RS Vfgh 1992/2/27 B1062/90, B95/91, B644/91

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Veröffentlicht am 27.02.1992
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung 1973

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z8
B-VG Art83 Abs2
Oö VeranstaltungsG
GewO 1973 §2 Abs1 Z17
GewO 1859 KP ArtV

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Regelung betrieblicher Vorkehrungen für Diskotheken durch den Bund als Gewerberechtsgesetzgeber; keine Anwendbarkeit der Ausnahme musikalischer Darbietungen bzw öffentlicher Belustigungen vom Geltungsbereich der Gewerbeordnung auf Musik- bzw Tanzveranstaltungen in Gastgewerbebetrieben iVm der Erbringung gastgewerblicher Leistungen; keine Verletzung in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten

Rechtssatz

Unter den Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" (Art10 Abs1 Z8 erster Fall B-VG) fallen alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfachen Gesetze am 01.10.25 als gewerberechtliche Vorschriften anzusehen waren (VfSlg. 10.831/1986 mwH auf die Vorjudikatur).

Im Jahr 1925 waren "Diskotheken" nicht bekannt. Zwar unterlagen Gastgewerbebetriebe, in denen Klavierspieler musiziert haben, unbestrittenermaßen der Gewerbeordnung; andererseits war die Veranstaltung öffentlicher Belustigungen durch ArtV KP GewO 1859 vom Anwendungsbereich der GewO ausgenommen. Für solche Veranstaltungen gab es zum Zeitpunkt der Erlassung der GewO 1859 auch besondere polizeiliche Vorschriften.

Aus dieser rechtlichen Situation zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzbestimmungen des B-VG am 01.10.25 folgt, "daß bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der GewO musikalische Produktionen j e d e r Art nicht als Gewerbe, sondern als vom Standpunkt der Verwaltungspolizei zu behandelnde Angelegenheit betrachtet und behandelt wurden" (vgl. VfSlg. 2670/1954).

Das bedeutet nun freilich nicht, daß eine musikalische Darbietung im Rahmen eines Gastgewerbebetriebs (etwa durch einen Barmusiker oder eine Fünf-Uhr-Tee-Kapelle) geeignet ist, dem Betrieb insoweit die Gastgewerbeeigenschaft zu nehmen. Bloß die - auch gewerbsmäßige - musikalische Darbietung als solche ist vom Regelungsbereich des Art10 Abs1 Z8 B-VG ausgenommen. Werden aber musikalische Darbietungen in einem Gewerbebetrieb veranstaltet, so steht es dem Bundesgesetzgeber frei, gewerberechtliche Regelungen für den Gastgewerbebetrieb zu erlassen. Es besteht - auch in historischer Sicht - kein Anlaß anzunehmen, daß der Bund die Kompetenz zur Regelung von bei Gastgewerbebetrieben auftretenden typisch gewerberechtlichen Fragen verliert, sofern Gastwirte Tanzunterhaltungen in ihren Lokalen gestatten oder durchführen.

Es entspricht durchaus einer intra-systematischen Weiterentwicklung des in Rede stehenden Kompetenztatbestandes, daß er die Ermächtigung gibt, auch für sich neu entwickelnde Betriebsformen entsprechende Regelungen vorzusehen. Nichts spricht dagegen anzunehmen, daß der Gewerberechtsgesetzgeber von Verfassungs wegen ermächtigt ist, betriebliche Vorkehrungen für Diskotheken - etwa im Interesse des Schutzes der Gewerbetreibenden, der Nachbarn oder der Kunden, also Regelungen typisch gewerberechtlicher Artvorzusehen.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist auch die maßgebliche Bestimmung des §2 Abs1 Z17 GewO 1973 zu verstehen. Sie nimmt vom Geltungsbereich der GewO nur die Veranstaltung öffentlicher Belustigungen als solche aus, nicht aber die gastgewerbliche Tätigkeit, bei der in Kombination mit der typisch gastgewerblichen Leistungserbringung auch Musik oder auch Tanz veranstaltet wird. Ob (und allenfalls in welcher Weise) für diese im Rahmen der Tätigkeit des Gewerbetreibenden stattfindenden Darbietungen nach dem Oö VeranstaltungsG überdies entsprechende Bewilligungen erforderlich oder behördliche Aufsichtmaßnahmen möglich sind, ist in diesem Verfahren nicht zu klären.

Keine Verletzung im Recht auf Gleichheit, im Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit und im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums - (bloße) Mängel in der Vollziehung.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gewerberecht, Geltungsbereich (sachlicher) eines Gesetzes, Gastgewerbe, Kompetenz Bund - Länder Gewerbe und Industrie, Diskotheken, Veranstaltungswesen, Kompetenz Bund - Länder Veranstaltungspolizei, Auslegung, Versteinerungstheorie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B1062.1990

Dokumentnummer

JFR_10079773_90B01062_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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