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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z12Leitsatz
Keine Kompetenzwidrigkeit des KAG sowie der landesausführungsgesetzlichen Bestimmungen des Tir KAG, Vlbg SpitalG und Stmk KAG hinsichtlich der Zuordnung von selbständigen Ambulatorien zum Tatbestand "Heil- und Pflegeanstalten"; verfassungskonforme Abgrenzung zwischen Krankenanstalten in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums und ärztlichen Ordinationsstätten; Aufhebung von die Bedarfsprüfung für die Erteilung einer Errichtungsbewilligung normierenden Bestimmungen des KAG, Tir KAG, Vlbg SpitalG, Stmk KAG und Krnt KAO 1978 wegen Bewirkung eines Konkurrenzschutzes von privaten erwerbswirtschaftlich geführten Krankenanstalten; unverhältnismäßiger Eingriff in die ErwerbsausübungsfreiheitRechtssatz
Es ist denkunmöglich, daß der zweite und dritte Satz des §3 Abs3 Stmk KAG im Hinblick auf den angefochtenen Bescheid (Versagung einer Errichtungsbewilligung für ein Ambulatorium) eine Voraussetzung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Anlaßfall bilden. Ein sprachlich untrennbarer Zusammenhang besteht nicht. Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des §3 Abs3 zweiter und dritter Satz Stmk KAG ist daher zurückzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof ist dem Erfordernis des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG (Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen) dadurch nachgekommen, daß er sich den in den Einleitungsbeschlüssen des Verfassungsgerichtshofes dargelegten Bedenken hinsichtlich der Erwerbsausübungsfreiheit angeschlossen hat.
Im Versteinerungszeitpunkt (01.10.1925) hat es Ambulatorien jedenfalls als Teileinheiten von öffentlichen Krankenanstalten gegeben. Ambulatorien als eigener Anstaltstyp waren dem KAG 1920 fremd.
Als Teileinheiten einer (öffentlichen) Krankenanstalt fielen Ambulatorien ohnedies unter den Begriff "Heil- und Pflegeanstalten", wohingegen die vom ReichssanitätsG erfaßten privaten Einrichtungen für die ärztliche Betreuung von Personen, die einer Anstaltspflege nicht bedurften, dann unter den Begriff "Heil- und Pflegeanstalten" subsumiert werden konnten, wenn sie Anstaltscharakter hatten.
Bei der endgültigen Formulierung des Art12 Abs1 Z1 B-VG bzw. Art10 Abs1 Z12 B-VG bedurfte es somit keiner besonderen Erwähnung von Ambulatorien, denn: Handelt es sich um Anstalten, so unterliegen sie Art12 Abs1 Z1 B-VG, ausgenommen die sanitäre Aufsicht, die Art10 Abs1 Z12 B-VG zugehört; handelt es sich bei Ambulatorien aber nicht um Anstalten, so ist auf sie Art12 Abs1 Z1 B-VG nicht anwendbar.
Für Krankenanstalten ist es charakteristisch, daß es sich um Einrichtungen handelt, in denen Sachwerte und persönliche Leistungen bestimmter Art zu einer organisatorischen Einheit zusammengefaßt sind und in dieser Gestalt der Erfüllung bestimmter Aufgaben gewidmet in Erscheinung treten (vgl. VfSlg. 3296/1957). Typisches Merkmal von Einrichtungen, die dem Kompetenztatbestand "Heil- und Pflegeanstalten" zuzuordnen sind, ist - weiters - eine Anstaltsordnung, der sowohl die Patienten als auch die Ärzte unterliegen, ebenso aber das Vorliegen eines (Behandlungs-)Vertrages mit dem Träger der einer sanitären Aufsicht unterliegenden Einrichtung, der jedenfalls auch eine Rechtsbeziehung zwischen diesem Träger und den Benützern dieser Einrichtung begründet.
Das unterscheidende Merkmal zwischen Ambulatorien, die dem Kompetenztatbestand "Heil- und Pflegeanstalten" zuzurechnen sind, und den dem Kompetenztatbestand "Gesundheitswesen" zuzuzählenden Ärztepraxen ist bei ersteren eine organisatorische Einrichtung, während nach dem Ärzterecht bei Ordinationen die medizinische Eigenverantwortlichkeit des behandelnden Arztes gegenüber dem Patienten maßgeblich ist.
