TE Vfgh Beschluss 2004/9/28 B1277/02

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2004
beobachten
merken

Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art140 Abs7
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
VfGG §88

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Der am 7. Oktober 2001 stattgefundenen Wahl zum Gemeinderat der Landeshauptstadt St. Pölten lag ua. ein von der (Gemeinderats-)Wahlpartei "Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)" eingebrachter Wahlvorschlag iSd. §29 Abs1 NÖ Gemeinderatswahlordnung (im Folgenden: GRWO) zu Grunde; als zustellungsbevollmächtigter Vertreter der FPÖ wurde in diesem Wahlvorschlag gemäß Abs2 litd leg. cit. Hermann Nonner, als dessen Stellvertreter Peter Sommerauer, benannt.

Laut Kundmachung der Stadtwahlbehörde der Landeshauptstadt St. Pölten vom 8. Oktober 2001 entfielen bei dieser Wahl auf die genannte Wahlpartei drei Mandate.

1.2. Am 10. Oktober 2001 langte beim Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten ein Schreiben der "Landesgeschäftsstelle Niederösterreich" der FPÖ ua. folgenden Inhalts ein:

"Betreff: Änderung der Zustellungsbevollmächtigung

Die Freiheitlichen Österreichs (FPÖ), Landesgruppe Niederösterreich, Unterwagramer Straße 1, 3108 St. Pölten, änder[n] die Zustellungsbevollmächtigung für die Stadtgemeinde St. Pölten auf die nachstehend angeführte Person:

Zustellungsbevollmächtigter: LAbg. GR Ludwig Buchinger..."

Das Schreiben war an die "Stadtgemeinde St. Pölten" adressiert und von "LAbg. Ludwig Buchinger" als "Landesgeschäftsführer" unterzeichnet.

1.3. Mit - an die Stadtwahlbehörde St. Pölten gerichteten - Schreiben vom 17. und vom 25. Oktober 2001 gab "Gemeinderat Hermann Nonner" als "Zustellungsbevollmächtigter" die Umbenennung der "zu den Gemeinderatswahlen in der Landeshauptstadt St. Pölten angetretene[n] Wahlpartei Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)" in "Liste 'pro St. Pölten' (LPS)" bzw. "Liste 'Für St. Pölten' (FS)" bekannt. Auf Grund eines für die Wählergruppe "Für St. Pölten" abgegebenen Wahlvorschlages vom 25. Oktober 2001 wurde Hermann Nonner am 29. Oktober 2001 vom Gemeinderat der Landeshauptstadt St. Pölten zum Mitglied des Stadtsenates gewählt.

1.4. Mit einer als "Aufsichtsbeschwerde" bezeichneten Eingabe an das Amt der NÖ Landesregierung vom 29. Jänner 2002 beantragte die "Wahlpartei 'Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)'", vertreten durch "LAbg. Ludwig Buchinger[,] Landesgeschäftsführer[,] als Zustellungsbevollmächtigter", die NÖ Landesregierung wolle

"a) im Rahmen eines aufsichtsbehördlichen Verfahrens die Rechtswidrigkeit des Wahlvorschlages für die Wahl des Stadtsenates von St. Pölten der fälschlich als Wahlpartei behandelten Gemeinderatsgruppe 'Für St. Pölten' (FS) und die Abstimmung darüber feststellen; und

b) durch Bescheid das rechtswidrigerweise gewählte Mitglied des Stadtsenates Hermann Nonner gem. §92 Abs3 NÖ STROG [Stadtrechtsorganisationsgesetz] seines Amts als Mitglied des Stadtsenates von St. Pölten verlustig erklären."

1.5. Mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 21. Juni 2002 wurden diese Anträge als unzulässig zurückgewiesen, weil zur Entscheidung über die Anfechtung von Wahlen des Stadtsenates gemäß §90 STROG allein die Stadtwahlbehörde zuständig sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf "Vertretung im Gemeindevorstand" sowie - der Sache nach - auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Überdies wird beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle

"aussprechen, daß die Wahl des GR Hermann Nonner zum Mitglied des Stadtsenates aufgrund eines Wahlvorschlages der Gemeinderatsgruppe 'Für St. Pölten (FS)' verfassungswidrig war."

