RS Vfgh 1991/12/11 G74/90, G178/90

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.12.1991
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Wr BauO 1930 §1 Abs1
Wr BauO 1930 §69 Abs1

Leitsatz

Aufhebung des §69 Abs1 Wr BauO 1930 betreffend die Bewilligung bestimmter Abweichungen von den Bebauungsvorschriften wegen Verstoß gegen das Determinierungsgebot; Inhalt der zu treffenden verwaltungsbehördlichen Entscheidung nicht vorherbestimmbar

Rechtssatz

§69 Abs1 der Bauordnung für Wien, LGBl. 11/1930, idF der Novelle LGBl. 28/1987 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Verfassungsgerichtshof kann dem Verwaltungsgerichtshof nicht entgegentreten, wenn er annimmt, daß er den Einleitungssatz des §69 Abs1 Wr BauO 1930 anzuwenden hätte. Damit erweist sich aber der gesamte Absatz 1 dieses Paragraphen als präjudiziell, weil die in den einzelnen Buchstaben enthaltenen Anordnungen sprachlich nicht trennbar sind.

Zur Frage, ob die angefochtene materiell-rechtliche Gesetzesvorschrift vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Kontrolle einer verfahrensrechtlichen Entscheidung anzuwenden wäre, genügt der Hinweis, daß die Beurteilung, ob einer Verwaltungsbehörde bei der Säumnis in bezug auf eine materiell-rechtliche Entscheidung ein Verschulden zur Last fällt, eine Bedachtnahme auf die materielle Rechtslage erfordert.

Eine Ausnahmebewilligung nach §69 Abs1 Wr BauO 1930 erfordert, daß das in §1 Abs1 Wr BauO 1930 für die Abänderung eines Flächenwidmungsplanes oder eines Bebauungsplanes erforderliche Kriterium der "wichtigen Rücksichten" erfüllt ist (vgl. VfSlg. 10706/1985).

Die in §1 Abs1 Wr BauO 1930 vorgeschriebene Abwägung hat sich insbesondere auf alle in Betracht kommenden öffentlichen Rücksichten bzw. Interessen zu erstrecken (vgl. VfSlg. 3809/1960). Überträgt der Gesetzgeber nun dieses methodische Vorgehen der Verwaltungsbehörde in den Bereich des §69 Abs1 Wr BauO 1930, so gerät er mit seinen eigenen Prämissen in einen nach den logischen Denkgesetzen geradezu unlösbaren Widerspruch, wenn er der Pflicht zur Abwägung öffentlicher Rücksichten gegeneinander die alternativen Kriterien, daß "öffentliche Rücksichten nicht entgegenstehen" bzw. daß "öffentliche Interessen für die Abweichung sprechen", gleichrangig zur Seite stellt. Der Verfassungsgerichtshof hält sohin die in Prüfung stehende Vorschrift mit den Erfordernissen des Art18 B-VG für nicht vereinbar. Auf dem Boden einer derartigen Gesetzeslage ist nämlich der Inhalt der zu treffenden verwaltungsbehördlichen Entscheidung nicht vorherbestimmbar und es ist nicht möglich, die getroffene Entscheidung anhand des Gesetzes auf ihre Legalität zu überprüfen.

Entscheidungstexte

  • G 74/90,G 178/90
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.12.1991 G 74/90,G 178/90

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Baurecht, Ausnahmebewilligung (Baurecht), Bebauungsplan, Interessenabwägung, Determinierungsgebot, Rechtsbegriffe unbestimmte, öffentliche Rücksichten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G74.1990

Dokumentnummer

JFR_10088789_90G00074_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten