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30 Finanzverfassung, FinanzausgleichNorm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz F-VG 1948 §4 FAG 1989 §8 FAG 1989 §10 FAG 1989 §20, §21, §22, §23Leitsatz
Keine Gleichheitswidrigkeit der aufgrund des "abgestuften Bevölkerungsschlüssels" erfolgten Verteilung der Abgabenerträge des Bundes an die Gemeinden; weiter Gestaltungsspielraum des Finanzausgleichsgesetzgebers; Unabdingbarkeit der Finanzausgleichsverhandlungen zwischen den Gebietskörperschaften; nur schrittweise Änderung nicht mehr sachgerechter finanzausgleichsrechtlicher Regelungen; keine eindeutige Klärung der Zusammenhänge zwischen den einer Gemeinde erwachsenden Kosten und der Bevölkerungszahl; künftige Abänderung der Tarifsprünge an den Stufenübergängen bzw Abgehen vom "abgestuften Bevölkerungsschlüssel" möglich; keine verfassungswidrige Benachteiligung der ZweitwohnsitzgemeindenRechtssatz
Das allgemeine Gleichheitsgebot des Art7 B-VG gilt auch für den Finanzausgleichsgesetzgeber. Es wird für den Bereich des Finanzausgleiches durch §4 F-VG 1948 zum Ausdruck gebracht.
Die Bundesverfassung läßt dem Finanzausgleichsgesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum und erteilt ihm nur minimale Handlungsanweisungen, wie die einzelnen finanzausgleichsrechtlichen Regeln inhaltlich zu fassen sind.
So steht dem Finanzausgleichsgesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Freiraum in der Auswahl sowohl der mit dem Finanzausgleich anzustrebenden Ziele als auch des hiebei eingesetzten Instrumentariums zu.
Die vorgesehenen Mittel dürfen nur nicht von vornherein zur Zielerreichung und zur Herstellung des angemessenen Ausgleiches zwischen den (divergierenden) finanzpolitischen Interessen der Gebietskörperschaften ungeeignet sein oder sonst dem Gleichheitsgrundsatz widerstreiten (vgl. zB VfSlg. 8457/1978, 9280/1981).
Die Finanzausgleichsgesetzgebung hat von zwei Faktoren auszugehen:
nämlich zum einen vom Finanzbedarf, der sich aus den Lasten ergibt, die mit der Besorgung der den einzelnen Gebietskörperschaften obliegenden Pflichtaufgaben, aber auch der von ihnen ohne (ausdrücklichen) gesetzlichen Auftrag übernommenen Agenden verbunden sind; zum anderen sind die der jeweiligen Gebietskörperschaft zufließenden Einnahmen (zu denen insbesondere, aber keineswegs ausschließlich, Abgaben iS der §§5 ff. F-VG 1948 gehören) relevant. Die in den (auf der Stufe eines einfachen Gesetzes stehenden) Finanzausgleichsgesetzen (so im §10 Abs4 FAG 1989) erwähnte "Finanzkraft" ist bloß einer der Indikatoren für die finanzielle Leistungskraft der Gemeinde (vgl. VfSlg. 11577/1987, 695 f.).
Art und Ausmaß der Lasten wie der Einnahmen werden von den einzelnen Gebietskörperschaften teils autonom, teils heteronom bestimmt, wobei zahlreiche Wechselbeziehungen und gegenseitige Einwirkungen bestehen, die bei Regelung des Finanzausgleiches Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Gebietskörperschaften erfordern.
Schließlich geht aus §4 F-VG 1948 hervor, daß die einzelnen finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht isoliert betrachtet werden dürfen; vielmehr hat - unter Beachtung der beiden erwähnten Faktoren - die Finanzausgleichsgesetzgebung insgesamt ein System zu entwickeln, das dem Gebot des §4 F-VG 1948 und des Art7 B-VG entspricht.
Ein dem Gebot des §4 F-VG entsprechendes, sachgerechtes System des Finanzausgleiches setzt schon im Vorfeld der Gesetzgebung eine Kooperation der Gebietskörperschaften voraus, die durch politische Einsicht und gegenseitige Rücksichtnahme bestimmt ist. Ein solches komplexes System kann nur bei eingehender Kenntnis der bestehenden weitverzweigten, komplizierten Rechtsordnung und der gegenwärtigen und künftig zu erwartenden wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten und Interessen sowie durch gegenseitige Rücksichtnahme und einen das Gesamtwohl beachtenden Ausgleich der (allenfalls divergierenden) Interessen der Gebietskörperschaften geschaffen werden.
Vor Erlassung des Finanzausgleichsgesetzes sind also entsprechende Beratungen zwischen den Vertretern der Gebietskörperschaften unabdingbar.
Führen diese Gespräche zumindest in den wesentlichen, grundsätzlichen Belangen zu einem Einvernehmen, so kann in aller Regel davon ausgegangen werden, daß eine dem §4 F-VG 1948 entsprechende Gesamtregelung getroffen wurde.
Die "Paktierung" des Finanzausgleiches für einen bestimmten künftigen Zeitraum hat zur Folge, daß eine einseitige Änderung während der Laufzeit nicht bloß der politischen Fairness widersprechen kann, sondern auch das eine Einheit bildende Gesamtsystem des Finanzausgleiches schwerwiegend gestört wird und damit der geänderte Finanzausgleich in Widerspruch zu §4 F-VG 1948 gerät.
Die Finanzausgleichsgesetze haben von den tatsächlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Erlassung auszugehen.
Kommt eine Änderung des Finanzausgleiches überraschend und ist sie einschneidend, so kann sie für eine (Gruppe von) Gebietskörperschaft(en) mit einem derart gravierenden finanziellen Verlust verbunden sein, daß die Neuregelung ihrerseits dem Gebot des §4 F-VG widerspricht.
