RS Vfgh 1990/9/27 V95/90, V96/90

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Veröffentlicht am 27.09.1990
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art18 Abs2 B-VG Art139 Abs6 erster Satz MRK Art10 MRK Art10 Abs2 DSt 1872 §2 RAO §10 Abs2 RL-BA 1977 §45

Leitsatz

Keine Gesetz-(bzw Verfassungs-)widrigkeit des Werbeverbots für Rechtsanwälte im ersten Halbsatz des §45 RL-BA 1977; verfassungskonforme Interpretation; Wahrung von Würde und Ansehen des Anwaltsstandes bei Werbemaßnahmen zur Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit; hingegen keine gesetzliche Deckung der Verpflichtung zur Verhinderung von Werbemaßnahmen durch Dritte; keine verfassungskonforme Interpretation möglich

Rechtssatz

Der zweite Halbsatz des §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), beschlossen vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (Vertreterversammlung) am 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 476, war gesetzwidrig.

Der erste Halbsatz des §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), beschlossen vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (Vertreterversammlung) am 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 476, war nicht gesetzwidrig.

Auch die kommerzielle Werbung fällt in den Schutzbereich des Art10 MRK.

Demnach kann der Gesetzgeber (bei Vorliegen einer entsprechenden Verordnungsermächtigung auch der Verordnungsgeber) unter Berücksichtigung des Art10 Abs2 MRK Werbebeschränkungen für Rechtsanwälte vorsehen.

Auch Werbebeschränkungen, die sich auf gefestigte Standesauffassungen berufen, müssen Art10 Abs2 MRK entsprechen, sodaß im konkreten Fall dahingestellt bleiben kann, ob es angesichts der Novellierung des §45 RL-BA 1977 (Beschluß der Vertreterversammlung vom 2. März 1990, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 24. März 1990), die auch vom Rechtsanwaltskammertag als eine Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen verstanden wird, solche gefestigte Standesauffassungen überhaupt (noch) gibt.

Da das Bild des Rechtsanwaltes nach wie vor wesentlich durch seine forensische Tätigkeit geprägt ist, kann der Verordnungsgeber nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes Werbebeschränkungen zur Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung für die Rechtsanwaltschaft insgesamt festlegen, weil es dem Ansehen der Rechtsprechung abträglich wäre, wenn durch Werbemaßnahmen einzelner ihrer Mitglieder, mögen auch die einzelnen Mitglieder nicht forensisch tätig sein, der Stand insgesamt unseriös erscheint, wie etwa bei marktschreierischen Werbemaßnahmen oder überhaupt bei einer Werbung, die nicht in der sachlichen Information über die Tätigkeit eines Anwalts, sein spezielles Wissensgebiet und seine Kenntnisse, seine speziellen Erfahrungen oder dergleichen liegt.

§10 Abs2 RAO, der inhaltlich die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung determiniert, ist demnach verfassungskonform nur der Inhalt zu unterstellen, daß Rechtsanwälte auch bei Werbemaßnahmen die Ehre und Würde des Standes so weit zu wahren haben, daß das Ansehen der Rechtsprechung gewährleistet ist.

Von der Werbebeschränkung des ersten Halbsatzes des §45 RL-BA 1977 ist also ein Verhalten des Anwaltes betroffen, bei dem die Person des Anwaltes als solche in den Vordergrund gestellt wird und die Person nicht lediglich im Zusammenhang mit der Sachinformation über die berufliche Tätigkeit des Anwaltes erwähnt wird. Bei dieser vom Wortlaut (noch) gedeckten Auslegung des ersten Halbsatzes des §45 RL-BA 1977 widerspricht er nicht dem Gesetz. Der Verordnungsgeber kann zu Recht davon ausgehen, daß ein Rechtsanwalt, der bei seinem Auftreten in der Öffentlichkeit seine Person in den Vordergrund stellt und nicht seine Qualifikation und sein Leistungsangebot, unseriös wirkt und damit auch das Ansehen der Rechtsprechung gefährdet.

Der zweite Halbsatz des §45 RL-BA 1977 verpflichtet den Rechtsanwalt, "dafür zu sorgen", daß auch Dritte eine reklamehafte Hervorhebung des Rechtsanwaltes unterlassen.

Dem zweiten Halbsatz kommt (zumindest auch) die Bedeutung eines Gebotes zu, Werbemaßnahmen durch Dritte, an denen der Rechtsanwalt selbst nicht aktiv mitgewirkt hat, zu verhindern. Damit hält sich der zweite Halbsatz der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung aber nicht mehr im Rahmen des §2 DSt.

Keine Beschränkung der Wirkung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit des §45 RL-BA 1977 auf den Anlaßfall.

(Anlaßfälle: E v 27.09.90, B1660/88, E v 13.10.90, B1661/88 - teilweise Aufhebung der angefochtenen Bescheide)

Entscheidungstexte

  • V 95,96/90
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 27.09.1990 V 95,96/90

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Werbeverbot (Rechtsanwälte), Meinungsäußerungsfreiheit, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V95.1990

Dokumentnummer

JFR_10099073_90V00095_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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