Index
90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Aufhebung der Tiroler Nachtfahrverbotsverordnung betreffend die Einbeziehung lärmarmer Lastkraftwagen in das Nachtfahrverbot auf der B312 Loferer Straße wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz und Verstoß gegen §43 Abs2 StVO 1960 infolge Überschreitung des bei der Interessenabwägung eingeräumten BeurteilungsspielraumesRechtssatz
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Auffassung, daß eine Verordnung, mit der eine Verkehrsbeschränkung gemäß §43 StVO 1960 verfügt wird, bei der Erlassung und Überprüfung von Bescheiden anzuwenden ist, mit denen über einen Antrag auf Bewilligung einer Ausnahme von der verordneten Verkehrsbeschränkung in der Sache entschieden wird.
Der Verfassungsgerichtshof ist angesichts der durch seine ständige Judikatur (VfSlg. 11493/1987, E v 08.10.90, B123/90 ua.) geklärten Rechtslage der Auffassung, daß gegen die Erlassung eines Nachtfahrverbots für LKW über 7,5 t höchstzulässigem Gesamtgewicht, wie es für die B312 Loferer Straße durch §1 litd der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 07.11.89, LGBl. 71 idF LGBl. 22/1990, mit bestimmten Ausnahmen (gemäß §2 Abs1 litc der Verordnung für lärmarme Kraftfahrzeuge) verfügt worden war, keine rechtlichen Bedenken obwalten.
Die Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 10.12.90, mit der auf der B312 Loferer Straße ein Nachtfahrverbot für LKW verfügt wird, LGBl. Nr. 80, idF der Druckfehlerberichtigung LGBl. Nr. 8/1991, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Einbeziehung lärmarmer Kraftfahrzeuge im Sinne des §8b KDV 1967, in den sachlichen Geltungsbereich des Nachtfahrverbots auf der B312 Loferer Straße widerspricht dem Gleichheitssatz.
Zwar kann keine Rede davon sein, daß jede Veränderung, insbesondere auch Verschlechterung einer Rechtslage, auf welche Normadressaten vertrauen, allein deshalb schon gleichheitswidrig wäre.
Die ausdrückliche Ausnahme lärmarmer Kraftfahrzeuge vom Nachtfahrverbot gemäß §2 Abs1 litc der Verordnung LGBl. 71/1989 idF LGBl. 22/1990 begründete jedoch den guten Glauben und das Vertrauen der Fahrzeugbesitzer, daß sie nach kostenerheblichen Investitionen durch Umrüstung ihres Fahrzeugparks auf lärmarme LKW die Gewähr hätten, die für die Abwicklung ihrer wirtschaftlichen Dienstleistungen notwendigen Nachtfahrten auf der B312 Loferer Straße durchführen zu können.
Das durch die Verordnung LGBl. 80/1990 idF LGBl. 8/1991 bewirkte Verbot, auch lärmarme LKW über 7,5 t während der Zeit von 22.00 bis 5.00 Uhr zu benutzen (- Ausnahmebewilligungen scheiden angesichts der dafür erforderlichen restriktiven Voraussetzungen nach §45 Abs2a StVO 1960 beinahe völlig aus -), führt zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung dieser mit gutem Grund auf die Ausnahme lärmarmer Kraftfahrzeuge vom Nachtfahrverbot, die von der Behörde selbst ursprünglich verfügt worden war, vertrauenden Gruppe von Fahrzeugbesitzern.
Daß "die Transportwirtschaft ihren Fahrzeugpark überraschend schnell auf lärmarme LKW's umgestellt (hat)", reicht schon deswegen nicht aus, eine Verschärfung des Nachtfahrverbots sachlich zu begründen, weil diese Umstellung verkehrspolitisch bei Erlassung der Nachtfahrverbotsverordnung LGBl. 71/1989 idF LGBl. 22/1990 gerade intendiert war und darin somit auch keine nachträglich unerwünschte und durch die neue Nachtfahrverbotsverordnung LGBl. 80/1990 idF LGBl. 8/1991 hintanzuhaltende Nebenwirkung erblickt werden kann.
Auch die an sich gebotene, das BVG Umweltschutz berücksichtigende Auslegung des §43 Abs2 lita StVO 1960 kann an der Gleichheitswidrigkeit der Regelung nichts ändern, weil Gesetzgebung und Verwaltung auch dann verfassungsrechtlich verhalten sind, den Grundsatz der Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz zu wahren, wenn sie das durch das zitierte BVG aufgegebene Staatsziel des umfassenden Umweltschutzes verfolgen.
Die in Prüfung gezogene Verordnung ist auch wegen mangelnder Bedachtnahme auf die Bedeutung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse gemäß §43 Abs2 StVO 1960 und der dadurch bewirkten Überschreitung des durch diese Vorschrift der Landesregierung bei der Interessenabwägung eingeräumten Beurteilungsspielraums gesetzwidrig.
Durch den zusätzlichen Ausschluß lärmarmer LKW wurde die praktisch einzige, für den innerösterreichischen Güterfernverkehr in Ost-West-Richtung (und umgekehrt) bestehende Verkehrsverbindung für die Zeit von 22.00 bis 5.00 Uhr gesperrt.
Dieser für die Verkehrspolitik besonders einschneidenden Maßnahme steht das an sich zweifellos berechtigte Anliegen der Reduzierung des Verkehrslärms für die Anlieger der B312 Loferer Straße gegenüber. Durch die Einbeziehung lärmarmer LKW in das Nachtfahrverbot ist ein zusätzlicher Schutz der Bevölkerung jedoch schon mit Rücksicht auf das auch in der Nacht weitaus überwiegende Verkehrsaufkommen an PKW, Autobussen und sonstigen, nicht vom Nachtfahrverbot umfaßten Motorfahrzeugen kaum bewirkt worden. Sie steht jedenfalls in keinem Verhältnis zu dem durch jene Einbeziehung bewirkten Verkehrsverbot und verletzt daher die durch §43 Abs2 StVO 1960 gebotene Interessenabwägung.
Wegen der vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Vorkehrung eines Nachtfahrverbots für LKW über 7,5 t, ausgenommen lärmarme LKW, war für das Außerkrafttreten der in Prüfung gezogenen Verordnung eine - allerdings kurz bemessene - Frist gemäß Art139 Abs5 B-VG zu setzen, um der Tiroler Landesregierung Gelegenheit zu geben, ohne Unterbrechung des Nachtfahrverbots neuerlich eine - rechtmäßige - Nachtfahrverbotsverordnung für die B312 Loferer Straße zu erlassen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Straßenpolizei, Verkehrsbeschränkungen, Nachtfahrverbot, VfGH / Fristsetzung, Vertrauensschutz, Umweltschutz, öffentliches Interesse, InteressenabwägungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:V210.1991Dokumentnummer
JFR_10088788_91V00210_01