Ist eine bestimmte finanzausgleichsrechtliche Regelung nicht (mehr) sachgerecht, so kann in der Regel nur eine schrittweise Änderung eine dem §4 F-VG 1948 entsprechende Lösung bieten, weil die finanzielle Gebarung der Gemeinden und auch der anderen Gebietskörperschaften zumindest mittelfristig auf ein bestimmtes erwartetes Aufkommen abgestimmt ist.
Abweisung des Antrags der Niederösterreichischen Landesregierung auf Aufhebung des §8 Abs2 Z2, §8 Abs2 Z4, §8 Abs2 Z5,
§8 Abs2 Z7, §8 Abs2 Z8, §8 Abs2 Z9, §8 Abs3, §9
letzter Satz, §10 Abs2 letzter Satz, §10 Abs3, §20 Abs1,
§21 Abs1 zweiter Satz, §21 Abs2 Z2, §21 Abs5, §21
Abs6, §21 Abs8, §22 Abs1 Z2 zweiter Satz, §22 Abs1 Z5
zweiter und dritter Satz und §23 Abs4 FAG 1989, BGBl. Nr. 687/1988.
Die mündliche Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof hat bestätigt, daß zumindest ab 1979 der Beschlußfassung über die jeweiligen Finanzausgleichsgesetze stets intensive Beratungen vorangingen. An diesen Beratungen nahmen Vertreter aller Gebietskörperschaften teil.
Als in das Gesamtsystem des Finanzausgleiches ab dem Jahr 1979 eingebettete Regelungen fanden auch die zur Aufhebung beantragten Vorschriften letztendlich die Zustimmung aller Partner der Finanzausgleichsverhandlungen.
Das FAG 1989 wäre in folgenden Fällen mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Fehler behaftet: Die Partner der Finanzausgleichsverhandlungen (und ihnen folgend der Gesetzgeber) sind von völlig unrichtigen faktischen Gegebenheiten ausgegangen;
es wurden offenkundig extrem verfehlte Mittel zur Erzielung eines sachgerechten Finanzausgleiches eingesetzt; einzelne Gebietskörperschaften wurden gezielt benachteiligt oder bevorzugt;
die notwendigen Anpassungen an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse wurden - auch unter Beachtung des Zeithorizontes - nicht vorgenommen oder in die Wege geleitet.
Die Verfassung verletzende Fehler im Sinne der vorstehenden Ausführungen haben sich nicht ergeben.
Die von der Wissenschaft aus den empirischen Feststellungen gezogenen Schlußfolgerungen ergeben hinsichtlich des Zusammenhangs von Kosten (zB für Infrastruktureinrichtungen) und Bevölkerungszahl kein einheitliches und eindeutiges Bild. Da ferner der Finanzbedarf der Gemeinden weitgehend von regionalen oder überregionalen politischen Willensbildungsprozessen abhängt, und da schließlich der Finanzausgleich ein Gesamtsystem bildet, dessen Elemente im Prinzip nicht einzeln betrachtet werden können, erweisen sich die im Gesetzesprüfungsantrag vorgebrachten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels (nämlich hinsichtlich der mangelnden Sachgerechtigkeit im allgemeinen sowie der Größenklassen und des gewählten Multiplikators im besonderen) als unzutreffend.
Damit wird jedoch dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel weder im Prinzip noch in seiner derzeitigen Ausformung attestiert, daß er auch in Zukunft vor dem Art7 B-VG und dem §4 F-VG Bestand haben wird.
Es wird daher Sache künftiger Finanzausgleichsverhandlungen und des Gesetzgebers sein, zu überdenken, ob die Tarifsprünge an den Stufenübergängen nicht gemildert werden sollen, sofern überhaupt (noch) am abgestuften Bevölkerungsschlüssel festgehalten wird.
Die Bevölkerungszahl ist nur einer der Anknüpfungspunkte für die Verteilung der gemeinschaftlichen Abgaben, der Finanzzuweisungen und der Zweckzuschüsse. Wenn der Finanzausgleichsgesetzgeber auf die Besonderheiten von Gemeinden, in denen es Personen mit einem zweiten Wohnsitz gibt, nicht Bedacht genommen hat, kann ihm daraus kein verfassungsrechtlicher Vorwurf gemacht werden. Es ist dem Finanzausgleichsgesetzgeber nämlich unmöglich, abgesehen von der Bevölkerungszahl schlechthin auch alle übrigen denkbaren Aspekte zu berücksichtigen, die dem Umstand, daß jemand in einer Gemeinde (bloß) den zweiten Wohnsitz hat, gleichwertig sind - sind doch die hiebei denkbaren Faktoren derart vielfältig, daß nur eine vergröbernde und verallgemeinernde Betrachtung zu einer handhabbaren Regelung führt.
Das FAG 1989 bietet Möglichkeiten, einen Ausgleich für die bei Verteilung der gemeinschaftlichen Ertragsanteile übergangenen Gebietskörperschaften zu finden.
Bei Schaffung künftiger Finanzausgleichsgesetze wird aber auch besonders darauf zu achten sein, daß Mehrbelastungen, die bestimmten (Gruppen von) Gemeinden aufgrund besonderer Umstände - wie etwa, daß dort Personen einen Zweitwohnsitz begründet haben - erwachsen, insgesamt gebührend berücksichtigt werden.
Schlagworte
Finanzverfassung, Finanzausgleich, Gestaltungsspielraum rechtspolitischer (des Gesetzgebers), Bevölkerungsschlüssel abgestufter, Wohnsitz Zweit-, Gemeinde Kostentragung (Finanzausgleich)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:G66.1990Dokumentnummer
JFR_10098988_90G00066_01