RS Vfgh 1990/11/26 B1295/88, B1296/88, B1297/88

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 26.11.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgte
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
StGG Art9
MRK Art3
StPO §141 Abs1
StPO §141 Abs2
StPO §175 Abs1 Z3

Leitsatz

Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme und Anhaltung; keine Verdunkelungsgefahr; Verletzung des Hausrechtes; keine Gefahr im Verzuge; Fehlen der gesetzlichen Vorraussetzungen für die Vornahme einer Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl; Zurückweisung der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten verbalen Entgleisungen und Mißhandlungen; keine Erbringung eines ausreichenden Beweises angesichts des Ergebnisses des gerichtlichen Strafverfahrens gegen die Polizeibeamten

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof vermag selbst unter Zugrundelegung der Sachverhaltsschilderung der belangten Behörde das Vorliegen des Haftgrundes der Kollusionsgefahr nicht zu erkennen: Daß es potentielle Mittäter geben und der Beschwerdeführer Suchtgift verborgen halten könnte, rechtfertigte für sich allein noch nicht die Annahme eines konkret bevorstehenden (und darum die telefonische Einholung einer Entscheidung des zuständigen (Journal-)Richters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zur Haftfrage - wegen Gefahr im Verzug - hindernden) Verdunkelungsversuches.

Daß nach der Festnahme 0,5 g Haschisch im Zuge einer Hausdurchsuchung aufgefunden wurde, muß hier außer Betracht bleiben, weil es bei Prüfung der Festnahmevoraussetzungen nur auf Tatumstände ankommen kann, die schon zur Zeit der Festnahme bekannt waren. Ebensowenig vermag in diesem Zusammenhang die bloße Tatsache, daß der Beschwerdeführer ein strafbares Verhalten in Wahrnehmung seiner Beschuldigtenrechte schlicht leugnete, Bedeutung zu erlangen; denn der Haftgrund des §175 Abs1 Z3 StPO ist daraus allein keineswegs schlüssig und rechtlich zulässig ableitbar.

Anordnungen der Sicherheitsbehörde wurden zwar für die Hausdurchsuchungen am 21. Mai 1988 und am 1. Juni 1988 getroffen, doch lag die verfassungsgesetzlich zwingend erforderliche "Gefahr im Verzuge" nicht vor.

Unerläßlich ist die Einholung eines richterlichen Befehls im allgemeinen immer dann, wenn mit dem Untersuchungsrichter des zuständigen Gerichts während der Dienst- und Journaldienststunden unverzüglich eine fernmündliche Verbindung hergestellt werden kann. Diese Möglichkeit war hier - schon im Hinblick auf die Einrichtung eines Tag- und Nachtjournaldienstes beim zuständigen Landesgericht für Strafsachen Wien - unzweifelhaft gegeben. Erst nach dem allfälligen Fehlschlagen des Versuches, mit dem Untersuchungsrichter das Einvernehmen zu pflegen, hätte der Konzeptsbeamte des Sicherheitsbüros aber selbständig prüfen dürfen, ob die gesetzlichen Bedingungen für eine Hausdurchsuchung zutrafen.

Die bekämpfte Hausdurchsuchung am 31. Mai 1988 wurde aus eigener Machtvollkommenheit veranstaltet. Keine der in §2 Abs2 HausrechtsG und §141 Abs2 StPO angeführten Bedingungen für die Zulässigkeit einer Hausdurchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht war hier erfüllt.

Ganz unabhängig von der nicht näher zu erörternden Frage, ob Gefahr im Verzug vorlag, fehlte es also am 31. Mai 1988 an den notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Vornahme einer Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl.

Rein verbale Entgleisungen (eines behördlichen Organs) können als solche und für sich allein nicht als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG gewertet werden. Es mag zwar unter besonderen Verhältnissen zutreffen, daß behördliches Verhalten (erst) wegen der damit verbundenen - etwa der Verwirklichung bestimmter Ziele dienenden - beleidigenden Angriffe zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt wird. Ein solcher Fall ist aber auf Grund der Aktenlage in tatsächlicher Beziehung zumindest nicht mit Sicherheit feststellbar.

Soweit die Beschwerde tätliche Mißhandlungen im Zuge des polizeilichen Einschreitens geltend macht, ist festzuhalten, daß die (beschuldigten) Polizeibeamten vom (Anklage-)Vorwurf, den Beschwerdeführer durch Schläge, Tritte und "Reißen am Kopf" vorsätzlich am Körper verletzt und hiedurch an der Gesundheit geschädigt zu haben, (rechtskräftig) freigesprochen wurden.

Angesichts dieses Ergebnisses des (auf breiter Beweisgrundlage abgewickelten) gerichtlichen Strafverfahrens sieht sich der Verfassungsgerichtshof außer Stande, den Angaben des Beschwerdeführers beizutreten und die in der Beschwerdeschrift behaupteten Mißhandlungen als zweifelsfrei erwiesen anzusehen. (Insoweit Zurückweisung der Beschwerde).

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Hausrecht, Hausdurchsuchung, Festnehmung, Verdunkelungsgefahr, Mißhandlung, richterlicher Befehl

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B1295.1988

Dokumentnummer

JFR_10098874_88B01295_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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