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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt in Folge wiederholter unsubstanziierter Pauschalablehnung von Richtern wegen Befangenheit und des impliziten Vorwurfs einer strafbaren Handlung; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit und des Grundsatzes der WaffengleichheitSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien wurde er schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben, weil er:
"a) zu D 185/00 im Verfahren zu [...] des Bezirksgerichtes Feldkirch der klagenden Partei [Ha. P.] gegen die beklagte Partei [He. P] als Vertreter der beklagten Partei mit Schriftsatz vom 6. Juni 2000 (ON 3) unsubstantiiert sämtlichen Richtern des Bezirksgerichtes und des Landesgerichtes Feldkirch vorgeworfen [hat], mit den Klagevertretern freundschaftlichen Kontakt zu unterhalten, und hieraus zusätzlich abgeleitet, daß die Klagevertreter deswegen Insiderinformationen hätten;
b) zu D 23/01 trotz der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. September 2000, [...], die seine wiederkehrende Pauschalablehnung sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichtes Feldkirch als 'offenbar rechtsmißbräuchlich' qualifizierte, mit dem Rekurs vom 27. Dezember 2000 an das Oberlandesgericht Innsbruck (gegen den Beschluß des LG Feldkirch vom 13. November 2000, [...] einen neuerlichen Ablehnungsantrag gegen sämtliche Richterinnen und Richter des Landesgerichtes Feldkirch verbunden [hat], wobei er hierin im wesentlichen die bereits vom Obersten Gerichtshof zuvor als rechtsmißbräuchlich qualifizierten Argumente wiederholte".
Diesem Schuldspruch liegt - den Feststellungen der Disziplinarbehörden zufolge - folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beschwerdeführer habe seine Schwester in zahlreichen Zivilprozessen gegen ihren geschiedenen Ehemann vertreten. Mehrere dieser Verfahren seien vor Dr. F. S. als zuständigem Richter des Bezirksgerichtes Feldkirch geführt worden. In mindestens sieben Verfahren habe der Beschwerdeführer seit 1995 entweder sämtliche Richter des Bezirksgerichtes Feldkirch oder sämtliche Richter aller Bezirksgerichte im Land Vorarlberg abgelehnt. In zwei Fällen (als Dr. F. S. als Zeuge zu vernehmen gewesen wäre) hätten sich auch Richter für befangen erklärt und habe das Landesgericht Feldkirch bestätigt, dass der Vorsteher des Bezirksgerichtes Bludenz beziehungsweise die Richterinnen und Richter des Bezirksgerichtes Feldkirch befangen seien. In allen anderen den Disziplinarbehörden vorliegenden Fällen sei die vom Beschwerdeführer behauptete Befangenheit in allen Instanzen verneint worden. Der Beschwerdeführer habe seine Anträge jeweils mit persönlichen Freundschaften zwischen diversen Richtern bzw. zwischen Richtern und Parteienvertretern begründet. Die jeweiligen Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers seien jedoch nicht über die Tatsache der gemeinsamen Pflege diverser gesellschaftlicher Kontakte bzw. der Teilnahme mehrerer Richter im gleichen Chor hinaus gegangen.
In einem Oppositionsverfahren vor dem Bezirksgericht Feldkirch habe der Beschwerdeführer schließlich in seinem Schriftsatz vom 6. Juni 2000 sämtliche Richter und Richterinnen des Bezirksgerichtes und des Landesgerichtes Feldkirch wegen Befangenheit abgelehnt und dazu ausgeführt:
"Letztlich dürfte nicht von der Hand zu weisen sein, dass die Kanzlei des nunmehrigen Klagevertreters zu einem Großteil der Richterinnen und Richter des Bezirksgerichtes sowie des Landesgerichtes Feldkirch nicht nur rein berufliche, sondern auch freundschaftliche Beziehungen unterhält. Der Klagevertreter hat daher auch Insiderinformationen, die der Beklagten nicht zugänglich sind".
