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68 Invalideneinstellung, sonstiges SozialrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Verfassungswidrigkeit des §8 Abs2 BEinstG infolge Betrauung einer Verwaltungsbehörde (des Behindertenausschusses) mit der Entscheidung über ein civil right (Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten) ohne Eröffnung des Zuganges zu einem TribunalRechtssatz
§8 Abs2 des BEinstG, BGBl. Nr. 22/1970, idF der Novelle BGBl. Nr. 721/1988, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Bei Beurteilung der Beschwerde unter dem Blickwinkel des Art6 MRK hätte der Verfassungsgerichtshof zunächst §19a (Abs1) BEinstG anzuwenden. Die Bezeichnung des Landeshauptmannes als Berufungsbehörde in §19a (Abs1) ist jedoch nur Folge des Umstandes, daß §8 Abs2 iVm §12 BEinstG eine Verwaltungsbehörde, nämlich den Behindertenausschuß mit der Entscheidung betraut.
Gegenstand der in §8 Abs2 BEinstG vorgesehenen Zustimmung ist ausschließlich die (Zulässigkeit der) Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, also einer zivilrechtlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Das öffentliche Interesse beschränkt sich im vorliegenden Zusammenhang auf die Schaffung einer Regelung, die eine - umfassend gedachte - Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers sicherstellt. Die Abwägung selbst ist typisch zivilrechtlicher Natur. Im Vordergrund steht das durch die Einstellung und Gewöhnung an den Arbeitsplatz entscheidend verstärkte persönliche Interesse des Behinderten an der Aufrechterhaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses, das den Interessen des Arbeitgebers an einer Beendigung einer nicht mehr erwünschten Rechtsbeziehung gegenüberzustellen ist. Der dem Arbeitsverhältnis eigene personale Einschlag, die Folge der für dieses Verhältnis konstitutiven persönlichen Abhängigkeit, verbietet es, die Regelung vornehmlich auf die Wahrung öffentlicher Interessen zurückzuführen. Es handelt sich um die Entscheidung über ein "civil right".
Ist davon auszugehen, daß §8 Abs2 BEinstG ein "civil right" im Sinne des Art6 MRK einräumt, so ist die Betrauung einer Verwaltungsbehörde (nämlich des Behindertenausschusses) ohne Eröffnung des Zugangs zu einem Tribunal nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes unzulässig. Da ein Zugang zu einem Tribunal in der gegenwärtigen Fassung des Gesetzes nicht eröffnet ist, erweist sich die in §8 Abs2 und §12 BEinstG getroffene Regelung als verfassungswidrig. Da der Behindertenausschuß nach §12 Abs1 BEinstG auch für andere Entscheidungen berufen ist, muß er nicht aus dem Rechtsbestand entfernt werden, wenn die Verfassungswidrigkeit auch anders beseitigt werden kann.
Eine Aufhebung des §8 Abs2 BEinstG ist der die Rechtslage insgesamt am wenigsten verändernde Eingriff.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Behinderteneinstellung, Invalideneinstellung siehe Behinderteneinstellung, Arbeitsrecht, Kündigungs- und Entlassungsschutz, VfGH / Verwerfungsumfang, Tribunal, civil rightsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G272.1991Dokumentnummer
JFR_10088789_91G00272_01