Index
10 VerfassungsrechtNorm
EMRK Art10Leitsatz
Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung durch die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen Beleidigung der Abgabenbehörde; Inhalt und Form der Äußerung der Beschwerdeführerin (Verdacht der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Behörde) keine beleidigende SchreibweiseRechtssatz
Nach §112 Abs3 BAO kann die Abgabenbehörde eine Ordnungsstrafe gegen Personen verhängen, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, daß diese Bestimmung als eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit gelten kann, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung unentbehrlich und daher auch unter dem Blickwinkel des Art10 EMRK unbedenklich ist.
Der - verhältnismäßig vage - unbestimmte Rechtsbegriff der beleidigenden Schreibweise erlaubt es, eine Gesetzesverletzung nur dann anzunehmen, wenn die Notwendigkeit der damit verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung unter Bedachtnahme auf das einschlägige Grundrecht außer Zweifel steht.
Verletzung im Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung durch die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen Beleidigung der Abgabenbehörde.
Die Äußerung der Beschwerdeführerin erweist sich ihrem Inhalt nach nicht als unsachlich. Sie enthält die Begründung für die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen und bringt das Mißtrauen gegen die Verschwiegenheit der Behörde zum Ausdruck. Akte der Rechtsverfolgung dürfen aber nicht durch übertriebene Empfindlichkeit der Behörde behindert werden.
Gewiß ergibt sich aus mehr oder weniger sorgfältig verfaßten Berichten von Tageszeitungen noch kein konkreter Verdacht auf eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Behörde. Wenn aber die Beschwerdeführerin einen solchen Verdacht äußert, um die Verweigerung der Vorlage von Unterlagen zu rechtfertigen, liegt darin allein kein sachfremdes Vorbringen.
Auch die Einschätzung der belangten Behörde, die Kritik sei nicht in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht, kann der Verfassungsgerichtshof nicht teilen. Der falsche - aber nicht offenkundig aus der Luft gegriffene - Vorwurf in der Beantwortung einer Aufforderung durch die Behörde, ihre Betriebsprüfer hätten "Interviews" gegeben und solche seien nach der Erfahrung "durchaus gehandhabte Übung", mag vielleicht ein zur Rechtsverfolgung untaugliches Vorbringen sein, ist aber kein ungeziemendes Verhalten.
Von Ausfällen ist die Wortwahl der Beschwerdeführerin weit entfernt. Eine verfassungskonforme Auslegung des §112 Abs3 BAO muß daher zum Ergebnis führen, daß sich die Beschwerdeführerin keiner beleidigenden Schreibweise bedient hat.
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsbegriffe unbestimmte, Finanzverfahren, Ordnungsstrafe (Finanzverfahren), Auslegung verfassungskonforme, beleidigende SchreibweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:B101.1991Dokumentnummer
JFR_10079688_91B00101_01