des §3 Abs3 Amnestie 1995. Diese bekämpften Bestimmungen sind für den Antragsteller auch direkt wirksam geworden. Es war dem Antragsteller nicht zumutbar, die Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte durch die nunmehr bekämpften Bestimmungen des Bundesgesetzes über eine Amnestie 1995 in früheren Strafverfahren zu relevieren bzw. den Ausspruch über die gegen ihn im Jahr 1998 verhängte Freiheitsstrafe von 5 1/2 Jahren zuzüglich von 6 Monaten zu bekämpfen, da der Antragsteller damit letztlich eine Prolongierung der jeweiligen Strafverfahren provoziert hätte; darüber hinaus ist regelmäßig davon auszugehen, dass im Falle eines vom Angeklagten gegen ein verurteilendes Urteil im Strafprozess angemeldeten bzw. ausgeführten Rechtsmittels auch seitens der Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel gegen das betreffende Urteil ergriffen wird, was für einen Angeklagten die Gefahr einer Erhöhung der über ihn vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafe durch die II. Instanz birgt. Die Anregung eines Antrages auf Normenprüfung im Zuge vorangegangener Strafverfahren bzw. die Bekämpfung der im Jahr 1998 verhängten Freiheitsstrafe wäre für den Antragsteller sohin mit unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden gewesen. Insgesamt steht dem Antragsteller daher kein anderer zumutbarer Rechtsweg zur Verfügung."
1.3.1. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.1.1998, GZ 8c Vr 9499/97-78, wurde der Antragsteller der Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§146, 147 Abs2, 148, erster Fall, und §15 StGB sowie des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§127, 128 Abs1 Z4, 130, erster Fall, StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfeinhalb Jahren verurteilt.
Unter einem wurde gemäß §494a Abs1 Z4 StPO der Widerruf der im Verfahren AZ 21 BE 160/96 des Landesgerichtes Krems an der Donau mit Beschluss vom 10.5.1996 nach der Amnestie 1995 gewährten bedingten Entlassung (Strafrest: 6 Monate) angeordnet.
1.3.2. Das Oberlandesgericht Wien hatte als Rechtsmittelgericht (AZ 20 Bs 121/98) über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde des Einschreiters gegen das angeführte Urteil und den (Widerrufs)Beschluss zu entscheiden. Es gab mit Urteil vom 28.4.1998 weder der Berufung noch der Beschwerde Folge.
1.4. Die Abs1 und 3 des §3 des Bundesgesetzes über eine Amnestie aus Anlass der 50. Wiederkehr des Tages, an dem die Unabhängigkeit Österreichs wiederhergestellt wurde, und der
40. Wiederkehr des Tages, an dem der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet wurde, sowie aus Anlass des Beitritts zur Europäischen Union (Amnestie 1995), BGBl. 350/1995, haben folgenden Wortlaut (§3 ist überschrieben mit
"Bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe"):
"§3 (1) Die Hälfte einer jeden durch ein inländisches Gericht verhängten, nicht bedingt nachgesehenen und zehn Jahre nicht übersteigenden Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe, höchstens aber eine Strafzeit von sechs Monaten, ist mit dem Wirksamwerden dieser Amnestie bedingt nachzusehen, soweit die Strafe bis dahin nicht vollstreckt ist, wenn
1. die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe spätestens am 27. April 1995 in Rechtskraft erwachsen ist oder
2. der Verurteilte die Ersatzfreiheitsstrafe spätestens am 27. April 1995 angetreten hat oder sich an diesem Tag in einer anderen Strafhaft befunden hat und die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe bereits angeordnet ist.
...
(3) Eine bedingte Nachsicht nach Abs1 oder 2 steht einer bedingten Entlassung gleich. Die Probezeit ist mit einem Jahr, im Falle des Abs2 Z1 jedoch derart festzusetzen, dass sie mit dem Ablauf der Probezeit des im Urteil bedingt nachgesehenen Strafteiles endet.
..."
2. Der Individualantrag ist unzulässig.
2.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der Betroffenen unmittelbar eingreift und diese - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls seit Entscheidung VfSlg. 8009/1977 in ständiger Judikatur - zB VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978, 8485/1979 und 16.060/2000 - darlegt) darüber hinaus nämlich auch erforderlich, dass dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit zur Verfügung steht.
2.2. Ein solcher zumutbarer Weg wird nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann eröffnet, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist, das dem Betroffenen Gelegenheit gibt, die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen (s. zB VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur; VfSlg. 15.786/2000). Dies gilt auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein gerichtliches Verfahren über die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe nach dem BG über die Amnestie 1995 (AZ 21 BE 160/96 des Landesgerichtes Krems an der Donau) anhängig war, in dem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (s. VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991, 16.531/2002). Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wäre das betreffende (Rechtsmittel)Gericht (hier das im Beschwerdeweg gemäß §7 Abs3 BG über die Amnestie 1995 zu befassende Oberlandesgericht Wien als "zur Entscheidung in zweiter Instanz" berufenes Gericht) zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet gewesen, sofern es - wie der Antragsteller - gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden, die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe regelnden Bestimmungen des genannten Gesetzes (Amnestie 1995) Bedenken gehegt hätte (s. zB VfSlg. 11.480/1987).
Ein Individualantrag gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig. Andernfalls ergäbe sich nämlich eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die sich mit dem Charakter des Individualantrages als bloß Lücken schließendem, subsidiärem Rechtsbehelf nicht vereinbaren ließe (vgl. zB VfSlg. 8890/1980, 11.823/1988, 13.659/1993, 15.927/2000).
Eine außergewöhnliche Konstellation liegt hier nicht vor, weil der Einschreiter (seiner gegenteiligen Auffassung zuwider) die Gelegenheit - deren Wahrnehmung fallspezifisch zumutbar war - hatte, die Stellung eines Antrages nach Art140 B-VG auf Prüfung der von ihm als bedenklich erachteten Teile des §3 des BG über die Amnestie 1995 im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens durch ein gemäß Art89 Abs2 B-VG dazu berufenes Gericht anzuregen.
2.3. Der Antrag war daher schon mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen.
3. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).
Schlagworte
Amnestie, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:G11.2004Dokumentnummer
JFT_09959073_04G00011_00