TE Vfgh Erkenntnis 2004/9/28 B1387/03

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Veröffentlicht am 28.09.2004
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
GeschwindigkeitsbeschränkungsV des Magistrats der Stadt Wien vom 16.04.98 betr Ausweitung einer 30 km/h-Zone im 17. Bezirk
StVO 1960 §43 Abs1 litb Z1

Leitsatz

Keine Rechtsverletzung durch Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung bei Verhängung einer Geldstrafe wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung; keine Bedenken gegen die Ausweitung einer Tempo 30 km/h-Zone im 17. Wiener Gemeindebezirk

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 4. April 2002 wurde der Beschwerdeführer bestraft, weil er auf der Dornbacher Straße in Wien, bei ONr. 72, als Lenker eines Kraftfahrzeuges die durch Verbotszeichen gemäß §52 Z10a StVO 1960 kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h überschritten habe. Dieses Straferkenntnis wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. Juli 2003 im Instanzenzug bestätigt.

2. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet. Der Magistrat der Stadt Wien hat die Verwaltungsakten betreffend die dem Bescheid zugrunde liegende Verordnung vorgelegt, mit der eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h erlassen wurde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde behauptet ausschließlich die Gesetzwidrigkeit der dem Bescheid zugrunde liegenden Verordnung, mit der auf einem Teil der Dornbacher Straße eine Beschränkung der höchstzulässigen Geschwindigkeit auf 30 km/h verordnet wurde.

Zu den allgemeinen Verkehrsverhältnissen und den Zusammenhängen zwischen der Dornbacher Straße und umliegenden Straßen führt die Beschwerde aus, dass der von der Verordnung betroffene Abschnitt der Dornbacher Straße unterhalb der Alszeile verlaufe und dieser als "Entlastungsstraße" diene. Die Alszeile sei Teil der Achse Neuwaldegger Straße - Dornbacher Straße - Alszeile - Dornbacher Straße - Hernalser Hauptstraße. Dieser Straßenzug stelle eine wichtige Einfallsstraße in das Zentrum Wiens dar, der nicht nur den Einzugsverkehr aus dem Westen Wiens, sondern auch viele Pendler aus dem Tullnerfeld aufnehme. Dieser Bedeutung entsprechend sei die Alszeile, über die auch die Straßenbahnlinie 43 führt, gemäß der Verordnung des Gemeinderates betreffend die Feststellung von Haupt- und Nebenstraßen vom 29.4.1999, ABl. 1999/17, §1 Abs1, Anhang für den

17. Bezirk, "Hauptstraße" im Sinn des §103 Abs2 Wiener Stadtverfassung. Die Funktion der Alszeile als "Hauptstraße" sei jedoch durch verkehrsbehindernde Maßnahmen beeinträchtigt worden. So sei bereits vor längerer Zeit das Parken in "Baumscheiben" verboten worden, wodurch die freie Zufahrt zwischen den in der Alszeile verkehrenden Straßenbahnen und den parkenden Autos verhindert werde, weil die Fahrzeuge seitdem auf der Fahrbahn parken. Dadurch sei der Verkehr mit Kraftfahrzeugen beeinträchtigt, weil für die Durchfahrt von Kraftfahrzeugen nur mehr der Schienenweg offen sei. Auch das Vorbeifahren an der Straßenbahn sei wesentlich erschwert, weil der Gehsteig im Bereich der Haltestellen bis zu den Straßenbahngleisen vorgezogen worden sei. Die Alszeile sei aufgrund dieser zu Stau führenden Umstände insgesamt nur "verlangsamt passierbar" und der Fließverkehr wesentlich eingeschränkt.

