RS Vfgh 1992/2/27 B133/91, B134/91, B135/91, B136/91, B137/91, B138/91, B139/91, B140/91, B141/91, B

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Veröffentlicht am 27.02.1992
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Index

60 Arbeitsrecht
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ArbeitszeitG §1 Abs2 Z1
ArbeitszeitG §28
VertragsbedienstetenG 1948 §1 Abs2
EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
EMRK Art6 Abs1 / Gesetz
VStG §22

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit bzw gleichheitswidrige Auslegung von Bestimmungen des ArbeitszeitG; Anwendbarkeit des ArbeitszeitG auf in Privatrechtsform geführte Krankenanstalten; Eignung der Rechtsform eines Wirtschaftskörpers als Anknüpfungselement für arbeitsrechtliche Typenbildung; keine unsachliche Abgrenzung des Geltungsbereiches des ArbeitszeitG; Höhe einer Strafsumme für Qualifizierung als strafrechtliche Verurteilung iSd Art6 EMRK nicht relevant

Rechtssatz

Keine Gleichheitswidrigkeit bzw gleichheitswidrige Auslegung des §1 Abs2 Z1 ArbeitszeitG.

Die belangte Behörde geht davon aus, daß es sich bei der Gesellschaft mbH, mit der die Arbeitsverhältnisse eingegangen wurden und als deren Geschäftsführer die Beschwerdeführer für die ihnen zur Last gelegten Übertretungen des ArbeitszeitG verantwortlich gemacht werden, weder um eine Stiftung oder einen Fonds noch um eine Anstalt im Sinne des §1 Abs2 Z1 ArbeitszeitG handelt und diese daher vom Geltungsbereich des ArbeitszeitG nicht ausgenommen sei.

Diese Auffassung ist nach Wortlaut und Zielsetzung der genannten Bestimmung vertretbar. Das VertragsbedienstetenG 1948 findet nach seinem §1 Abs2 (idF der 3. Novelle BGBl. 165/1961) auf Personen, die in einem Dienstverhältnis zu Fonds, Stiftungen oder Anstalten stehen, die von Organen des Bundes oder von Personen (Personengemeinschaften) verwaltet werden, die hiezu von Organen des Bundes bestellt sind, insoweit Anwendung, als nicht etwas anderes bestimmt ist. Geht man von der naheliegenden Annahme aus, daß - so wie vom Geltungsbereich des ersten bis vierten Hauptstückes des Arbeitsverfassungsgesetzes (§1 Abs2 Z3 ArbVG) - auch vom Geltungsbereich des ArbeitszeitG jene Personen ausgenommen werden sollen, die dem Regime des Vertragsbedienstetenrechtes unterliegen, so legt dies in der Tat einen engeren, die Rechtsform des Gebildes beachtenden Inhalt des Begriffes der Anstalt nahe, der unter diesem Gesichtspunkt auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Denn die Rechtsform eines Wirtschaftskörpers ist ein zwar sehr pauschales, aber doch auch für die arbeitsrechtliche Typenbildung durchaus geeignetes Anknüpfungselement.

Es macht die Strafbestimmung des §28 Abs1 ArbeitszeitG nicht unsachlich, wenn das Gesetz in Abs2 davon ausgeht, daß das Zuwiderhandeln von Organen einer Gebietskörperschaft mit Mitteln des Dienstrechts zureichend geahndet werden kann, und es entbehrt nicht jeglicher Grundlage im Tatsächlichen, wenn der Bund als Dienstrechtsgesetzgeber annimmt, daß der Gefahr einer Überbeanspruchung von Beamten und Vertragsbediensteten in zeitlicher Hinsicht auch ohne Geltung des ArbeitszeitG durch die im öffentlichen Dienst gegebenen rechtlichen Verhältnisse und tatsächlichen Einflußmöglichkeiten im zureichenden Maße begegnet werden kann.

Auch die in den Beschwerden angeführten sonstigen Ausnahmen von der Geltung des ArbeitszeitG erwecken keine Bedenken gegen die Regel. Ob bestimmte Tätigkeiten einer Sonderbehandlung in arbeitszeitrechtlicher Hinsicht bedürfen oder vom Geltungsbereich des ArbeitszeitG besser gänzlich ausgenommen werden, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, die von ganz unterschiedlichen und äußerst vielfältigen Gesichtspunkten abhängig gemacht werden kann. Daß Krankenanstalten ebenso behandelt werden müßten wie private Unterrichts- und Erziehungsanstalten und das Krankenhauspersonal dem Bordpersonal von Luftverkehrsunternehmen gleichzustellen wäre, kann daher nicht gesagt werden.

Strafbescheide aufgrund von Übertretungen des ArbeitszeitG sind keine strafrechtlichen Verurteilungen im Sinne des Art6 EMRK. Es ist auf den Vorbehalt Österreichs zu Art5 EMRK zu verweisen, der nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch auf Art6 ausstrahlt (vgl. insbesondere VfSlg. 11.523/1987 zur Arbeitsruheverletzung). An dieser Wirkung kann der Umstand, daß es bei einer Vielzahl von Verwaltungsübertretungen zufolge des in §22 VStG verankerten Kumulationsprinzips bei gleichzeitiger Erlassung von Strafbescheiden zu einer hohen Strafsumme kommen kann, nichts ändern.

Entscheidungstexte

  • B133-148/91
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 27.02.1992 B133-148/91

Schlagworte

Arbeitnehmerschutz, Arbeitszeit, Arbeitsrecht, Überstunden, Auslegung verfassungskonforme, Krankenanstalten, Verwaltungsstrafrecht, Vertragsbedienstete, Geltungsbereich (sachlicher) eines Gesetzes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:B133.1991

Dokumentnummer

JFR_10079773_91B00133_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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