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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Gleichheitswidrigkeit der Bestimmung des ASVG über die auf den Versicherungsfall des Alters beschränkte Anerkennung von neutralen Zeiten; sachliche Rechtfertigung der Nichteinbeziehung der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit aufgrund der komplizierteren Feststellbarkeit der Anspruchsvoraussetzungen sowie der Möglichkeit, durch Hinausschieben der Antragstellung die Feststellbarkeit (zusätzlich) zu erschweren; vernachlässigbare atypische FälleRechtssatz
Den Anträgen des Obersten Gerichtshofes auf Aufhebung der Wortfolge "aus dem Versicherungsfall des Alters" in §234 Abs1 Z3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, wird keine Folge gegeben.
Es ist zu untersuchen, ob eine sachliche Rechtfertigung dafür vorliegt, daß die nach §234 Abs1 Z3 ASVG vorgesehene Begünstigung - Anerkennung von Zeiten, die zwischen der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen und der Antragstellung auf Leistung liegen, als neutral - nur in den Fällen einer Alterspension gewährt wird, nicht aber auch in Fällen eines Anspruches auf eine andere Art von Leistung aus der Pensionsversicherung, von denen aus der Sicht der vom antragstellenden Obersten Gerichtshof erhobenen Bedenken - nur in deren Rahmen ist der Verfassungsgerichtshof zur Prüfung berechtigt - ausschließlich die Fälle der geminderten Arbeitsfähigkeit beachtlich sind.
Die erklärte Absicht dieser Bestimmung liegt darin, dem Umstand vorzubeugen, "daß in gewissen Grenzfällen durch Verspätung der Antragstellung auf die Altersrente kein Nachteil eintreten kann" (EB zur Regierungsvorlage, 599 BlgNR VII. GP, 76).
Die Regelung der Versicherungsfälle des Alters unterscheidet sich von der Regelung der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit dadurch, daß die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere das Alter, bei jenen tatbestandlich präzise festgelegt sind. Für die Feststellung, ob einer der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit eingetreten ist, müssen neben der gesundheitlichen Situation auch die Berufsausbildung des Versicherten sowie die Anforderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt in die rechtliche Beurteilung mit einbezogen werden.
Die Feststellung, ob die medizinischen und berufsspezifischen Voraussetzungen zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt vorlagen, ist im Gegensatz zur Feststellung des Alters komplizierter und aufwendiger.
Der Gesetzgeber knüpft bei den Versicherungsfällen des Alters an ein Ereignis, auf dessen eindeutige und unproblematische Feststellbarkeit ein "Hinausschieben durch spätere Antragstellung" keinen Einfluß hat.
Dazu kommt, daß der Stand der Medizin einem ununterbrochenen Wandel unterworfen ist, und daß auch die maßgebliche Situation am Arbeitsmarkt sich nicht unwesentlich verändern kann. Die Feststellung des "fiktiven Stichtages" ist aber insbesondere auch wegen dieser Umstände wichtig. Bei einem Hinausschieben der Antragstellung wird die Feststellung des Zeitpunktes, in dem die Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten war, schon an sich erschwert.
Soweit aber ein eindeutig feststellbares Ereignis einer geminderten Arbeitsfähigkeit zugrunde liegt, handelt es sich dabei im Regelfall um einen Arbeitsunfall; für diesen aber entfällt ohnedies gemäß §235 Abs3 ASVG das Erfordernis einer Wartezeit. Es ist nun wohl nicht auszuschliessen, daß es aufgrund besonderer Umstände in einzelnen Fällen möglich sein kann, daß ähnlich klare Verhältnisse vorliegen, wie sie für die Versicherungsfälle des Alters typisch sind. Für die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit ist dies aber atypisch, sodaß sie mit Härtefällen vergleichbar sind. Solche machen die Regelung aber nicht verfassungswidrig.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Pensionsalter, Arbeitsfähigkeit geminderte (ASVG), Beitragszeiten (Sozialversicherung)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:G103.1990Dokumentnummer
JFR_10079690_90G00103_01