Die Dornbacher Straße sei angesichts dieser Situation von Fahrzeuglenkern als Ausweichroute von der Alszeile benützt worden. Die Dornbacher Straße habe, so die Beschwerdeausführungen, "im gegenständlichen Straßenabschnitt einen Teil der Aufgaben der 'Hauptstraße' übernommen". Die Erlassung einer 30 km/h-Beschränkung sei mangels besonderer Gefahrensituationen nicht geboten gewesen. Zur Charakteristik der von der 30 km/h-Beschränkung betroffenen Straßenstrecke auf der Dornbacher Straße führt die Beschwerde aus:

Mit der Verordnung Zl. MA 46 - V17 - 4129/97 sei die im Bereich Waldegghofgasse - Promenadegasse - Luchtengasse - Knollgasse im 17. Wiener Gemeindebezirk bestehende "Tempo-30-Zone" auf Antrag der Bezirksvorstehung auf die Dornbacher Straße zwischen Alszeile und Andergasse ausgeweitet worden. Der betreffende Abschnitt der Dornbacher Straße sei als Einbahn stadteinwärts ausgestaltet. Die rechtsseitig einmündende Enzelsberggasse und die Trimmelgasse seien nicht befahrbare Fußsteige mit Stiegenausbildung; im betreffenden Straßenabschnitt gebe es daher keinerlei befahrbare Straßeneinmündungen. Der in Rede stehende Abschnitt der Dornbacher Straße sei für eine Einbahnstraße ausgesprochen übersichtlich, beiderseits beparkbar und weise keine fahrbehindernden Engstellen auf. Im gesamten Straßenverlauf verbleibe (trotz Beparkung) eine Straßenbreite von mindestens fünf Metern zur freien Durchfahrt. Auch die beidseitige Bebauung sei größtenteils offen, fallweise gekuppelt und teilweise durch große parkmäßige Liegenschaften mit Groß- bzw. Kleinvillen besäumt, sodass auch das Fußgängeraufkommen gering sei. Nach Auffassung des Beschwerdeführers enthalten die Verordnungsakten keinerlei sachliche Begründung bzw. Nachweis für die Erforderlichkeit der Erweiterung der 30 km/h-Zone auf den gegenständlichen Abschnitt der Dornbacher Straße. Ein Aktenvermerk der Magistratsabteilung 46 vom 16. April 1998 beschränke sich auf die "ausführliche Erläuterung der örtlichen Verkehrssituation", wobei der Inhalt dieser Erörterungen aus dem Protokoll nicht hervorgehe.

2. Zur Begründung der Gesetzwidrigkeit der

30 km/h-Beschränkung verweist die Beschwerde auf §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960. Die Gesetzmäßigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung setze voraus, dass die Maßnahme konkret erforderlich sei. Dies sei der Fall, wenn die Verhältnisse auf den entsprechenden Straßenstücken - als Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung - derart beschaffen sind, dass sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen. Bei Erlassung der dem Bescheid zugrunde liegenden Verordnung habe die Behörde nicht einmal den Versuch einer sachgerechten Begründung unternommen. Das Verhandlungsprotokoll beschränke sich auf die Bemerkung, dass die örtliche Verkehrssituation "ausführlich erläutert" worden sei und alle Verhandlungsteilnehmer der Erlassung der Verordnung zugestimmt hätten. Verkehrstechnische Gutachten seien nicht eingeholt worden. Für die Erforderlichkeit der 30 km/h-Beschränkung würden sich auch "bei noch so kreativer und ausgefeilter Argumentation der Behörde keine Gründe finden lassen". Der betroffene Abschnitt der Dornbacher Straße, sei ausreichend breit, trotz Krümmung sei der Überblick gewährt und es liege keinerlei spezielle Gefahrensituation vor, die über die "allgemeinen Gefahren im Verkehrsgeschehen im Ortsgebiet" hinausreichen würde. Diesen "typischen Gefahren" habe der Gesetzgeber aber in §20 Abs2 StVO 1960 mit der allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung im Ortsgebiet ohnehin bereits Rechnung getragen.

