TE Vfgh Erkenntnis 2004/10/6 B1536/02 ua

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Veröffentlicht am 06.10.2004
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.143,- (B1536/02) und € 2.340,- (B355/04) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Die zu B1536/02 beschwerdeführende Gesellschaft ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 2151, KG Eichgraben. Der Beschwerdeführer zu B355/04 war Eigentümer der Grundstücke Nr. 745 und 746, KG Eichgraben. Diese Grundstücke waren, wie sich aus dem Erkenntnis VfSlg. 15.854/2000 ergibt, gemäß dem örtlichen Raumordnungsprogramm 1994 der Marktgemeinde Eichgraben als "Grünland-Forstwirtschaft" bzw. "Grünland-Grüngürtel" gewidmet. Die Anträge der Beschwerdeführer auf Bauplatzerklärung wurden jeweils vom Bürgermeister mangels Baulandwidmung abgewiesen. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wurden vom Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben abgewiesen. Die Niederösterreichische Landesregierung gab den Vorstellungen mit Bescheiden vom 1. Juli 1997 und 26. Mai 1999 keine Folge.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof leitete aus Anlass der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden ein Verordnungsprüfungsverfahren ein. Mit Erkenntnis VfSlg. 15.854/2000 hob der Verfassungsgerichtshof das örtliche Raumordnungsprogramm 1994 der Marktgemeinde Eichgraben als gesetzwidrig auf, soweit damit für das Grundstück Nr. 2151 die Widmungs- und Nutzungsart "Grünland-Forstwirtschaft" und für die Grundstücke Nr. 745 und 746 die Widmungs- und Nutzungsart "Grünland-Grüngürtel" festgelegt wurde. Mit Erkenntnis vom 28. Juni 2000, B2188/97, B1152/99, hob der Verfassungsgerichtshof die Bescheide der Niederösterreichischen Landesregierung vom 1. Juli 1997 und vom 26. Mai 1999 wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung auf.

1.3. Mit Bescheiden vom 4. September 2000 wies die Niederösterreichische Landesregierung die Vorstellungen neuerlich mit der Begründung ab, dass für die Grundstücke Nr. 745 und 746 sowie Nr. 2151 keine Widmung als Bauland (und auch nicht als Verkehrsfläche) vorliege, sodass der in §19 Abs1

NÖ Raumordnungsgesetz 1976 normierte Auffangtatbestand greifen müsse. Danach gehörten alle nicht als Bauland oder Verkehrsflächen gewidmeten Flächen zum Grünland.

1.4. Der Verfassungsgerichtshof hob aus Anlass der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden die bekämpften Bescheide mit Erkenntnis VfSlg. 16.113/2001 wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums auf. Er begründete seine Entscheidung damit, dass im Fall der Aufhebung einer Flächenwidmung durch den Verfassungsgerichtshof nicht die Rechtsfolge der Freilandwidmung nach §19 Abs1 NÖ Raumordnungsgesetz 1976 eintrete. Ein Grundstück, für das nach Aufhebung der Flächenwidmung durch den Verfassungsgerichtshof keine Widmung festgelegt sei, dürfe infolge der aus dem Eigentumsrecht erfließenden Baufreiheit bebaut werden, es sei denn, es stünden der Bebauung andere Bestimmungen entgegen.

1.5. Die Niederösterreichische Landesregierung gab nun den Vorstellungen Folge, hob die bekämpften Bescheide auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde Eichgraben zurück. Der im Devolutionswege zuständig gewordene Gemeinderat der Marktgemeinde Eichgraben erklärte mit Bescheiden vom 24. Mai 2002 die Grundstücke gemäß §11 Abs2 NÖ Bauordnung 1996 zu Bauplätzen.

2.1. Am 21. November 2001 hatte die beschwerdeführende Gesellschaft zu B1536/02 die Baubewilligung für vier Einfamilienhäuser auf dem Grundstück Nr. 2151, KG Eichgraben, beantragt. Der Bürgermeister wies das Bauansuchen mit Bescheid vom 11. Dezember 2001 ab, da dem Vorhaben eine am 18. Juli 2001 in Kraft getretene Bausperre entgegenstünde. Der Gemeindevorstand wies die dagegen erhobene Berufung mit Bescheid vom 6. März 2002 als unbegründet ab. Die Niederösterreichische Landesregierung gab der Vorstellung mit Bescheid vom 11. September 2002 keine Folge. Aufgrund des Einlangens des Bauansuchens könne §23 Abs5 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, wonach baubehördliche Verfahren, die im Zeitpunkt der Kundmachung der Bausperre bereits anhängig waren, nicht berührt werden, nicht zur Anwendung gelangen.

2.2. Die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (Bausperre vom 2. Juli 2001).

2.3. Die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

2.4. Die Marktgemeinde Eichgraben legte die Verordnungsakten vor.

3.1. Am 16. Oktober 2002 beantragte der Beschwerdeführer zu B355/04 die Baubewilligung für zwei Einfamilienhäuser und eine straßenseitige Einfriedung auf dem Grundstück Nr. 745 und für ein Einfamilienhaus auf dem Grundstück Nr. 746, KG Eichgraben. Weiters zeigte er die Errichtung einer Warmwasserzentralheizung gemäß §15 Abs2 NÖ Bauordnung 1996 an. Der Bürgermeister wies die Bauansuchen mit Bescheiden vom 9. Dezember 2002 ab, da den Vorhaben eine am 18. Juli 2001 in Kraft getretene Bausperre entgegenstünde. Er untersagte mit weiteren Bescheiden vom 9. Dezember 2002 gemäß §15 Abs3 leg. cit. die Ausführung der angezeigten Bauvorhaben. Der Gemeindevorstand wies die dagegen erhobenen Berufungen mit Bescheid vom 13. März 2003 als unbegründet ab. Die Niederösterreichische Landesregierung gab der Vorstellung mit Bescheid vom 6. Februar 2004 keine Folge. Die Baubewilligungsverfahren seien nach Wirksamwerden der Bausperre anhängig gemacht worden.

3.2. Die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen (§23 Abs5 NÖ Raumordnungsgesetz 1976, Bausperre vom 2. Juli 2001). Überdies verstoße der angefochtene Bescheid gegen das Erkenntnis VfSlg. 16.113/2001.

3.3. Die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. 1. Aus Anlass dieser Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG mit Beschluss vom 8. Juni 2004 ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Eichgraben vom 2. Juli 2001, mit der eine Bausperre gemäß §23 Abs1 NÖ Raumordnungsgesetz 1976 für die Grundstücke Nr. 745, 746 und 2151 erlassen wurde, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 3. Juli 2001 bis 18. Juli 2001, in der Fassung der Verordnung vom 10. Juni 2003, mit der die Bausperre für die Grundstücke Nr. 745, 746 und 2151 um ein Jahr verlängert wurde, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 11. Juni 2003 bis 26. Juni 2003, eingeleitet.

Mit Erkenntnis vom 6. Oktober 2004, V38, 39/04, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die in Prüfung gezogene Verordnung gesetzwidrig war.

2. Die angefochtenen Bescheide stützten sich auf die gesetzwidrige Verordnung. Es ist nach der Lage der Fälle nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsposition der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985). Die Bescheide waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist im Verfahren B1536/02 eine Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-, im Verfahren B355/04 eine Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,- und je eine Eingabegebühr in der Höhe von € 180,-

enthalten.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1536.2002

Dokumentnummer

JFT_09958994_02B01536_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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