RS Vfgh 1990/12/12 V212/90

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Veröffentlicht am 12.12.1990
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art18
LebensmittelgutachterV §3 Abs1
LMG 1975 §47
LMG 1975 §50 Abs1

Leitsatz

Verfassungskonforme Auslegung der Ausbildungsvorschriften für Lebensmittelgutachter; Zulässigkeit der Festlegung strenger Voraussetzungen für die wissenschaftliche Berufsvorbildung und die praktische Ausbildung im Hinblick auf die Erwerbsausübungsfreiheit und die Berufswahl- und Berufsausbildungsfreiheit aufgrund des öffentlichen Interesses; Zulässigkeit der Absolvierung des Berufsausbildungserfordernisses einer praktischen Untersuchungstätigkeit jedoch an allen dafür geeigneten Instituten; Unzulässigkeit der Auswahl bestimmter Institute durch den Verordnungsgeber

Rechtssatz

Die Wortfolge "die in Anlage 2 genannt sind" in §3 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 21.06.78 über die Vorbildung von Lebensmittelgutachtern an Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung (LebensmittelgutachterV), BGBl. Nr. 324/1978, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Zulässigkeit der Beschwerde im Anlaßverfahren.

Die Verweigerung der Bewilligung zur entgeltlichen Durchführung von Untersuchungen und Erstattung von Gutachten im Sinne des LMG 1975 gemäß §50 Abs1 LMG 1975 greift in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers ein.

Die Verordnungsregelung besitzt den Inhalt, daß eine praktische Tätigkeit an privaten Untersuchungsanstalten und Forschungslaboratorien, die nicht in der Anlage 2 zu §3 der LebensmittelgutachterV aufgezählt sind, nicht als praktische Tätigkeit im Sinne des §3 Abs1 der LebensmittelgutachterV und damit auch nicht nach §47 Abs4 LMG 1975 anzusehen ist. Mit einer derartigen praktischen Tätigkeit außerhalb der in der Anlage 2 zu §3 Abs1 LebensmittelgutachterV aufgezählten privaten Untersuchungsanstalten und Forschungslaboratorien erfüllt sohin ein Bewilligungswerber nach §50 Abs1 LMG 1975 die Voraussetzungen nach §50 Abs2 LMG 1975 nicht.

Die Verweigerung einer Bewilligung nach §50 Abs1 LMG 1975 greift in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsfreiheit gemäß Art6 StGG ein, weil dadurch die entgeltliche Durchführung von Untersuchungen und die Erstattung von Gutachten im Sinne des LMG 1975 verwehrt wird.

Die Festsetzung von Bedingungen für die Ausübung eines Erwerbszweiges im Sinne des Art6 StGG muß ferner in Zusammenhalt mit der Berufswahl- und -ausbildungsfreiheit gemäß Art18 StGG verstanden werden.

Der Gesetzgeber darf auf Grund des Gesetzesvorbehaltes des Art6 StGG zweifelsohne Regelungen treffen, mit denen der Erwerbsantritt von der Absolvierung bestimmter Berufsausbildungsgänge abhängig gemacht wird, die (für die gehörige Ausübung und damit für den Antritt eines Erwerbszweiges) im öffentlichen Interesse gelegen, zu dessen Verwirklichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind. Er ist jedoch kraft Art18 StGG verhalten, dabei die Absolvierung ihrer Art nach gleichwertiger Ausbildungsgänge als Erwerbsantrittsvoraussetzungen nicht schlechthin auszuschließen.

Verfassungswidrig wäre - weil sie Art6 in Verbindung mit Art18 StGG zuwiderlaufen würde - sohin eine rechtliche Regelung, welche Ausbildungsmöglichkeiten ausschließt, die in gleicher Weise wie die zur gesetzlichen Bedingung eines Erwerbsantrittes gemachte Ausbildung das Ausbildungsziel verwirklichen lassen.

Es bedarf keiner besonderen Begründung, daß eine sosehr im öffentlichen Interesse gelegene Tätigkeit wie die eines Lebensmittelgutachters vom Gesetzgeber an strenge Voraussetzungen sowohl hinsichtlich der wissenschaftlichen Berufsvorbildung als auch der praktischen Ausbildung gebunden wird. Zur Erreichung dieses Zieles ist auch die Vorschreibung einer bis zu fünfjährigen praktischen Tätigkeit auf dem Gebiete der Untersuchung von dem LMG 1975 unterliegenden Waren in dafür geeigneten Instituten der wissenschaftlichen Hochschulen, in staatlichen und privaten Untersuchungsanstalten oder Forschungslaboratorien geeignet, adäquat und von der Sache her gerechtfertigt.

Die verfassungsgesetzlich gewährleistete Berufsausbildungsfreiheit wird im Hinblick auf die Erteilung der Bewilligung zum Lebensmittelgutachter nur dann gewahrt, wenn das an sich sachlich gerechtfertigte Berufsausbildungserfordernis einer praktischen Untersuchungstätigkeit gemäß §47 Abs4 LMG 1975 an allen dafür geeigneten Instituten der wissenschaftlichen Hochschulen, staatlichen und privaten Untersuchungsanstalten oder Forschungslaboratorien absolviert werden kann. §47 Abs4 LMG 1975 ist sohin - im Lichte der Art6 und Art18 StGG gedeutet - dahin zu verstehen, daß eine praktische Tätigkeit "in dafür geeigneten Instituten ..., staatlichen und privaten Untersuchungsanstalten oder Forschungslaboratorien" als Zulassungsvoraussetzung (in einer, mit Art6 StGG prinzipiell konformen, weil im öffentlichen Interesse erforderlichen Art und Weise) an jeder derartigen Einrichtung absolviert werden kann, an der Untersuchungen stattfinden, die im Hinblick auf das österreichische Lebensmittelrecht notwendig sind.

Eine "Auswahl", wie sie der Verordnungsgeber unter der (gemäß dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung anzunehmenden) Vielzahl privater Untersuchungsanstalten oder Forschungslaboratorien in §3 Abs1 LebensmittelgutachterV in Verbindung mit der Z3 der Anlage 2 traf, ist sohin mit dem - verfassungskonform verstandenen - §47 Abs4 LMG 1975 unvereinbar. Angesichts der in Betracht kommenden Vielzahl derartiger, für eine Ausbildung geeigneter privater Anstalten oder Laboratorien wird sich deren taxative Aufzählung im Verordnungsweg regelmäßig als gesetzwidrig erweisen, mag auch eine demonstrative Bezeichnung geeigneter privater Einrichtungen in der Verordnung gemäß §47 Abs2 LMG 1975 unbedenklich sein.

Dem können weder die praktischen Schwierigkeiten, die Qualität der Ausbildung an "irgendwelchen" privaten Untersuchungsanstalten und Laboratorien behördlich zu überprüfen, noch der begrenzte Tätigkeitsbereich derartiger - allenfalls ausländischer - Forschungslaboratorien entgegengehalten werden.

(Anlaßfall: B1584/89, E v 14.12.90 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides)

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Lebensmittelrecht, Erwerbsausübungsfreiheit, Berufswahl- und Berufsausbildungsfreiheit, öffentliches Interesse, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V212.1990

Dokumentnummer

JFR_10098788_90V00212_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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