3. Dem Beschwerdevorbringen ist folgendes entgegenzuhalten:

3.1. Die Erlassung der dem Bescheid zugrunde liegenden Geschwindigkeitsbeschränkung geht auf die Initiative der Bezirksvertretung des 17. Wiener Gemeindebezirks (Hernals) zurück. Im Verordnungsakt ist ein Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion der Hernalser Bezirksvertretung enthalten:

"die Magistratsabteilung 46 möge die Dornbacher Straße vom Dornbacher Spitz bis zur Andergasse, die Braungasse von der Andergasse bis zur Güpferlinggasse und die Oberwiedenstraße zwischen Dornbacher Straße und Braungasse zu einer Tempo-30 Zone erklären.

BEGRÜNDUNG

Bei dem genannten Straßenzug handelt es sich um ein ausgesprochenes Wohngebiet, das in letzter Zeit häufig als 'Schleichweg' bei stärkerem Verkehrsaufkommen in der Alszeile benützt wird. Auf Grund des Straßenquerschnittes und der Verwinkelung dieser Verkehrsflächen ist ein zügigeres Fahren aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Die Verhängung einer Tempo-30 Zone scheint daher ein Mittel zu sein, den Durchzugsverkehr noch unat[t]raktiver als bisher und damit das Gebiet verkehrssicherer zu machen."

Dieser Antrag wurde in der Bezirksvertretungssitzung am 18. Februar 1998 mehrheitlich beschlossen.

Am 16. April 1998 hielt der Magistrat eine Verhandlung zum Gegenstand ab und erließ eine Verordnung, mit der eine bis dahin bestehende 30 km/h-Zone aufgehoben wurde und eine solche Zone in erweitertem Umfang, nämlich einschließlich der Dornbacher Straße zwischen Alszeile und Andergasse, neu erlassen wurde.

3.2. Gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 hat die Behörde für bestimmte Straßenstrecken Verkehrsbeschränkungen (insbesondere Geschwindigkeitsbeschränkungen) zu erlassen, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.

3.3. Der Beschwerdeführer weist selbst darauf hin, dass der Alszeile die Funktion einer "Hauptstraße" zukomme, die als "wichtige Einfallsstraße in das Zentrum Wiens" nicht nur den Einzugsverkehr aus dem Westen Wiens, sondern auch viele Pendler aus dem Tullnerfeld aufnehme. Der zwischen Alszeile und Andergasse gelegene Teil der Dornbacher Straße ist demgegenüber als "Wohngebiet" zu qualifizieren. Die schon im Verordnungsakt enthaltene Annahme, dass dieser Straßenteil "ausgesprochenes Wohngebiet" ist, wird durch die Ausführungen der Beschwerde bestätigt, wonach "die beidseitige Bebauung größtenteils offen, fallweise gekuppelt und teilweise durch große parkmäßige Liegenschaften mit Groß- bzw. Kleinvillen besäumt sei".

Der Beschwerdeführer lässt auch die Feststellung unbestritten, die (wie sich aus dem Verordnungsakt ergibt) den Anlass zur Forderung nach einer Geschwindigkeitsbeschränkung gegeben hat, nämlich dass das in Rede stehende Teilstück der Dornbacher Straße als "Schleichweg" benützt werde und zu verstärktem Ausweichverkehr (durch das Wohngebiet) führe.

Der Verfassungsgerichtshof kann dem Verordnungsgeber nicht entgegentreten, wenn er auf Grundlage seines Verfahrens die Voraussetzungen des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 als gegeben ansah und die Zusammenhänge von Verkehrsströmen zum Anlass nahm, eine steigende Tendenz des Durchzugsverkehrs, von der "Hauptstraße" in das "Wohngebiet" auszuweichen, im Wege einer Geschwindigkeitsbeschränkung einzuschränken.

4. Die der Bestrafung des Beschwerdeführers zugrunde liegende Verordnung ist daher nicht gesetzwidrig.

Da der Beschwerdeführer nur die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet hat, war nicht darauf einzugehen, ob die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte vorliegt (zB VfSlg. 9607/1983, 10981/1986, 14786/1997).

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1387.2003

Dokumentnummer

JFT_09959072_03B01387_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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