RS Vfgh 1991/9/30 B1361/90

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 30.09.1991
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
MRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
MRK Art10
DSt 1872 §2
RAO §9 Abs1
RL-BA 1977 §2
RL-BA 1977 §10

Leitsatz

Keine Willkür bzw. kein Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Verurteilung des beschwerdeführenden Rechtsanwaltes wegen unsachlicher und beleidigender Äußerungen; kein Recht auf behördliches Fehlverhalten durch behördliches Fehlverhalten in ähnlich gelagerten Fällen; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit durch die Verurteilung infolge des unbegründeten Verlassens einer mündlichen Streitverhandlung; keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die unterlassene Verständigung von der beabsichtigten Umbestellung eines Sachverständigen

Rechtssatz

Wenn die belangte Behörde §9 Abs1 RAO dahin versteht, daß einer Anspruchsdurchsetzung nicht dienliche beleidigende und unsachliche Äußerungen den Anordnungen dieser Gesetzesstelle widersprechen, wird damit dem Gesetz weder ein verfassungswidriger, gegen Art10 MRK verstoßender Inhalt unterstellt noch denkunmöglich vorgegangen. In dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung ist der Beschwerdeführer somit nicht verletzt.

Die Rechtmäßigkeit des Verhaltens einer Behörde kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß die Behörde in anderen Fällen gleiche Fehlverhalten disziplinär nicht geahndet hat; daraus erwächst dem Beschwerdeführer kein Recht, daß sein Fehlverhalten nicht geahndet werde, denn das Ergebnis wäre ein Anspruch auf die Nichtanwendung des Gesetzes trotz gegebener Tatbestandsmäßigkeit, was ein innerer Widerspruch wäre (vgl. VfSlg. 6072/1969, 7836/1976, 11435/1987 und VfGH vom 10.06.91, B323/90).

Keine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten durch die disziplinäre Verurteilung des beschwerdeführenden Rechtsanwaltes wegen des unbegründeten Verlassens einer mündlichen Streitverhandlung.

Es ist jedenfalls vertretbar, wenn die belangte Behörde ein standeswidriges Vorgehen als dadurch verwirklicht ansah, daß der Beschwerdeführer aufgrund einer "Privatfehde" mit einem Sachverständigen und im Widerstreit mit den wohl verstandenen Interessen seines Mandanten - statt der Ausübung prozessual zulässiger Mittel (wie der Ablehnung des Sachverständigen) - die weitere Einlassung in die Verhandlung verweigerte und mit seiner Entfernung aus dem Verhandlungssaal seinen Mandanten der Gefahr prozessualer Nachteile aussetzte. Wenn die belangte Behörde in diesem Verhalten einen Verstoß gegen §10 RL-BA 1977 erblickt, wonach vornehmste Berufspflicht des Rechtsanwaltes die Treue zu seiner Partei ist und Interessen des Rechtsanwaltes im Widerstreit zurückzutreten haben, ist sie mit der im angefochtenen Bescheid vorgenommenen rechtlichen Beurteilung jedenfalls vertretbar vorgegangen.

Der Beschwerdeführer, der einen Verstoß gegen Art6 MRK daraus ableitet, daß im Verfahren 9 Cg 81/86 des Landesgerichtes Linz das rechtliche Gehör bei der Umbestellung des Sachverständigen verweigert worden sei, weil das Gericht ihn von der beabsichtigten Umbestellung nicht vor der Verhandlung verständigt hätte, verkennt, daß seine Ausführungen - selbst wenn sie zuträfen - nur im zivilgerichtlichen Verfahren allfällige Relevanz besäßen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Meinungsäußerungsfreiheit, Erwerbsausübungsfreiheit, fair trial, Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1361.1990

Dokumentnummer

JFR_10089070_90B01361_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten