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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Gleichheitswidrigkeit von Teilen des §5 Abs4a StVO 1960 und §5 Abs4b StVO 1960 idF BGBl 105/1986; keine Unsachlichkeit hinsichtlich der verschiedenen Methoden zur Untersuchung des Alkoholgehalts der Atemluft; Vorrang der Blutalkoholbestimmung als Beweismittel zur Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung; Verschlechterung der Beweislage von Personen, bei denen mittels Alkoholmeßgerät ein Alkoholgehalt der Atemluft über 0,5 mg/l festgestellt wird, wegen des Ausschlusses der Mitwirkung der Organe der Straßenaufsicht von der Blutabnahme; Durchbrechung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung; Verletzung des Grundsatzes auf ein faires Verfahren; keine Fristsetzung für das Außerkrafttreten im Hinblick auf die Vertragstreue zur MRK; Ausdehnung der AnlaßfallwirkungRechtssatz
Der zweite Satz des Abs4a sowie die Wortfolge "von 0,4 bis 0,5 mg/l" in Abs4b des §5 StVO 1960 idF BGBl 105/1986 werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Da sich die verfassungsrechtlichen Bedenken lediglich auf den zweiten Satz des Abs4a sowie auf die Wortfolge "von 0,4 bis 0,5 mg/l" im Abs4b des §5 StVO 1960 beziehen, waren insoweit die Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Abs4a und Abs4b des §5 StVO 1960 zulässig. Im übrigen waren die von Amts wegen eingeleiteten Verfahren einzustellen bzw. der Antrag des Verwaltungsgerichtshofs zurückzuweisen.
Keine unsachliche Begünstigung jener Personen, deren Atemluft mittels Atemalkoholmeßgerät untersucht wurde, gegenüber Personen, deren Atemluft auf andere Weise untersucht wurde. Wenn mittels "Röhrchentest" untersuchte Personen bei negativem Testergebnis ebensowenig verpflichtet sind, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen wie Personen, deren Atemluft durch Atemalkoholmeßgeräte untersucht wurde, so fehlt es an einer Bevorzugung dieser Personengruppe. Insofern verletzt §5 Abs4a StVO 1960 den Gleichheitssatz nicht.
Der Gesetzgeber selbst hat der Blutalkoholbestimmung den Vorrang bei der behördlichen Feststellung einer Alkoholisierung eingeräumt, weil nämlich das Ergebnis der Atemluftkontrolle nur unter der Voraussetzung als Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung gilt, daß eine Bestimmung des Blutalkoholgehaltes nicht etwas anderes ergeben hat. Damit hat er in sachlich einsichtiger Weise der Blutalkoholbestimmung den Rang des maßgeblichen Beweismittels zum Nachweis der vorhandenen oder fehlenden Alkoholisierung eines Fahrzeuglenkers eingeräumt. Dies ist plausibel, weil vom Blutalkoholgehalt die Beeinflußung des zentralen Nervensystems abhängt.
Vom Vorrang der Blutalkoholbestimmung als Beweismittel geht sogar der Verfassungsgesetzgeber in §5 Abs6 StVO 1960 aus. Nur die Blutuntersuchung entspricht den Anforderungen, die an ein forensisch brauchbares Beweismittel zu stellen sind.
Anders als bei einem zB. mittels "Röhrchentest" Untersuchten wird bei dem mittels eines Atemalkoholmeßgerätes Untersuchten ab einem Untersuchungsergebnis von 0,5 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft die behördliche Mitwirkung zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes durch Vorführung vor einen Amtsarzt verwehrt. Dagegen verhilft es nichts, daß sich ein derart Untersuchter um eine Blutabnahme bemühen kann, weil die praktischen Schwierigkeiten, eine derartige Untersuchung zu erwirken, diese Möglichkeit als keinen gleichwertigen Ersatz für die von Organen der Straßenaufsicht durch Vorführung veranlaßte Blutabnahme erscheinen lassen.
