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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Aufhebung einiger Bestimmungen in den MarktordnungsG-Nov 1985, 1986, 1987 und 1988 betreffend das Institut der Einzelrichtmenge; Präjudizialität sämtlicher Bestimmungen der betreffenden Novellen über die Höhe der Einzelrichtmenge; Verstoß der Einzelrichtmengenregelung gegen das Recht auf Gleichheit sowie gegen die ErwerbsausübungsfreiheitRechtssatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einiger Bestimmungen in ArtII, ArtIII und ArtIV, sowie die Aufhebung einiger Bestimmungen in ArtIII des BundesG vom 28.06.85 als verfassungswidrig, mit dem das MOG geändert wird (MarktordnungsG-Nov 1985), BGBl. Nr. 291/1985.
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einiger Bestimmungen in ArtII, ArtIII, ArtV und ArtVI, sowie die Aufhebung einiger Bestimmungen in ArtIII, ArtVI und ArtVIII jeweils des Abschnittes I des BundesG vom 20.03.86 als verfassungswidrig, mit dem das MOG geändert wird (MarktordnungsG-Nov 1986), und des BundesfinanzG 1986, BGBl. Nr. 183/1986.
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einiger Bestimmungen in ArtII, soweit dieser sich auf §73 Abs7 bezieht, sowie die Aufhebung einiger Bestimmungen in ArtIII (mit Ausnahme der Verfassungsbestimmung), ArtIV (mit Ausnahme der Verfassungsbestimmung), ArtV des BundesG vom 27.03.87 als verfassungswidrig, mit dem das MOG 1985 geändert wird (MarktordnungsG-Nov 1987), BGBl. Nr. 138/1987.
Aufhebung einiger Bestimmungen in ArtII sowie ArtV des BundesG vom 09.06.88, mit dem das MOG 1985 geändert wird (MarktordnungsG-Nov 1988), BGBl. Nr. 330/1988, als verfassungswidrig.
Alle Bestimmungen der in Prüfung gezogenen MarktordnungsG-Nov, die unter dem Unterabschnitt "D. Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft" stehen, stehen nicht in einem untrennbaren Zusammenhang.
Zwar trifft es zu, daß alle diese Bestimmungen nicht mehr sinnvoll anwendbar sind, sobald die Regelungen über das Institut der Einzelrichtmenge fehlen. Daß gesetzliche Bestimmungen durch die Aufhebung anderer Bestimmungen unanwendbar werden, führt für sich allein aber noch nicht dazu, daß diese Bestimmungen miteinander in untrennbarem Zusammenhang stehen (vgl. VfSlg. 11591/1987). Die Bestimmungen der MarktordnungsG-Nov über die Höhe der Einzelrichtmenge und ihre Veränderung lassen sich von den übrigen Bestimmungen über die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft trennen.
Es sind jedenfalls jene Bestimmungen über die Einzelrichtmenge präjudiziell, die von der jeweils belangten Behörde bei Erlassung des vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheides anzuwenden waren oder vom Verfassungsgerichtshof bei Prüfung der angefochtenen Bescheide anzuwenden sind. Dies gilt auch für alle jene Bestimmungen über die Einzelrichtmenge, bei denen die jeweils belangte Behörde bei ihrer Entscheidung letztlich zu dem Ergebnis gelangte, daß der betreffende Sachverhalt nicht unter sie zu subsumieren sei.
Daraus folgt, daß stets dann, wenn irgendeine der Bestimmungen über die Höhe der Einzelrichtmenge in der Fassung einer bestimmten Novelle in einem Beschwerdefall zur Anwendung kam, sämtliche Bestimmungen in der Fassung der betreffenden Novelle präjudiziell sind, im Ergebnis daher alle Bestimmungen der betreffenden Novelle über die Höhe der Einzelrichtmenge.