Als Beweis für dieses Vorbringen habe der Beschwerdeführer ausschließlich die Beischaffung von insgesamt elf Gerichtsakten angeboten. Es finde sich kein Hinweis bzw. nähere Erläuterung, welcher Art bzw. Intensität und zwischen welchen handelnden Personen die vom Beschwerdeführer im Schriftsatz behaupteten freundschaftlichen Beziehungen sein sollen. Er habe die Vorwürfe auch in der Verhandlung vor dem Disziplinarrat und in der Verhandlung vor der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) nicht näher konkretisieren können, sondern behauptete lediglich, seine Ausführungen entsprächen seinen Beobachtungen sowie der allgemeinen Lebenserfahrung mit Richtern und Anwälten in Vorarlberg. In diesem Verfahren habe - betreffend die Ablehnung der Richter des Landesgerichtes Feldkirch - zunächst das Oberlandesgericht Innsbruck abschlägig entschieden. Der Beschwerdeführer habe dagegen Rekurs an den Obersten Gerichtshof (künftig: OGH) erhoben, dem dieser nicht Folge gegeben habe. Der OGH habe in seinem Beschluss vom 8. September 2000, 2 Ob 227/00x, ausgeführt:
"Im Rahmen unzulässiger Pauschalablehnungen offenbar rechtsmissbräuchlich ausgesprochene substanzlose Verdächtigungen und Beschuldigungen, die wegen ihres mangelnden Tatsachengehaltes nicht auf ihre abstrakte Berechtigung überprüft werden können, und die ihren Grund offenbar in der Missbilligung vorangegangener Entscheidungen haben, sind völlig unbeachtlich und stehen der Verhandlung und Entscheidung der nach der Zuständigkeitsordnung berufenen betroffenen Richter nicht hindernd entgegen.
Dies trifft im vorliegenden Fall insbesondere für die durch nichts bescheinigte Behauptung zu, der Klagevertreter habe aufgrund von angeblichen freundschaftlichen Beziehungen zu einem Großteil der Richter des Landesgerichtes Feldkirch Insiderinformationen, die der Beklagten nicht zugänglich seien. Auch die geäußerte Befürchtung, der von der Beklagten als Zeuge geführte Vorsteher des Bezirksgerichtes Feldkirch unterhalte zu den Richtern des Landesgerichtes Feldkirch seit vielen Jahren freundschaftliche Beziehungen, beruht auf unbewiesenen Mutmaßungen. Mit einer im Jahr 1996 ausgesprochenen Befangenheit der Richter des Bezirksgerichtes Feldkirch hat die nunmehr (auch) behauptete Befangenheit der Richter des Landesgerichtes Feldkirch nichts zu tun."
Im nachfolgenden Verfahren habe der Beschwerdeführer am 20. Dezember 2000 gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Feldkirch Rekurs erhoben, den er mit einem (neuerlichen) Ablehnungsantrag gegen sämtliche Richter des Landesgerichtes Feldkirch wegen Befangenheit verband und in welchem er - ungeachtet der Ausführungen des OGH - die seinerzeitigen, von diesem bereits als "offenbar rechtsmissbräuchlich" qualifizierten Argumente wiederholt habe.
Der Disziplinarrat qualifizierte den festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht wie folgt:
"Das Vorgehen des [Beschwerdeführers] ist ... hinsichtlich der vielfachen Ablehnungsanträge zwischen 1995 und 2000 im Rahmen des §9 RAO geblieben, wonach ein Rechtsanwalt die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten hat und befugt ist, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.
Der [Beschwerdeführer] hat jedoch über die objektive Möglichkeit, Ablehnungsanträge zu stellen, erstmals im Schriftsatz vom 06.06.2000 ... auch eine durch nichts bescheinigte bzw. konkretisierte weitere Behauptung aufgestellt, nämlich, dass der dortige Klagevertreter mit nahezu sämtlichen Richtern sowohl des Bezirksgerichtes als auch des Landesgerichtes Feldkirch freundschaftliche Beziehungen unterhalte, und konkret daraus abgeleitet, dass dadurch dem Klagevertreter Insiderinformationen zugänglich seien. Dies birgt zumindest indirekt auch den Vorwurf einer strafbaren Handlung (Amtsmissbrauch etc.) in sich, der vom [Beschwerdeführer] - auch in seiner Vernehmung anlässlich der Disziplinarverhandlung - durch nichts konkretisiert werden konnte, und geht somit über den zulässigen zuvor zitierten Rahmen des §9 RAO hinaus. Der Oberste Gerichtshof qualifizierte schließlich die unsubstantiierte Ablehnung sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichtes Feldkirch durch den [Beschwerdeführer] am 08.09.2000 zu 2 Ob 227/00x mit den im Sachverhalt wörtlich zitierten Argumenten als 'offenbar rechtsmissbräuchlich'. Ab diesem Zeitpunkt waren daher auch weitere derartige unsubstantiierte Ablehnungsanträge, wie der [Beschwerdeführer] am 20.12.2000 im Zuge seines 22 Seiten langen Rekurses einen neuerlichen einbrachte, als offensichtlich rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren und ebenfalls vom Rahmen des §9 RAO nicht mehr gedeckt. Der [Beschwerdeführer] hat daher sowohl mit seiner unkonkretisierten Behauptung, dem Klagevertreter stünden aufgrund freundschaftlicher Beziehungen zu Richtern Insiderinformationen zu, als auch mit der schablonenhaften Wiederholung von Ablehnungsanträgen nach deren Qualifizierung als 'offenbar rechtsmissbräuchlich' durch den Obersten Gerichtshof disziplinär gehandelt und sowohl das Disziplinarvergehen der Berufspflichtverletzung durch Überschreitung des durch §9 RAO sowie §2 RL-BA vorgegebenen Rahmens als auch der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen ...".