Wenn Zweifel am Beweismittel der Atemalkoholmessung durch eine Blutalkoholbestimmung beseitigt werden können, ist es sachlich nicht einsehbar, warum die - in vielen Fällen notwendige - Mitwirkung der Organe der Straßenaufsicht an der Blutabnahme zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung nur im Grenzbereich einer Atemalkoholfeststellung zwischen 0,4 und 0,5 mg/l zulässig bzw. geboten sein soll.
Der letzte Satz des Abs4a und die Worte "von 0,4 bis 0,5 mg/l" im Abs4b des §5 StVO 1960 sind sohin wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben, weil sie in sachlich nicht gerechtfertigter Weise die Beweislage von Personen verschlechtern, bei denen mit Hilfe von Atemluftalkoholmeßgeräten ein Alkoholgehalt der Atemluft von über 0,5 mg/l festgestellt wurde.
Wenn die Behörde bei Untersuchung der Atemluft mittels Atemalkoholmeßgerät verpflichtet ist, das Ergebnis "als Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung" gelten zu lassen und gehindert ist, bei Feststellung eines Alkoholgehaltes der Atemluft über 0,5 mg/l an einer - vom Untersuchten begehrten - Blutabnahme mitzuwirken, so dürfte sie durch diese - den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß §45 Abs2 AVG (der gemäß §24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist) durchbrechende - Beweisregel gehindert sein, den Anforderungen eines fairen Verfahrens zu genügen. Der mittels eines Atemalkoholmeßgerätes Untersuchte und wegen des Lenkens oder der Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand Beschuldigte wird es trotz seines Verlangens nach Blutabnahme wegen des durch §5 Abs4a und §5 Abs4b StVO 1960 bewirkten Ausschlusses einer Mitwirkung der Organe der Straßenaufsicht von der Blutabnahme in vielen Fällen nicht in der Hand haben, einer Atemalkoholmessung ein möglicherweise widersprechendes Beweismittel entgegenzuhalten.
Die aufgehobenen Bestimmungen in §5 Abs4a und §5 Abs4b StVO 1960 widerstreiten auch dem verfassungsrechtlichen Grundsatz eines fairen Verfahrens nach Art6 Abs1 MRK.
Eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen wird nicht bestimmt, weil die in der Verletzung des Art6 Abs1 MRK gelegene Verfassungswidrigkeit schon aus Gründen der Vertragstreue möglichst rasch beseitigt werden soll (VfSlg. 11591/1987; 11646/1988). Demgegenüber fällt die etwaige Absicht, sowohl "administrative als auch legistische Vorkehrungen zu treffen", nicht ins Gewicht, zumal der Einsatz der Atemalkoholmeßgeräte durch die Aufhebung des letzten Satzes des Abs4a und der Wortfolge "von 0,4 bis 0,5 mg/l im Abs4b des §5 StVO 1960 in keiner Weise eingeschränkt oder behindert wird.
Die Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf alle zum Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefälle erschien dem Verfassungsgerichtshof mit Rücksicht darauf als zweckmäßig, daß bei einer Mehrzahl dieser Fälle aus verfahrensrechtlichen Gründen (noch) kein Prüfungsantrag gestellt werden konnte.
Eine ausdrückliche Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf die zum Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Beschwerdesachen ist im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entbehrlich, derzufolge dem Anlaßfall (im engeren Sinn) jene Fälle gleichzuhalten sind, die im Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit einer präjudiziellen Gesetzesstelle bereits beim Verfassungsgerichtshof anhängig sind (vgl. zB VfSlg. 10616/1985, 11191/1986).
(Anlaßfälle: B1155/89, B1402/89, B1422/89, B1538/89, B1583/89, B182/90, B333/90, B358/90, B518/90, B585/90, B1335/90, B1341/90, B1364/90, alle E v 08.03.91 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Fristsetzung, Straßenpolizei, Alkoholisierung, Atemluftprobe, Blutalkoholgehalt, Blutabnahme, Beweiswürdigung, VfGH / Anlaßfall, fair trial, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G274.1990Dokumentnummer
JFR_10089699_90G00274_01