Durch die Regelung der Einzelrichtmenge und das damit verbundene System der Verpflichtung zur Entrichtung von allgemeinen und zusätzlichen Absatzförderungsbeiträgen wird im Ergebnis über die Bestimmung des Erlöses die Menge der in jedem einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb erzeugten Milch gesteuert. Es handelt sich daher hiebei - ungeachtet der Tatsache, daß an ein Beitragssystem angeknüpft wird, infolge ihres das Verhalten des einzelnen Marktteilnehmers straff steuernden wirtschaftlichen Effekts - um eine Lenkungsmaßnahme, die in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsfreiheit eingreift.
Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Einzelrichtmengenregelung ist davon auszugehen, daß die besonderen Verhältnisse im Bereich der Milchwirtschaft selbst verhältnismäßig weitgehende Eingriffe in die Erwerbsausübungsfreiheit der Milcherzeuger (aber auch der Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe) rechtfertigen (siehe E v 08.03.91, G147/90, G195/90, V213,214/90 mit weiterer Vorjudikatur).
Gesetze, die - wie das im Marktordnungsgesetz vorgesehene System der Einzelrichtmengenverteilung - lenken, wieviel der einzelne Landwirt zur gesamten Milchproduktion in Österreich beiträgt, sind an sich mit Art6 StGG vereinbar. Im Hinblick auf die seit längerer Zeit aufgetretene Überproduktion von Milch und Milchprodukten und die mit dieser Überproduktion verbundenen Gefahren für den Bestand einer bäuerlich strukturierten Landwirtschaft und einer gesicherten (das heißt auch autarken) Versorgung der Bevölkerung mit Milch und Erzeugnissen aus Milch liegen diese Regelungen im öffentlichen Interesse und sind im allgemeinen auch als zur Erreichung der angestrebten Ziele tauglich zu beurteilen.
Die Einzelrichtmengenregelung verstößt jedoch deswegen gegen Art6 StGG und Art7 Abs1 B-VG, weil sie im einzelnen so gestaltet ist, daß sie zu einer unverhältnismäßigen Aufteilung oder dazu führen kann, daß Milchproduzenten keine entsprechenden Mengenzuteilungen erhalten.
Durch den Wegfall der Neulieferantenregelung ab der MarktordnungsG-Nov 1985 war es generell nicht mehr möglich, dann, wenn einem Betrieb eine (auch gemessen an den Zielen des MOG zu geringe) Einzelrichtmenge zustand, eine höhere Einzelrichtmenge zu erwerben.
Zwar besteht kein Einwand dagegen, wenn der Gesetzgeber bei Einführung eines solchen Systems zur Produktionsbeschränkung grundsätzlich an die innerhalb eines bestimmten Bewertungszeitraumes produzierte Milchmenge anknüpft. Das System muß aber hiebei auch berücksichtigen, aus welchen Gründen möglicherweise innerhalb dieses Bewertungszeitraumes weit weniger Milch als nach den natürlichen Gegebenheiten auf dem Hof produziert wurde, und daß sich auch andere Ungleichgewichtigkeiten in der Verteilung schrittweise ausgleichen. Sobald der Gesetzgeber ein solches System, in dem (noch) nicht gewährleistet ist, daß jeder milcherzeugende Landwirt angemessen an der gesamten Milchproduktion in Österreich teilnehmen kann, gleichsam "einfriert" (wie das durch die MarktordnungsG-Nov 1985 geschah), greift er in die verfassungsrechtlich verbürgte Erwerbsfreiheit ebenso unsachlich ein, wie wenn er auf unverhältnismäßige und sachlich nicht gerechtfertigte Verschiebungen innerhalb der Produktionsmengen nicht innerhalb angemessener Frist reagieren würde.
(Anlaßfälle: B398/89, B404/89, B405/89, B842/89, B290/90, B565/90, B573/90, B842/90 und B1081/90 alle Ev 08.03.91, Aufhebung der angefochtenen Bescheide)
Entscheidungstexte
Schlagworte
Marktordnung, VfGH / Präjudizialität, Milchwirtschaft, Einzelrichtmenge (Marktordnung), ErwerbsausübungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G227.1990Dokumentnummer
JFR_10089692_90G00227_01