2. Seiner gegen das Disziplinarerkenntnis erhobenen Berufung gab die OBDK mit der Maßgabe keine Folge, dass die Formulierung des Punktes I b des Schuldspruches modifiziert wurde.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
4. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer wurde wegen des Inhalts von zwei in einem Zivilverfahren von ihm als Parteienvertreter gestellten Anträgen bzw. aufgrund des darin enthaltenen Vorbringens bestraft. Der angefochtene Bescheid greift daher in sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung ein.
Nach Art10 Abs2 EMRK ist eine Beschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung nur zulässig, wenn sie aus den dort angeführten Gründen erfolgt (VfSlg. 10700/1985, 13612/1993). Danach sind solche Beschränkungen zulässig,
"wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten".
In der Rechtsprechung des EGMR wird hervorgehoben, dass die Bestrafung eines Rechtsanwalts für Äußerungen im Rahmen der prozessualen Vertretung seines Mandanten auch im Lichte der dem Mandanten gemäß Art6 EMRK garantierten Rechte auf ein faires Verfahren von Bedeutung sein kann, zumal der Begriff eines fairen Verfahrens einen freien, energischen Meinungsaustausch zwischen den Parteien verlangt. Der EGMR hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Meinungsfreiheit des Rechtsanwalts nicht unbegrenzt ist (vgl. EGMR 21.3.2002, Nikula gg. Finnland, Beschwerde Nr. 31611/96, Rz. 49 und 54). Dabei kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, ob sich die Äußerung im Rechtsstreit gegen den Prozessgegner gerichtet hat oder ob damit der Richter oder das Gericht als solches angegriffen wurden (vgl. aaO, bei Rz. 50).
1.2. Der angefochtene Bescheid stützt sich darauf, dass der Beschwerdeführer seine Behauptungen betreffend sämtliche Richter des Bezirksgerichtes und des Landesgerichtes Feldkirch nicht näher konkretisieren konnte, dass er Behauptungen in seinen Ablehnungsanträgen wiederholte, obwohl diese mehrfach als unberechtigt qualifiziert wurden, sowie dass den beteiligten Richtern durch die Behauptung, der Parteienvertreter des Prozessgegners verfüge wegen seiner Freundschaften zu den Richtern über "Insiderinformationen", implizit der Vorwurf einer strafbaren Handlung gemacht wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde daher eine Strafe für die mutwillige Wiederholung von bereits zuvor als substanzlos erkannten Behauptungen ausgesprochen, die insofern sowohl der Funktionsfähigkeit als auch dem "Ansehen der Rechtsprechung" (Art10 Abs2 EMRK) dient. Der belangten Behörde kann nicht vorgeworfen werden, dass sie dem Gesetz dabei einen verfassungswidrigen (weil Art10 EMRK missachtenden) Inhalt unterstellt hat.
2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, der Verfahrensmängel sowohl unter dem Titel des Art6 EMRK als auch unter dem Titel des Gleichheitssatzes behauptet, sind der belangte Behörde auch sonst keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler unterlaufen:
Das Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht (wie der Beschwerdeführer meint) die Entscheidung über "civil rights", sondern über eine "strafrechtliche Anklage" zum Gegenstand. Eine Verletzung der Verfahrensgarantien des Art6 EMRK vermag das Beschwerdevorbringen nicht darzutun.