Das maßgebliche Kriterium für eine Krankenanstalt in Form eines selbständigen Ambulatoriums im Sinne des in Prüfung gezogenen §2 Abs1 Z7 KAG sowie der entsprechenden landesausführungsgesetzlichen Bestimmungen (§1 Abs3 litg Tir KAG, §3 litg Vlbg SpitalG, §1 Abs3 Z7 Stmk KAG) bildet das Vorliegen einer organisatorischen Einheit sowie der Abschluß eines (Behandlungs-)Vertrages nicht (nur) mit dem Arzt, sondern (auch) mit dieser Einrichtung und die sanitäre Beaufsichtigung derselben.
Die sich hieraus ergebende Abgrenzung zwischen selbständigen Ambulatorien und ärztlichen Ordinationsstätten erlaubt offensichtlich ein verfassungskonformes Verständnis der in Prüfung gezogenen Bestimmungen aus der Sicht des Kompetenztatbestandes "Heil- und Pflegeanstalten" (Art12 Abs1 Z1 B-VG) und der damit im Einklang stehenden Kompetenzregelung des Art10 Abs1 Z12 B-VG
(Gesundheitswesen ... hinsichtlich der Heil- und Pflegeanstalten ... jedoch nur die sanitäre Aufsicht).
Aufhebung des §3 Abs2 lita KAG, einer Wortfolge in §3 Abs3 KAG, des §3a Abs2 lita Tir KAG, einer Wortfolge in §3 Abs3 Tir KAG, des §9 Abs2 lita und §9 Abs5 Vlbg SpitalG, des §3 Abs2 lita, §3 Abs3 erster Satz und §4 Abs2 Stmk KAG sowie einer Wortfolge in §9 Abs2 Krnt KAO 1978 als verfassungswidrig; Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §7 lita Krnt KAO 1978.
Die Bestimmungen des §3 KAG sowie des §3 und §3a Tir KAG, §9 Vlbg SpitalG, §3 und §4 Stmk KAG und §7 und §9 Krnt KAO 1978 sehen eine Bedarfsprüfung vor.
Der medizinischen Versorgung der Bevölkerung durch gemeinnützige Einrichtungen kommt, unabhängig davon, ob sie von einer Gebietskörperschaft, einem sonstigen Rechtsträger oder von Privatpersonen betrieben werden, vorrangige Bedeutung zu. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen bringen aber weder eine Subsidiarität der medizinischen Versorgung durch private erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten gegenüber der "öffentlichen" medizinischen Versorgung zum Ausdruck, noch beschränken sie sich auf eine Sicherung der bestehenden gemeinnützigen Krankenanstalten, deren Finanzierung durch öffentliche Mittel erfolgt, oder auf die Hintanhaltung der Gefährdung einer Versorgungsfunktion, die öffentlichen und privaten gemeinnützigen Krankenanstalten - jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. VfSlg. 12065/1989) - zukommt (vgl. E v 16.06.90, B610/89); sie bewirken vielmehr (auch) einen Konkurrenzschutz von privaten erwerbswirtschaftlich geführten Krankenanstalten untereinander.
Für private erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten untereinander stellt die Bedarfsprüfung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit dar.
Da sprachlich eine Trennung der Regelung, die es erlauben würde, nur derartige Anwendungsfälle, die einen unzulässigen Konkurrenzschutz bewirken, aus dem Rechtsbestand auszuscheiden, nicht möglich ist, waren die die Bedarfsprüfung anordnenden Bestimmungen insgesamt aufzuheben; ebenso waren die damit in einem untrennbaren sachlichen Zusammenhang stehenden Bestimmungen, die die Anhörungsrechte der gesetzlichen Interessenvertretung der privaten Krankenanstalten und der zuständigen Ärztekammer vorsehen, aufzuheben.
(Anlaßfälle: B458/90, B772/89, beide E v 07.03.92, B459/90, B1107/90, B1140/90, B1329/90, B496/91, B564/91, alle E v 11.03.92, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Formerfordernisse, Kompetenz Bund - Länder, Versteinerungstheorie, Kompetenz Bund - Länder Krankenanstalten, Krankenanstalten, Erwerbsausübungsfreiheit, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bedenken, Bedarfsprüfung, Privatkliniken, Sanatorien, Ambulatorien, Anhörungsrecht (einer Interessenvertretung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:G198.1990Dokumentnummer
JFR_10079693_90G00198_01