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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z6 B-VG Art12 Abs1 Z1 B-VG Art15 Abs10 B-VG Art18 Abs1 B-VG Art92 B-VG Art133 Z4 B-VG Art144 Abs1 / Legitimation MRK Art6 Abs1 / Tribunal MRK Art6 Abs1 / civil rights MRK österr Vorbehalt zu Art6 ASVG §148 Z7 Geschäftsordnung der oberösterreichischen Schiedskommission. LGBl 73/1975 §5 Abs4 KAG §28 Abs11 - 14 KAG §28 Abs12 KRAZAF-DurchführungsG §1 Abs8 Oö KAG §44 Oö KAG §44 Abs7 Oö KAG §44a Oö KAG §44a Abs11Leitsatz
Aufhebung eines Bescheides der (oberösterreichischen) Schiedskommission über den Ersatz von Pflege- und Sondergebühren; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht durch die Doppelstellung eines Beisitzers als Kommissionsmitglied und Parteienvertreter; keine Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides; Zuständigkeit des Grundsatzgesetzgebers zur Regelung der materiell-rechtlichen Frage der Zuständigkeit der Schiedskommission zur Erlassung einer Ersatzregelung; verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Regelung von Pflegegebührenersätzen aufgrund des Kompetenztatbestandes "Heil- und Pflegeanstalten"; Zugehörigkeit der Entscheidung über Pflegegebührenersätze zu den "civil rights" iSd Art6 Abs1 MRK; Konzeption der Schiedskommission als weisungsfreie Kollegialbehörde entsprechend dem Tribunalsbegriff der MRKRechtssatz
Beschwerdelegitimation auch der einzelnen, im Hauptverband zusammengeschlossenen Sozialversicherungsträger gegen eine Entscheidung der Schiedskommission nach dem Oö KAG über die Festlegung von Gebührenersätzen.
Wenn die Anordnung des §44 Oö KAG als ausführungsgesetzliche und die Abs11 bis 14 des §28 KAG als grundsatzgesetzliche Regelung festlegen, daß über Streitigkeiten, die sich aus einem zwischen dem Träger einer Krankenanstalt und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger geschlossenen Vertrag ergeben, die Schiedskommission zu entscheiden und sie bei Nichteinigung über einen Vertrag eine dementsprechende Ersatzregelung zu erlassen hat, so handelt es sich dabei nicht - wie im Falle des §44a Oö KAG - um organisationsrechtliche, sondern um materiellrechtliche Fragen. Somit begegnet weder §28 Abs11 bis 14 KAG noch §44 Abs3 und 4 Oö KAG kompetenzrechtlichen Bedenken.
Es gilt, das "Zivilrechtswesen" in der Bedeutung des Art10 Abs1 Z6 B-VG - dieses ist nicht mit dem Begriff der "civil rights" im Sinne des Art6 Abs1 MRK gleichzusetzen (wovon die Beschwerdeführer anscheinend ausgehen) - gegenüber den anderen Kompetenztatbeständen der Bundesverfassung danach abzugrenzen, ob eine Angelegenheit nach der einfachgesetzlichen Rechtslage im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenztatbestände des B-VG dem "Zivilrechtswesen" gemäß Art10 Abs1 Z6 B-VG oder ob eine derartige Regelung "bürgerlicher Rechtssachen" (§1 JN) einem anderen Kompetenztatbestand - im besonderen hier dem der "Heil- und Pflegeanstalten" gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG - zuzuordnen war.
Der Kompetenztatbestand "Heil- und Pflegeanstalten" (Art12 Abs1 Z1 B-VG) beinhaltet auch die Ermächtigung zur Regelung von Pflegegebührenersätzen durch Krankenversicherungsträger, sodaß die auf Art12 Abs1 Z1 B-VG basierenden Bestimmungen des §148 Z7 ASVG und des §44 Abs1 Oö KAG jedenfalls aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles als verfassungsrechtlich unbedenklich erscheinen (ebenso wie §28 Abs12 KAG).
Gemäß Art12 B-VG obliegt es von Verfassungs wegen den Ländern, (auch) privatrechtliche Normen - hier für "Heil- und Pflegeanstalten" - zu erlassen, wobei allerdings aus der Sicht der MRK die zur Vollziehung berufenen Landesorgane den Ansprüchen des Art6 Abs1 MRK entsprechen müssen. Für den gegebenen Zusammenhang ist jedoch auch aus der Bestimmung des Art92 Abs1 B-VG für die Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil mit dem Begriff "Zivilrechtssachen" des Art92 B-VG nur jener Bereich des Zivilrechtes gemeint ist, der den Gerichten (einfachgesetzlich) zugewiesen ist (vgl. VfSlg. 3121/1956).
Bei der Entscheidung über den Ersatz von Pflege- und Sondergebühren handelt es sich (vgl. auch VfSlg. 7889/1976) um "zivilrechtliche Ansprüche" im engeren Sinn, sodaß die darüber durch einfaches Gesetz zur Entscheidung berufene Schiedskommission nach dem KAG ein "Tribunal" sein muß, damit sie den Regelungen der MRK entspricht.
Die Schiedskommission ist als eine weisungsfreie Kollegialbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG (Art20 Abs1 B-VG) konzipiert:
Ihre Mitglieder sind nicht nur in Ausübung ihres Amtes ex lege weisungsfrei gestellt (§44a Abs8 Oö KAG), sondern gemäß §44a Abs4 leg.cit. auch unabsetzbar, sodaß damit auch den Anforderungen des Art6 Abs1 MRK im Hinblick auf das Kriterium der "Unabhängigkeit" entsprochen ist.
Soweit die Beschwerdeführer die Nichtöffentlichkeit der Verhandlung und Entscheidungsfindung rügen, genügt es, auf Punkt 2 des von Österreich zu Art6 MRK abgegebenen Vorbehaltes hinzuweisen (vgl. hiezu VfSlg. 11569/1987, VfGH vom 26.9.1988, B951/88, und vom 6.10.1988, B1408/87).
Gerade die Regelungsaufgabe, die der Schiedskommission hier obliegt, spricht dafür, daß die Zusammensetzung der Senate aus einem neutralen Vorsitzenden und zwei weiteren über Vorschlag der Interessenträger bestellten Mitgliedern schon von vornherein nicht dazu angetan ist, Zweifel im Hinblick auf die "Unparteilichkeit" im Lichte des Art6 Abs1 MRK hervorzurufen; sind doch die Fachkenntnisse dieser beiden Mitglieder für eine sachgerechte Entscheidung von erheblicher Bedeutung.
Unbedenklichkeit des §1 Abs8 KRAZAF-DurchführungsG im Hinblick auf das Determinierungsgebot des Art18 Abs1 B-VG (siehe VfSlg. 8834/1980 zur inhaltlich gleichen Regelung des §44 Abs7 Oö KAG).
Daß es §5 Abs4 der Geschäftsordnung der oberösterreichischen Schiedskommission Ersatzmitgliedern verbietet, an den Abstimmungen teilzunehmen und sich an den Beratungen des Senates zu beteiligen, ist offenkundig in Abs11 des §44a Oö KAG gedeckt. Der Verfassungsgerichtshof hält aber auch die Geschäftsordnungsbestimmung, daß die Ersatzmitglieder an den Sitzungen des Senates auch außerhalb des Vertretungsfalles teilnehmen dürfen, für gesetzlich gedeckt, weil Abs12 des §44a Oö KAG erklärt, daß ein im Gesetz begründeter Wechsel in der Person von Mitgliedern (Ersatzmitgliedern) der Weiterführung eines anhängigen Verfahrens nicht entgegenstehe; dies erlaubt, daß Ersatzmitglieder, die in das Verfahren in einem solchen Falle eintreten, schon an den vorausgehenden Sitzungen (wenn auch nicht beratend) teilnehmen.
Aufhebung eines Bescheides der Schiedskommission über den Ersatz von Pflege- und Sondergebühren.
Die gleichzeitige Funktion eines Organwalters als Mitglied des entscheidenden Tribunals und als Vertreter einer Prozeßpartei ist mit Art6 MRK unvereinbar: Es kann von keinem "unabhängigen und unparteiischen Gericht (Tribunal)" die Rede sein, wenn dessen Beisitzer in ein und demselben Verfahren zugleich auch persönlich die Interessen einer Prozeßpartei wahrnimmt. Aus den Niederschriften über die Sitzungen der Schiedskommission ergibt sich nun, daß die Beisitzer dieser Kommission nicht nur darin als Vertreter des Landes bzw. des Hauptverbandes bezeichnet werden, sondern auch tatsächlich in dieser Eigenschaft bei den Sitzungen aufgetreten sind.
Damit verletzt aber der angefochtene Bescheid deshalb, weil in dem diesem zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren ein Beisitzer der Schiedskommission zugleich auch als Parteienvertreter fungierte, die Beschwerdeführer in ihrem durch Art6 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht (Tribunal).
Schlagworte
VfGH / Legitimation, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Krankenanstalten, Versteinerungstheorie, Kompetenz Bund - Länder Verwaltungsorganisation, Kompetenz Bund - Länder Krankenanstalten, formelles-materielles Recht, Kompetenz Bund - Länder, Kompetenz Bund - Länder Zivilrechtswesen, Zivilrecht, civil rights, Tribunal, Kollegialbehörde, Öffentlichkeitsprinzip, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B829.1989Dokumentnummer
JFR_10099072_89B00829_01