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95 TechnikNorm
B-VG Art140 Abs1 / Gegenstandslosigkeit StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung IngenieurkammerG §6 IngenieurkammerG §31 IngenieurkammerG §48 Abs1 Z2Leitsatz
Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch die Ermächtigung zur generellen Festlegung verbindlicher Mindestgebühren für jegliche Ziviltechnikerleistung; sachliche Rechtfertigung eines solchen Eingriffs in die Erwerbsausübungsfreiheit aufgrund des öffentlichen Interesses an der Gewährleistung eines Sicherheitsstandards oder an besonderen schöpferischen oder kulturellen Leistungen nur hinsichtlich mancher LeistungenRechtssatz
Folgende Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 22. Jänner 1969 über die Ingenieurkammern (IngenieurkammerG), BGBl. Nr. 71, werden als verfassungswidrig aufgehoben:
a) die Worte "und verbindlich erklärten Gebührenordnungen (§31)" in §6 Abs3;
b)
der Wortteil "Mindest" im ersten Satz des §31 Abs1;
c)
der zweite Satz des §31 Abs1;
d)
der Absatz 2 des §31;
e)
der Absatz 3 des §31.
Der Gesetzgeber ist dem Art6 StGG zufolge ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt und unter bestimmten Umständen verboten ist, sofern er dabei den Wesensgehalt des Grundrechts nicht verletzt und auch sonst der Verfassung entspricht. Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hat dies dahin ergänzt und präzisiert, daß eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsfreiheit beschränkt, nur zulässig ist, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen ist. Auch gesetzliche Regelungen, die die Berufsausübung beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit der verfassungsgesetzlich verbürgten Erwerbsausübungsfreiheit zu prüfen und müssen dementsprechend durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein. Das bedeutet, daß Ausübungsregeln bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist, als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern (vgl. VfSlg. 11558/1987 mwH, VfGH 5.10.1988 G197/87, 148/88).
Das - sicherlich im öffentlichen Interesse liegende - Ziel des Verbraucherschutzes rechtfertigt die Festlegung verbindlicher Mindestgebühren, deren Unterschreitung sanktioniert wird, nicht.
Keinesfalls kann es im Sinne der Verbraucher gelegen sein, wenn Ziviltechniker grundsätzlich daran gehindert werden, bei Erbringung ein und derselben Leistung einander zu unterbieten.
Der Verfassungsgerichtshof stellt nicht in Abrede, daß die Festlegung verbindlicher Mindestgebühren für (manche) Ziviltechnikerleistungen zur Sicherung eines im öffentlichen Interesse liegenden Standards geeignet sein und daher einen sachlich gerechtfertigten Eingriff in die Erwerbsfreiheit bilden kann; dies auch im Hinblick darauf, daß es sich hiebei nicht um eine Beschränkung des Erwerbsantrittes, sondern der Erwerbsausübung handelt, für welche nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes dem Gesetzgeber ein größerer Gestaltungsspielraum offen steht.
Die in Prüfung gezogene Regelung ist aber zu weitgehend, um (bloß) der Verfolgung dieser Ziele zu dienen. Sie ermächtigt nämlich - völlig undifferenziert - für jegliche Art von Ziviltechnikerleistung zur Festlegung von verbindlichen Mindestgebühren und zur disziplinären Ahndung im Falle ihrer Unterschreitung.
Die gesetzliche Ermächtigung zur Festlegung verbindlicher Gebühren für schlechthin alle Arten von Ziviltechnikerleistungen geht aber über das durch solche öffentliche Interessen gerechtfertigte und allgemein im wirtschaftlichen Leben zur Sicherung dieser Interessen notwendige Maß hinaus.
Die Möglichkeit, für jegliche Ziviltechnikerleistung verbindliche Mindestgebühren vorzusehen, verletzt jedenfalls die verfassungsrechtliche Garantie der Erwerbsfreiheit.
Nach Wegfall der aufgehobenen Bestimmungen in den §§6 und 31 IngenieurkammerG ist es (auch im Zusammenhalt mit den zur Aufhebung führenden Gründen) nach dem IngenieurkammerG nicht (mehr) zulässig, für Leistungen von Ziviltechnikern verbindliche Mindestgebühren festzusetzen. Eine Verpflichtung zur Einhaltung solcher Vorschriften im Sinne des §48 Abs1 Z2 IngenieurkammerG kann somit nicht (mehr) eintreten. §48 Abs1 Z2 leg.cit. ist daher nicht mehr mit Verfassungswidrigkeit belastet, weshalb das Gesetzesprüfungsverfahren insoweit einzustellen ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, Ziviltechniker, Ingenieurkammer, Mindestgebühren (Festlegung), öffentliches Interesse, VfGH / GegenstandslosigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:G40.1990Dokumentnummer
JFR_10098997_90G00040_01