2.1. Eine Verletzung von Art6 EMRK erblickt der Beschwerdeführer darin, dass es die Disziplinarbehörden trotz seiner Anträge unterlassen haben, die Akten über jene Gerichtsverfahren einzuholen, die den Anlass für die Anschuldigungen gegeben haben. Dadurch sei der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt worden. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, dass jedenfalls die inkriminierten Schriftsätze des Beschwerdeführers Gegenstand des Beweisverfahrens waren und anderseits, dass die Verurteilung deswegen erfolgt ist, weil der Beschwerdeführer die Befangenheit der abgelehnten Richter in seinen Ablehnungsanträgen nicht (hinreichend) substantiiert habe. Die Disziplinarbehörden sind - angesichts des Umstands, dass der Beschwerdeführer die Behauptung der Befangenheit aller Richter des Bezirksgerichtes und des Landesgerichtes Feldkirch auch im Disziplinarverfahren nicht näher konkretisieren konnte - davon ausgegangen, dass die von ihm beantragte Einsichtnahme in die Gerichtsakten (zum Beweis für Verfahrensfehler bestimmter, einzelner Richter) unerheblich ist. Dabei ist ihnen kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen: Der Beschwerdeführer hat nie behauptet, dass an den betreffenden Gerichtsverfahren sämtliche abgelehnten Richter involviert waren. Es ist nicht unvertretbar, die allgemein gehaltene Behauptung von freundschaftlichen Kontakten zwischen sämtlichen Richtern des Bezirksgerichtes und des Landesgerichtes Feldkirch untereinander einerseits und zwischen sämtlichen dieser Richter und einer bestimmten Rechtsanwaltskanzlei anderseits als "unsubstantiiert" zu werten. Vertretbar ist auch die Einschätzung der Disziplinarbehörden, dass allfällige Verfahrensmängel im Ablehnungsverfahren (etwa das Unterbleiben eines Verbesserungsauftrags) keine Auswirkung darauf haben, ob die inkriminierten Anträge des Beschwerdeführers - mangels Konkretisierung - als mutwillig oder "rechtsmissbräuchlich" anzusehen waren.
2.2. Als Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit bezeichnet der Beschwerdeführer den Umstand, dass die OBDK ihm im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung eine Reihe von Beschlüssen des OGH vorgehalten habe, ohne dass er sich ausreichend vorbereiten habe können. Ein Verstoß gegen die Waffengleichheit zwischen dem Beschuldigten [nun: Beschwerdeführer] und der Anklageseite ist schon deshalb nicht gegeben, weil die OBDK weder die Anklageseite noch den Beschwerdeführer bei der Erörterung der Judikatur des OGH benachteiligt hat. Im behaupteten Fehlen von ausreichender Zeit zur Vorbereitung kann der Verfassungsgerichtshof keine Verletzung der Verteidigungsrechte erkennen, weil es sich bei sämtlichen der in der Verhandlung der OBDK verlesenen OGH-Beschlüsse um Entscheidungen über Rechtsmittel handelt, die der Beschwerdeführer als Parteienvertreter eingebracht hatte. Da ihm die Beschlüsse somit ohnehin bekannt waren, hatte er "ausreichende [...] Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung" im Sinne des Art6 Abs3 litb EMRK.
3. Inwiefern eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) stattgefunden haben soll, ist unerfindlich. Das auf behauptete Verfahrensfehler bzw. auf die Behauptung einer inhaltlich unrichtigen Entscheidung gestützte Vorbringen verkennt die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu diesem Recht völlig.
4. Auch die behauptete Verletzung von Art7 EMRK hat nicht stattgefunden, weil die OBDK sich nicht darauf beschränkt hat, die Verurteilung auf §1 DSt 1990 zu stützen, sondern in vertretbarer Weise §9 RAO und §2 RL-BA herangezogen hat. Angesichts dessen hat sich die belangte Behörde jedenfalls im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Deutung dieser Rechtsvorschriften für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich dass er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt (vgl. Thienel, Art7 EMRK, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz. 17 [1999]).
5. Der Beschwerdeführer wurde daher weder in dem gemäß Art10 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, noch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz oder in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
6. Ob die belangte Behörde das Gesetz hingegen in jeder Hinsicht richtig angewendet hat, ist vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Beschwerde gemäß Art144 B-VG nicht zu beurteilen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10659/1985, 12915/1991, 14408/1996).
7. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
8. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsanwälte, DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B622.2004Dokumentnummer
JFT_09959072_04B00622_00