RS Vfgh 1991/6/15 V603/90, V604/90, V22/91, V23/91, V24/91, V25/91, V26/91, V27/91, V28/91, V29/91,

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Veröffentlicht am 15.06.1991
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß-und Melderecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz litc
Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 11.02.90. Zahl 73.540/49-III/12/90
Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 22.07.88. Zahl 82.060/38-II/14/88
Österreichisch-türkisches Sichtvermerksabkommen, BGBl 194/1955
BGBlG 1985 §2 Abs1 litf
PaßG 1969 §25 Abs1 und Abs2

Leitsatz

Aufhebung zweier als Rechtsverordnungen zu qualifizierenden Erlässe des Bundesministers für Inneres betreffend die fremdenpolizeiliche Behandlung ausländischer Arbeitnehmer - insbesondere die Erteilung von Sichtvermerken für türkische Staatsangehörige - wegen mangelnder Kundmachung im Bundesgesetzblatt und Verstoß gegen das PaßG 1969

Rechtssatz

Die Erlässe des Bundesministers für Inneres vom 11.02.90, Zahl 73.540/49-III/12/90, und vom 22.07.88,

Zahl 82.060/38-II/14/88, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Für die Qualität als Verordnung ist nicht der formelle Adressatenkreis und die äußere Bezeichnung und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern nur der Inhalt des Verwaltungsaktes maßgebend.

Zumindest Teile der in Prüfung genommenen, insgesamt - jeweils in sich und miteinander - untrennbar verknüpften "Runderlässe" des Bundesministers für Inneres, die zunächst allein schon zufolge ihrer Versendung an Sicherheitsbehörden ein gewisses Maß an Publizität erlangten, haben - angesichts ihrer imperativ-generellen Fassung - verpflichtenden Charakter, und zwar sowohl für die formal angesprochenen Sicherheitsbehörden als auch für die betroffenen (türkischen) Sichtvermerkswerber selbst. Es handelt sich darum um Normen, die als "Verordnungen" iS des Art139 B-VG Bestandteil der Rechtsordnung wurden (vgl. zB VfSlg. 8649/1979, 10607/1985, 11467/1987).

Im verfassungsgerichtlichen Verfahren kommt es nicht darauf an, ob maßgebende Stellen der Ministerialerlässe im (Bescheid-)Spruch oder in der (Bescheid-)Begründung (richtig) angeführt wurden (VfSlg. 11272/1987); der Verfassungsgerichtshof muß vielmehr bei Überprüfung eines angefochtenen Administrativaktes alle derartigen Verordnungen heranziehen und damit "anwenden" (in der Bedeutung des Art139 Abs1 Satz 1 B-VG), gleichgültig, ob die belangte Behörde ihrer Verpflichtung, diese Normen im Administrativverfahren zu handhaben, überhaupt entsprochen hatte (vgl. VfSlg. 4571/1963, 5598/1967, 8647/1979).

Die Art und Weise der Kundmachung der als Rechtsverordnungen zu qualifizierenden Erlässe widerspricht dem Gebot des §2 Abs1 litf BGBlG 1985 (demzufolge Rechtsverordnungen der Bundesminister im Bundesgesetzblatt verlautbart werden müssen); sie sind deshalb allein schon aus diesem formellen Grund mit Gesetzwidrigkeit belastet und kraft Art139 Abs3 litc B-VG - als gesetzwidrig kundgemacht - zur Gänze aufzuheben.

Die in den Erlässen zT. zwingend angeordnete Abweisung der Sichtvermerksanträge findet im Gesetz (§25 PaßG 1969) und im österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommen, BGBl. 194/1955, keine Grundlage.

Den durch §25 Abs1 und Abs2 PaßG 1969 gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum beseitigt der Verordnungsgeber in Verletzung des Art18 Abs2 B-VG, wenn er die Behörden - dann, wenn ein Antragsteller vorbringt, er habe Aussicht auf eine Beschäftigungsbewilligung - zur Abweisung des Sichtvermerksantrags verpflichtet und damit gleichsam einen weiteren, die Rechtsstellung der Sichtvermerkswerber verschlechternden eigenständigen (zwingenden) Versagungsgrund schafft, der dem Gesetz zuwiderläuft (vgl. VfSlg. 6291/1970).

(Anlaßfälle B476/90, B484-486/90, B490,491/90, B666-669/90, alle E v 26.06.91, B481/90 E v 28.06.91, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Präjudizialität, Verordnung Kundmachung, Paßwesen, Fremdenpolizei, Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:V603.1990

Dokumentnummer

JFR_10089385_90V00603_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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