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L3 FinanzrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Gleichheitswidrigkeit des Ausschlusses des Anspruchs auf Berichtigung oder bescheidmäßige Festsetzung der als Selbstbemessungsabgabe eingehobenen Getränkesteuer bei Einbeziehung des Verpackungskostenanteils von Getränken in die Bemessungsgrundlage durch den Steuerpflichtigen; keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Steuerpflichtigen, die den Verpackungskostenanteil einbezogen und solchen, die dies unterließen, hinsichtlich der Rückforderung zu Unrecht entrichteter Steueranteile; kein Bruch des VertrauensschutzesRechtssatz
§11 Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973, LGBl. 3701-4, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
§11 Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 ist iSd Art140 Abs1 B-VG präjudiziell. Ein Antrag eines Abgabepflichtigen auf Rückerstattung einer im Wege der Selbstbemessung gemäß §153 Nö AbgabenO 1977 iVm §7 Abs2 Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 entrichteten Abgabe, sofern dieser Antrag nach Ablauf der dem Abgabepflichtigen gemäß §153 Abs2 Nö AbgabenO 1977 eingeräumten Berichtigungsfrist gestellt wird und - wie in den Anlaßverfahren - die Unrichtigkeit der Selbstbemessung dargetan wird, ist implizit als ein Begehren auf behördliche Festsetzung der Abgabe zu werten. Die Erledigung eines auf §153 Abs2 Nö AbgabenO 1977 abzielenden Rückerstattungsbegehrens verpflichtet die Behörde, die Richtigkeit der Selbstbemessung zu prüfen. Dies setzt voraus, daß die Abgabenbehörde nicht nur die Rechtsfrage der Abgabenschuldigkeit zu beantworten, sondern bei Beurteilung der Zulässigkeit einer Neufestsetzung die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden hatte. Eine derartige behördliche Festsetzung war aber schon aufgrund der Bestimmung des §11 Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 nicht möglich.
Bei der vom Verpackungskostenanteil von Getränken zu entrichtenden Abgabe handelt es sich um einen vom Landesgesetzgeber aufgrund des ihm von Verfassungs wegen eingeräumten Steuererfindungsrecht zu schaffenden Gemeindeabgabetatbestand (mit Vorjudikatur); von dieser Möglichkeit hat der Niederösterreichische Landesgesetzgeber mit der 3. Novelle zum Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 Gebrauch gemacht.
Wenn der Gesetzgeber - wie in §153 Abs1 Nö AbgabenO 1977 - vorsieht, daß bei Selbstbemessungsabgaben die Abgabe als durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt gilt, so muß er auch (wie in Abs2 leg.cit. festgelegt) für Erklärungen, die sachliche oder rechtliche Fehler enthalten, die Möglichkeit entsprechender Berichtigungen entweder durch den Abgabepflichtigen selbst oder durch behördliche Festsetzung vorsehen (vgl. VfSlg. 8726/1980). Gemäß dem Sachlichkeitsgebot müssen die für die Abgabenbemessung nach den materiell-rechtlichen Bestimmungen maßgeblichen Vorschriften auch zugunsten der Abgabepflichtigen angewendet werden (können).
Die Regelung des §11 Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 schließt nun einen solchen Anspruch auf Berichtigung oder bescheidmäßige Festsetzung, wie er in §153 Abs2 Nö AbgabenO 1977 allgemein für Selbstbemessungsabgaben vorgesehen ist, aus, sofern Steuerpflichtige den Verpackungskostenanteil von Getränken in die Bemessungsgrundlage für die Getränkesteuer einbezogen haben, obgleich Sachverhalte, die vor Inkrafttreten der 3. Novelle verwirklicht wurden, nicht steuerpflichtig waren.
Eine solche unterschiedliche Regelung für die Gruppe der Steuerpflichtigen, die vor der 3. Novelle das Entgelt für Gebinde und Verpackungsanteile in die Selbstbemessung einbezogen hatten, obwohl das Gesetz dies gar nicht verlangte, und der Gruppe der Steuerpflichtigen, die - der damaligen Gesetzeslage entsprechend - das Entgelt für Gebinde und Verpackungsanteile in die Bemessungsgrundlage nicht einbezogen, kann entgegen der Meinung der Niederösterreichischen Landesregierung nicht damit gerechtfertigt werden, daß Steuerpflichtige nach der gehandhabten Steuerpraxis mit einer Steuerfreiheit nicht rechnen konnten, sodaß sie durch einen rückwirkenden Gebrauch des Steuererfindungsrechtes im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage nicht enttäuscht werden konnten. Als reine Verfahrensnorm ist aber §11 Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 gleichheitswidrig, weil nur die Gruppe der Steuerpflichtigen nachteilig betroffen wird, die vor der 3. Novelle das Entgelt für Gebinde und Verpackungsanteile in Verkennung der Rechtslage in die Selbstbemessung einbezog. Die Einseitigkeit dieser Regelung läßt sich auch nicht damit rechtfertigen, daß die Steuerpflichtigen, die Getränkesteuer für Gebinde und Verpackungsanteile vor der 3. Novelle entrichteten, gemäß §5 letzter Satz Nö Getränke- und SpeiseeissteuerG 1973 berechtigt waren, die entrichtete Steuer auf den Verbraucher zu überwälzen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Getränkesteuer Niederösterreich, Finanzverfahren, Rückzahlung Finanzverfahren, Selbstbemessung (Finanzverfahren), Übergangsbestimmung, Abgabenerfindungsrecht der Gemeinden und Länder, VertrauensschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G323.1990Dokumentnummer
JFR_10089387_90G00323_01