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen der beschwerdeführenden Partei entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

4. Weiters erstattete die beschwerdeführende Partei im verfassungsgerichtlichen Verfahren eine Äußerung, in der ua. Folgendes ausgeführt wird:

"Gemäß §31 NÖ GRWO ist die Parteibezeichnung einer zur Gemeinderatswahl kandidierenden Wahlpartei dann unzulässig, wenn diese mit der Parteibezeichnung (Kurzbezeichnung) einer im Landtag vertretenen Partei ident oder schwer unterscheidbar ist und die im Landtag vertretene Partei (durch ihre Landesorganisation) der Verwendung dieser Parteibezeichnung nicht zugestimmt hat.

Daraus folgt aber, daß es der Landesorganisation einer im Landtag vertretenen Partei der eine Wahlpartei zuzurechnen ist, möglich sein muß, ursprünglich ihr zuzuordnende Kandidaten, die nach Annahme eines Gemeinderatsmandates aus der Wahlpartei ausscheiden und eine eigene Gruppe gründen, daran zu hindern, die der Wahlpartei eingeräumten Rechte wahrzunehmen.

Wie sich aus dem vom Verfassungsgerichtshof zu B1399/02 eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren ergibt, ist auch der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, daß die Bestimmungen des §30 Abs3 und 4 GRWO dem aus Art18 B-VG abzuleitenden Determinierungsgebot nicht entsprechen.

Im Lichte des §31 NÖ GRWO können die Bestimmungen des §30 Abs3 und 4 NÖ GRWO nur so verstanden werden, daß der Erklärung der Landesorganisation über die Zustellungsbevollmächtigung jedenfalls mehr Bedeutung zukommt als den Erklärungen der wahlwerbenden Gruppe selbst.

Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, daß zustellungsbevollmächtiger Vertreter der Wahlpartei 'FPÖ' ab 10.10.2001 der damalige Landesgeschäftsführer, LAbg. GR Ludwig Buchinger, war."

II. Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Die vorliegende Beschwerde wird von der (Gemeinderats-)"Wahlpartei 'Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)'" vertreten durch "LAbg. Ludwig Buchinger, Landesgeschäftsführer, als zustellungsbevollmächtigte[m] Vertreter" erhoben. Die Vertretungsbefugnis des Genannten stützt sich der Sache nach auf den "Austausch" des Zustellungsbevollmächtigten der in Rede stehenden (Gemeinderats-)Wahlpartei durch die hiefür in Betracht kommende Landesorganisation der im Landtag vertretenen politischen Partei, der der (Gemeinderats-)Wahlvorschlag zugerechnet werden kann. (s. dazu oben Pkt. I.1.2.).

§30 Abs4 GRWO ermächtigt nämlich die Landesorganisation einer im Landtag vertretenen politischen Partei, den zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer (Gemeinderats-)Wahlpartei auszutauschen, sofern deren Wahlvorschlag der politischen Partei zugerechnet werden kann.

2.1. Nun wurde aber §30 Abs4 GRWO, in der auch hier maßgeblichen Fassung LGBl. 0350-3, in einem - aus Anlass einer zu B1399/02 protokollierten Beschwerde - von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. Februar 2004, G48/03, als verfassungswidrig aufgehoben.

2.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zu Grunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im oben genannten Gesetzesprüfungsverfahren begann am 26. Februar 2004. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 12. August 2002 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zu Grunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat daher die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde anhand der durch das Erkenntnis G48/03 bereinigten Rechtslage zu beurteilen:

Dabei erweist sich die Beschwerde als unzulässig, weil es dem Vertreter der einschreitenden (Gemeinderats-)Wahlpartei nach Aufhebung der seiner Vertretungsbefugnis zu Grunde liegenden Bestimmung des §30 Abs4 GRWO an der Legitimation zur Erhebung einer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde namens der (Gemeinderats-)Wahlpartei "Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)" an den Verfassungsgerichtshof mangelt (vgl. zB VfSlg. 12.070/1989, 13.437/1993; VfGH 21.6.2004 B481/03).

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

3. Im Hinblick auf dieses Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf den nur für "den Fall der Ablehnung der Behandlung der gegenständlichen Beschwerde" gestellten Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. (Im Übrigen kommt eine Abtretung im Fall der Zurückweisung der Beschwerde nicht in Betracht [vgl. zB VfSlg. 13.390/1993]).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, VfGH / Kosten, , VfGH / Legitimation, VfGH / Anlaßverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1277.2002

Dokumentnummer

JFT_09959072_02B01277_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten